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Prof. Dr. Judith Ackermann forscht und lehrt an der FH Potsdam zu digitalen Medien und Performance in der sozialen Arbeit. In der Corona-Pandemie hat sie die Wirkung und Auswirkungen von Memes auf TikTok unter dem Hashtag #Corona in Bezug auf Krisenbewältigung erforscht. Bildrechte: Fabian Stürtz

Das Potenzial der Memes-KulturMemes - vom Netzhype zum Helfer in Krisen

10. März 2023, 11:00 Uhr

Memes können weitaus mehr sein als nur lustige Bilder mit einer Botschaft. Zwar dienen die meisten Memes der Unterhaltung, bei der der Witz im Vordergrund steht, doch sie können, je nach Situation und erreichter Zielgruppe, auch noch ganz andere Funktionen erfüllen. So werden sie manchmal auch zu Helfern in einer Krisensituation.

von Susann de Luca

Klima, Krieg, Finanz- und Energiekrise vs. Belastung durch persönliche Sorgen

Gerade in schweren Zeiten ist es für viele fast schon wie ein Beweis für Freundschaft und Verbundenheit, jemanden auf einem Meme zu verlinken oder es direkt an eine Person zu schicken. Es sind kleine Gesten, die ausdrücken, dass der andere an einen denkt, er diese Person versteht und mit ihr fühlt. Auch eigene Vemes – Video-Memes auf TikTok –, in dem ein Mensch seine Sorgen mit der Welt teilt oder einer Krisensituation mit Ironie entgegentritt, können ihm selbst und anderen Kraft geben. Ideale Voraussetzungen für Forschende, das genauer zu ergründen.

Memes und ihr Potenzial in Krisenzeiten

Plattformen wie TikTok bieten Memes mit Krisen-Themen Raum und damit ihren Nutzerinnen und Nutzern die unkomplizierte Art des Austauschs. Dabei werden Themen enttabuisiert und lassen sich humoristisch betrachten, ohne ihnen gänzlich ihre Ernsthaftigkeit abzusprechen. Damit können Memes hilfreich sein, um Ängste zu überwinden und das Gefühl vermitteln, mit seinen Sorgen – auch in Krisenzeiten – nicht allein zu sein.

Wirkung und Auswirkungen von Memes und digitalem Storytelling auf TikTok in Krisenzeiten

Erinnern wir uns an 2020, eine Zeit, in der die Corona-Pandemie bei vielen eine Art Ohnmacht ausgelöst hat und die meisten von uns Schwierigkeiten verspürten, einen normalen Alltag unter Corona und den Corona-Bestimmungen zu meistern. – Für Prof. Dr. Judith Ackermann der perfekte Zeitpunkt um Nachforschungen anzustellen – und im Speziellen die Wirkung von Memes in der Corona-Krise zu hinterfragen. Welche Potenziale TikTok als beliebteste Memes-Plattfom für die individuelle und gesellschaftliche Bewältigung von Krisen bietet, hat uns die Forschungsprofessorin für Digitale Medien und Performance in der Sozialen Arbeit an der FH in Potsdam im Interview verraten.

Forschungsprofessorin Prof. Dr. Judith Ackermann hat Videomemes auf TikTok auf ihr Potenzial getestet, mit dem Ergebnis: Memes können in Krisenzeiten hilfreich sein. Mitunter helfen sie dabei eine Situation besser zu verstehen, diese für sich (neu) einzuordnen und ein Gefühl dafür zu erzeugen, dass man nicht allein ist. Bildrechte: Fabian Stürtz

Interview mit Judith Ackermann

MEDIEN360G: Frau Ackermann, wie kam es zur Idee, Memes, unter dem Aspekt der Krisenbewältigung, als hilfreich zu hinterfragen?

Prof. Dr. Judith Ackermann: Memes haben einen festen Stellenwert im Kontext der heutigen digitalen Kommunikation und ermöglichen es, komplexe Sachverhalte pointiert auf bestimmte Teilaspekte zu reduzieren. Diese bearbeiten sie ironisch-kritisch und liefern dadurch gleichzeitig ein – häufig überzeichnetes – Ordnungs- und Bewertungsmoment. Gerade mit Blick auf die hochgradig komplexen Krisen, denen wir uns aktuell gegenübersehen, sind Memes daher ein spannendes Forschungsfeld. Schließlich liefern sie durch ihre Spezifität sowohl Möglichkeit als auch Notwendigkeit, die häufig als Ganzes nicht greifbaren Krisen, in verstehbare Elemente zu untergliedern, denen man gefühlt leichter aktiv begegnen kann.

MEDIEN360G: Ihr Forschungsansatz hat sich in der Corona-Pandemie ergeben, als im Speziellen auf TikTok bedeutend mehr Nutzerinnen und Nutzer mit eigenen lustigen und kreativen Bewegtbildern digital nach außen getreten sind …

Prof. Dr. Judith Ackermann: Mit Blick auf die Pandemie entstand eine große Flut an Videos, die den Hashtag Corona verwendeten und/oder zu speziell für die Thematik erstellten Sounds choreografiert wurden. Es handelte sich dabei um eine relativ neue Form des Memes, die größeren Schwerpunkt auf Bewegtbild und Ton legt, jedoch an den Prinzipien von Reduktion und Textinsertierung festhält. In diesem Zusammenhang stellten wir uns die Frage, welchen Mehrwert Ersteller und Erstellerinnen aus der Gestaltung entsprechender Videos in Bezug auf ihren Umgang mit der Pandemie ziehen können. Wir unternahmen daher eine explorative Inhaltsanalyse von Corona bezogenen Videos und identifizierten in ihnen vielfältige Adressierungs- und Reaktionsformen mit Blick auf die Krise. Diese reichten von der Externalisierung* und Personifizierung des Corona-Virus, über (vermeintliche) Aufklärung wie (Des-)Information, Dokumentation von verändertem Alltag und Leben mit dem Virus bis hin zu konkreten Handlungsempfehlungen und ironischer Überzeichnung. Die Videos fokussierten somit unterschiedliche Bewältigungsstrategien.

* Externalisierung (Psychologie) bezeichnet die Verlagerung von Empfindungen, Gefühlen, Motiven oder Zuschreibungen nach außen und damit die Vorgänge, die letztlich der Kommunikation und der gegenseitigen Wahrnehmung und auch der Selbstwahrnehmung dienen.

MEDIEN360G: Welche Erkenntnisse haben Sie dabei gewinnen können? Wie können Memes dabei helfen, eine Krise zu bewältigen beziehungsweise besser damit umzugehen?

Prof. Dr. Judith Ackermann: Die Sichtbarmachung eines Problems durch Übersetzung in andere Modi, wie Video, Musik und Text, befördert dessen Bewusstmachung. Dies geht mit kontextverändernden emotions- wie problemorientierten Reaktionen einher, wodurch eine individuelle Neubewertung der Situation ermöglicht und ein krisen-präventiver Beitrag geleistet werden kann. Beispielsweise können subjektiv unangenehme Gefühle wie innere Angst durch Externalisierung nach außen getragen und besser ausgehalten werden. Zugleich ermöglicht die humorvolle Abarbeitung an einem Thema in Gemeinschaft ein zumindest kurzfristiges psychisches Entlastungsmoment und das Einnehmen einer kritischen Distanz.

Erstellerinnen und Ersteller haben somit die Möglichkeit mit ihrer Sichtweise auf ein Problem beziehungsweise eine Krise unmittelbar in einen niedrigschwelligen Austausch mit anderen zu gelangen, die von der Krise ebenfalls betroffen sind. So wird ein Gefühl dafür erzeugt, dass es anderen ähnlich geht.

MEDIEN360G: Was muss ein Meme haben, um förderlich in Krisenzeiten zu sein oder zu werden?

Prof. Dr. Judith Ackermann: Memes leben davon, dass ihre Inhalte über verschiedene Plattformen hinweg von einer Vielzahl von Nutzerinnen und Nutzern geteilt werden, wodurch sie eine große Reichweite erzielen. Dies wird begünstigt durch ihre Fokussierung auf ein zentrales Kommunikationsanliegen und den Einsatz von Humor. Auf diese Weise sind sie schnell erfassbar, was zu verstärkter Interaktion mit den Inhalten führt. Erstellerinnen und Ersteller haben somit die Möglichkeit, mit ihrer Sichtweise auf ein Problem beziehungsweise eine Krise unmittelbar in einen niedrigschwelligen Austausch mit anderen zu gelangen, die von der Krise ebenfalls betroffen sind. So wird ein Gefühl dafür erzeugt, dass es anderen ähnlich geht wie einem selbst, was ein ganz wesentliches Moment in der Krisenbewältigung ist. Dies betrifft rezipierende, kommentierende und weiterteilende Personen gleichermaßen. Zusätzlich finden Memes an digitalen Orten beziehungsweise in sozialen Medien statt, welche verstärkt jüngere Menschen erreichen, die in Bezug auf die Bewertung von und den Umgang mit Krisen besonders herausgefordert sind.

MEDIEN360G: So gesehen wäre diese Form der „Bewältigungsstrategie“ also auch auf sämtliche Krisen und Ereignisse übertragbar?

Prof. Dr. Judith Ackermann: Prinzipiell können Memes für den Umgang mit unterschiedlichsten Krisen produktiv gemacht werden. In Bezug auf die erfahrene Resonanz und die damit verbundene Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls im Sinne eines Unterstützungsmoments, eignen sich natürlich gesellschaftliche und überindividuelle Krisen sowie solche, denen Menschen auf ihrem Lebensweg mit großer Wahrscheinlichkeit begegnen, besonders gut für eine Bearbeitung mit Memes. Jedoch kann das Prinzip natürlich auch eingesetzt werden, ohne überhaupt die Inhalte in sozialen Medien teilen zu wollen, sondern nur, um für sich selbst ein Reflexionsmoment zu erzeugen.

MEDIEN360G: Worin sehen Sie angesichts von Krisen das eigentliche Potential von Memes?

Prof. Dr. Judith Ackermann: Memes liefern einen kreativen Baukasten, der es einem unkompliziert erlaubt, in kürzester Zeit Gedanken und Emotionen in Schrift und Bild zu fassen und durch die Verschlagwortungspraktiken in Sozialen Medien öffentlich sichtbar in übergeordnete Diskurse einzubetten. Auf diese Weise haben sie großes Potenzial in kürzester Zeit mit Personen in Austausch zu kommen, für die das gemeinsame Thema ebenfalls ein Anliegen ist. Sie eignen sich damit für vielfältige Kommunikationsbedarfe, beinhalten durch ihre ironisch-humoristische Gestaltung jedoch immer einen gewissen Schutzraum für eine spätere Distanzierung von den kommunizierten Inhalten. Somit können sie gerade für Personen ein Kommunikationsvehikel sein, die sich sonst nicht über persönliche beziehungsweise gesellschaftliche Probleme (öffentlich) äußern würden.

Liebe Judith Ackermann, vielen Dank für das Interview, für Ihre Einblicke und Erkenntnisse zu diesem Thema.

Hilfe und Beratung in Krisenzeiten

Online-Beratung und telefonische Hilfe

Stiftung Deutsche Depressionshilfe – Info-Telefon Depression: 0800 3344533
Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr
Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr

Krisenchat für junge Menschen unter 25: krisenchat.de
Individuelle Krisenberatung per WhatsApp und E-Mail rund um die Uhr und kostenlos: jugendnotmail.de

Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren: bke-jugendberatung.de
Eltern mit Kindern bis 21 Jahren: bke-elternberatung.de
Beratung und Begleitung per Mail, Forum Einzel- oder Gruppenchat erhalten – kostenfrei, anonym und rund um die Uhr erreichbar

Hilfe und Patientenservice: 116 117
Ärztlicher Bereitschaftsdienst für medizinische Hilfe in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen.

Wenn du dich in einer akuten Krise befindest, wende dich bitte an deinen behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder wähle den Notruf: 112.

Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar und kostenfrei: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222