Fernsehstudio mit Sesseln. Außerdem der Schriftzug: Medien im Krisenmodus #Talkshow
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Fehlende Repräsentanz der Öffentlichkeit Talkshows - Wenn das Publikum fehlt

14. Mai 2020, 16:28 Uhr

Kommunikation, egal ob gleichberechtigt zwischen zwei Menschen, oder symbolisch zwischen Politik und kritischer Masse in den Medien, gehört zur Basis einer Demokratie. Das gilt selbst für Comedy und das Publikum als Klatschvieh. Aktuell sehen wir in den Talk- und anderen TV-Shows, wie sehr diese Kommunikation fehlt.

Montag, der 11. Mai 2020 bei Hart aber fair. Neben Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der qua Bildschirm zugeschaltet ist und etwas verloren ins Leere sinniert, weil er den Kopf nicht aus dem Fernseher stecken und die anderen vier Gäste anschauen kann, sitzt der Präsident der Industrie- und Handelskammer NRW.  Thomas Meyer verteidigt die Subventionierung der Autowirtschaft. Die Linken-Politikerin Katja Kipping stellt seiner Aussage das Beispiel Dänemark entgegen, wo Firmen, die in diesen Zeiten schwerreichen Menschen Boni zahlen, eben nicht staatlich unterstützt werden – eigentlich ein klassischer Zeitpunkt für Applaus aus dem Publikum.

Das Studiopublikum als Vertretung der Öffentlichkeit

Aber das ist ja nicht da, das Publikum. Das sitzt zu Hause, und fühlt sich noch mehr übergangen als ohnehin. Denn diese wenigstens kleine Repräsentanz als Vertreterinnen und Vertreter der Öffentlichkeit fällt gerade komplett aus. Bei politischen Talkshows wie Hart aber fair, Anne Will, Maischberger oder Maybrit Illner; bei Unterhaltungssendungen wie der ZDF heute show oder der Ladies Night in der ARD, in der eigentlich klassische Stand-Up-Comedy vor einem Saalpublikum hätte stattfinden sollen. Die Florian Schröder Satireshow dagegen hat sich einige wenige Gäste mit Maske und Abstand ins Studio gesetzt, deren schwächliches Klatschen zwar bestens zu den Gags passt, aber garantiert anders gedacht war. Ein wenig sieht es durch die Masken zudem aus, als hätte eine missmutige Panzerknackerbande das Studio gestürmt: Das ist ein Ba-Ba-Ba-Ba-Banküberfall.

Die Privatsender behelfen sich ähnlich. Die angebliche Talentshow Deutschland sucht den Superstar fand zeitweilig im verwaisten Studio statt, in dem die Kandidatinnen und Kandidaten sich verloren, und die Jury um Stimmung rang. Und beim Fußball hat man sich ebenfalls auf Geisterspiele eingeschossen: Die Fans können weder jubeln, noch pfeifen, weder Hymnen singen, noch zündeln. Kein Stadionflitzer, nirgends.

Die Comedy steht vor besonderen Herausforderungen

Es wäre also momentan die richtige Zeit, um eine Qualitätsstudie zur Funktion der Anwesenheit von Publikum in Live-Situationen zu erstellen. Wobei es sich dabei um mehrere getrennte Studien handeln müsste: Die Gags und Punchlines von Satirikerinnen und Satirikern oder Stand-Up-Comedians sind auf Reaktion gestrickt. Denn so ist die Dramaturgie eines Witzes angelegt: Man erzählt, kommt zur Pointe, und erhält als Belohnung das Lachen des Gegenüber. Ein gutes Beispiel dafür, wie eine dadurch entstehende Kommunikation auch einseitig geführt werden kann, lieferte Billy Wilder in einer Szene seiner legendären Komödie Some like it hot, in der Jack Lemmon in Drag ins Hotelzimmer zu seinem Bandkollegen Tony Curtis zurückkehrt, und den folgenden, hochkomischen Dialog immer wieder mit dem Rasseln seiner Maracas unterbricht – Regisseur Wilder hatte ihn dazu angehalten, weil er wusste, dass die Hälfte der Gags ansonsten im Gelächter des Kinopublikums untergehen würde.

Nun sind die Wilder-Punchlines aber auch tadellos. Was man von den meisten der Fernsehwitzeleien nicht sagen kann – hier sind die eingeblendeten lachenden Zuschauerinnen und Zuschauer ein probates Mittel, um die angebliche Qualität der Unterhaltung zu zementieren: Menschen sind üblicherweise (auch vor der Glotze) Kontaktlachende, amüsieren sich also am meisten, wenn um sie herum kräftig gegackert wird, egal, ob sie den Witz verstehen und gutheißen oder nicht. Fällt dieses Mittel flach, braucht man als Comedian eine Menge Selbstbewusstsein, um überzeugend weiter zu flachsen. Zumal die meisten TV-Comedians auf echten Bühnen vor echtem Publikum angefangen haben oder immer noch auftreten – also eine direkte Reaktion gewöhnt sind. Und oft auch brauchen.

Die Generation YouTube ist anders

Anders verhält sich hier die Generation, die bei YouTube, also ebenfalls ohne direkte Reaktion des Publikums, gelernt hat: Die YouTuberinnen und -Tuber schneiden eh alle potentiellen Lach-Pausen und Atmer aus ihren „Comedy Rants“ heraus – und missachten damit bewusst eine Reaktion der Followerinnen und Follower, der sie sich eh nicht sicher sein können. Sie sind es gewöhnt, dass ihre Fans über Posten, Liken und Abonnieren kommunizieren. Das ist zwar eventuell ehrlicher, als bei den aufs Amüsieren abonnierten Fernsehcomedy-Besucherinnen und Besuchern: Diese lachen, einfach nur damit niemand denkt, sie hätten den Witz nicht verstanden oder damit sie nicht als Steingesichter im Fernsehen auffallen. Dennoch passiert die Kommunikation zwischen YouTuberinnen und Youtubern und Zuschauerinnen und Zuschauerm auch nicht umgehend in Echtzeit.

Die zu Polittalkshows geladenen Politikerinnen und Politiker sind dagegen vermutlich sowohl das öffentliche Sprechen vor Publikum, als auch das Verhandeln hinter verschlossenen Türen ohne Publikum gewöhnt. Doch auch sie müssen aktuell damit leben, dass die Talkshows eher diesem zweiten Szenario dienen. Bei dem das Publikum höchstens durch vorher aufgezeichnete oder per Chat eingesandte Fragen, also über Bande, präsent ist.

Die Demokratie leidet unter dem langen Schweigen

Die Gefahr dieser momentan fehlenden Repräsentanz der Öffentlichkeit zeigt sich auch in der sich aktuell abzeichnenden Spaltung der Gesellschaft. Egal ob es um finanzielle Unterstützung, Solidarität oder Protest-Vereinnahmung durch so genannte „Aluhüte“ geht: Dass bei den vielen problematischen Themen, die verhandelt werden müssen, kaum jemand der Betroffenen direkt zugegen ist, macht die Situation nicht besser. Die Öffentlichkeit sieht sich nicht mal mehr, wenn „die da oben“ miteinander sprechen. Sie fühlt sich abgehängt. Und rennt mit etwas Pech zur nächsten Live-Demonstration gegen Corona-Regeln, weil dort immerhin echte Menschen miteinander agieren. Auch wenn viele von ihnen demokratiefeindlich eingestellt sind. Kommunikation, auch und gerade mit dem TV-Publikum, ist wichtig. Hoffentlich übersteht unsere Demokratie das lange, notgedrungene Schweigen.

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