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"An Themen mangelt es uns noch nicht"Wie TV-Kulturmagazine auf die Corona-Krise reagieren

28. April 2020, 11:16 Uhr

Die Kinos, Theater und Museen sind dicht, und das trifft auch die Kulturmagazine im Fernsehen. Viele Themen brechen weg, einige Sendungen pausieren derzeit sogar. Andere Redaktionen produzieren oder planen Übergangsformate - und können dem Druck, der jetzt bei der Themenfindung entsteht, auch etwas Positives abgewinnen.

von René Martens

Moderation aus dem Wohnzimmer

Was der Italiener Massimo Vitali auf seinen Fotos zeigt, würde man jetzt gern in Wirklichkeit sehen. Es sind Wimmelbilder von Menschenmassen, die vor allem an Meeresstränden entstanden sind. Ein Beitrag über dessen neues Buch zu drehen und damit an die Zeiten zu erinnern, "als Menschen noch sorglos eng beieinander sein konnten", liegt durchaus nahe.

Zu sehen ist er in der Sendung "Culture @home", die am 17. April bei Arte online gestartet ist. Die erste Folge entstand bei Moderatorin Bianca Hauda zu Hause. Mal sieht man sie mit Rollschuhen durch ihre recht feudal anmutende Wohnung fahren, mal spielt sie mit ihrer Katze.

"Culture @home" ist keine neue Sendung im üblichen Sinne, sondern eine Art Corona-Produkt, eine Zwischenlösung. Vorgesehen sind erst einmal zwölf wöchentliche Ausgaben, jeweils 15 bis 18 Minuten lang. Denn bei Arte bricht die Corona-Pandemie mitten hinein in die geplante Reform der Kulturmagazine. Eigentlich wollte der deutsch-französische Sender am 10. April mit einer neu konzipierten europäischen Kultursendung an den Start gehen. Titel: "Twist". Das Vorgängermagazin "Metropolis" war am ersten April-Sonntag zum letzten Mal zu sehen. "Metropolis" lieferte einen bunten Strauß an Themen. Das Konzept für "Twist" lautet dagegen: ein Ort, ein Thema, mehr Debatte. "Die Idee dahinter ist: Wir gehen in eine europäische Metropole und berichten nicht über Kultur, sondern wollen mittendrin sein", sagt Claire Isambert, die Leiterin der Kulturredaktion bei Arte.

Das Problem: So ein Konzept lässt sich derzeit natürlich gar nicht umsetzen. "Gerade in der Zeit, wo die Kultur leidet", habe man aber trotzdem mit Kulturberichterstattung präsent sein wollen, sagt Isambert. Deshalb habe man "Culture @home" in einer "Rekordzeit von zwei Wochen" auf die Beine gestellt. Auch unicato, das Kurzfilmmagazin des MDR, hat sich für das Weitermachen entschieden: In der Nacht vom 13. zum 14. Mai 2020 kommt "unicato bleibt Zuhause" um 00:20 Uhr im MDR-Fernsehen. Einen Tag zuvor wird es schon in der ARD-Mediathek zu sehen sein.

Manche Magazine pausieren

Die Pandemie trifft Kulturmagazine in ihrem Kernbereich: Weil Filmstarts verschoben und Theatervorstellungen abgesagt werden und viele Museen und Galerien weiter geschlossen haben, brechen ihnen viele ihrer Standardthemen weg. Da die Kinos dicht sind, pausiert im MDR Fernsehen derzeit zum Beispiel "MDR Kultur - Filmmagazin". "Capriccio", die Kultursendung im Dritten Programm des Bayerischen Rundfunks, ging wenige Tage nach dem Lockdown in die Pause. Das WDR-Pendant "Westart" lief am 21. März zum vorerst letzten Mal. Man habe die Sendung erst einmal ausgesetzt, um "Ressourcen vorzuhalten, um auf mögliche krankheitsbedingte Engpässe reagieren und gegebenenfalls den Newsroom verstärken zu können", sagt WDR-Sprecherin Stefanie Schneck.

Gegen diese Zwangspause protestierten 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Brief an Ingmar Cario, den Hauptabteilungsleiter Programmmanagement. Dass die Entscheidung gefallen sei, "ohne ernsthaft über eine Havarie-Variante nachzudenken, ist für uns Autoren*innen und Moderator*innen schwer nachzuvollziehen", schreiben sie. Für so eine "Havarie-Variante" hat sich beispielsweise der Hessische Rundfunk (HR) entschieden: Dessen Magazin "Hauptsache Kultur" läuft seit dem 19. März in abgespeckter Form und ohne Moderation. Der Grund: Der Sender hat die meisten seiner Studios geschlossen.

Das merkte man kürzlich auch einer Sendung von "ttt - titel thesen temperamente" im Ersten an, die der HR verantwortete. Evelyn Fischer moderierte diese Ausgabe mal vom Dach und mal aus den leeren Fluren des Sendegebäudes. Der MDR, einer von insgesamt sechs Landesrundfunkanstalten, die sich an "ttt" beteiligen, setze dagegen weiter auf moderierte Sendungen im "coronagerechten Studiobetrieb", sagt Matthias Morgenthaler, der die MDR-Zulieferungen für die Sendung im Ersten verantwortet.

Morgenthaler leitet auch das Magazin 'artour' im MDR Fernsehen. "Was sich dort merklich verändert hat, sind die Kurzberichte im 'Kultourkalender‘", sagt er. "Die ausdrücklich als Empfehlungen unter anderem für Filme, Theater, Konzerte und Ausstellungen angelegten Beiträge haben sich seit dem Lockdown umorientieren müssen." Jetzt gibt es an dieser Stelle Empfehlungen für Theater-Streamings, Museums-Streamings, Online-Filmpremieren, Online-Lesungen.

Was sich noch geändert hat: Wenn man Kulturmagazine sieht, fühlt man sich manchmal wie auf einem Trip in die Vergangenheit. Christoph Bungartz, beim NDR Leiter der Kultur- und Wissenschaftsmagazine und damit auch zuständig für die "ttt"-Ausgaben, die sein Sender produziert: "Ein alter Vorwurf an die Kulturmagazine lautete, dass die Interviewpartner ständig vor einer Bücherwand platziert sind." Darauf hatten die Redaktionen reagiert, sich andere optische Umsetzungen einfallen lassen. Weil derzeit viele Gesprächspartner im Home Office hocken, lässt es sich bei den etwa per Skype oder Facetime geführten Interviews aber kaum vermeiden, dass im Hintergrund Regale dominieren. Hinzu kommt: Beiträge, die mit bildgewaltigen Ausschnitten aus neuen Filmen oder Theaterinszenierungen für optische Abwechslung sorgen können, haben die Redaktionen derzeit pandemie-bedingt nicht auf Lager.

Was aber durchaus möglich ist: Sich von der Pandemie nicht jedes Thema wegnehmen zu lassen. "ttt" sendete zum Beispiel kürzlich ein Porträt der Bratschistin Tabea Zimmermann. Anlass: Sie ist gerade mit dem Ernst-von-Siemens-Preis ausgezeichnet worden. Wann und ob die Verleihung stattfindet, ist derzeit zwar unklar. Weil es sich hier aber um "eine Art Nobelpreis für Musik" handelt, der zudem mit 250.000 Euro dotiert ist, war das Thema für die Redaktion weiterhin relevant.

"Kultur braucht das Publikum"

"An Themen mangelt es uns noch nicht", sagt Christoph Bungartz vom NDR. Zumal die Branchenberichterstattung im weiteren Sinne auch in den kommenden Wochen noch einiges an Themen hergeben wird. Zuletzt lief bei "ttt" etwa ein Beitrag zu den krisen-bedingten Einbußen der Buchverlage. Auch Matthias Morgenthaler (MDR) ist, "was die Themenfindung für die Sendungen betrifft, noch nicht bange".

So zwiespältig es grundsätzlich ist, von der "Krise als Chance" zu sprechen: Kann dadurch, dass klassische Themen wegfallen, auch ein positiver Druck entstehen? Bungartz sagt: "Das ist ein legitimer Gedanke. Es ist derzeit manchmal viel Phantasie erforderlich, um aus einer Themenidee einen Beitrag zu machen. Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, wir hätten vorher im Trott des Immergleichen verharrt und seien jetzt plötzlich kreativ geworden." Matthias Morgenthaler vom 'Artour’-Magazin meint dazu: "Aus der Suche der Kunst und Kultur nach alternativen Vermittlungsformen und Wegen erwachsen auch für uns neue Themen und Fragen, im besten Falle auch neue Darstellungs- und Vermittlungsoptionen." Dennoch, so Morgenthaler: "Kultur braucht das Publikum, insofern freuen wir uns, wenn vielleicht einige Kultureinrichtungen wieder öffnen können. Da sehen wir Museen und Ausstellungen weit vorne." In vielen Bundesländern sollen Museen und Galerien schrittweise ab Anfang Mai wieder öffnen dürfen. In Sachsen-Anhalt soll es ab dem 4. Mai losgehen, in Thüringen dürfen Museen wie Bibliotheken bereits seit dem 27. April wieder öffnen. 

Auch Monika Grütters hat jetzt mehr Zeit

In der aktuellen Sendung von "Artour", die am Donnerstagabend lief, war Corona natürlich das bestimmende Thema. Ein Beitrag ging drauf ein, dass "die Corona-Hilfsprogramme an vielen selbständigen Künstlern vorbei gehen", ein anderer stand unter der Überschrift "Unterricht nach dem Shutdown – so geht es an den Schulen weiter". Bei der Produktion dieser Filme habe sich "ein kleiner Corona geschuldeter Bonus" ergeben, sagt Morgenthaler. Es sei "etwas leichter" als sonst gewesen, mit Bundes-Kulturstaatsministerin Monika Grütters und ihrem sächsischen Pendant Christian Piwarz (beide CDU) einen Interview-Termin zu vereinbaren. Auch Politikerinnen und Politiker haben derzeit halt weniger Termine als üblich.

Vieles ist derzeit im Fluss bei der Kulturmagazinproduktion: Beim MDR, so Morgenthaler, arbeite man derzeit "an einem den Corana-Verhältnissen angepassten Konzept" für das "MDR Kultur-Filmmagazin". Diese Übergangslösung bis zur Wiedereröffnung der Kinos könnte unter anderem "Webangebote, Filme und Dokumentationen der öffentlich-rechtlichen Anstalten und Premieren von On-Demand-Angeboten zum Inhalt haben". Beim BR kehrt "Capriccio" nach sechs Wochen Corona-Pause am 28. April wieder auf den gewohnten Sendeplatz im linearen Fernsehen zurück. Der genaue Zeitpunkt für den Restart von "Westart" ist noch unklar. Florian Quecke, Leiter des WDR-Programmbereichs Kultur und Gesellschaft, geht "aktuell davon aus, dass das Magazin im Mai zurückkommen wird und wir ausgefallene Sendungen möglichst im Sommer nachholen können." Der WDR nimmt damit eine Idee auf, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sendung in ihrem Protestbrief gegen die zwischenzeitliche Absetzung formuliert hatten. Man sollte, schlugen sie vor, "die ausgefallenen Sendungen als vorgezogene Sommerpause betrachten und stattdessen auf die ursprünglich geplante zwölfwöchige Sommerpause verzichten". Solche langen "Sendeferien" sind bei den Kulturmagazinen im Fernsehen nicht unüblich, bei "Hauptsache Kultur" dauerten sie im vergangenen Jahr dreieinhalb Monate.

Arte hat als Starttermin für sein lange geplantes neues Magazin "Twist" nun "Ende August, Anfang September" im Visier, wie Kulturchefin Claire Isambert sagt - wohl wissend, dass solche Vorhersagen derzeit schwierig sind. Mit dabei sein wird dann auch der MDR, der an der Vorgänger-Sendung "Metropolis" nicht beteiligt war. Er ist bei "Twist" dann unter anderem für Themen aus Osteuropa zuständig.

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