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Interview mit Journalistik-Professor Holger WormerParallelen zwischen Journalismus und Wissenschaft

07. Mai 2020, 18:36 Uhr

In der Corona-Krise kommt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine ganz besondere Rolle zu. Sie sind in den Medien quasi omnipräsent. Für manche ist es allerdings eine zwiespältige Erfahrung, plötzlich so etwas wie Medienstars zu werden. Das Verhältnis Journalismus und Wissenschaft ist also nicht unkompliziert. Dabei haben die beiden Welten viel Gemeinsames, sagt Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund.

von Steffen Grimberg

Das scheint auf den ersten Blick nicht so. Journalismus will aktuell über klare Ergebnisse und abgeschlossene Ereignisse berichten. Die Wissenschaft dagegen forscht. Das kann schon mal länger dauern. In der Corona-Krise erwarten nicht nur die Medien von der Wissenschaft Wunder: Sie soll umgehend gesicherte Fakten liefern und belastbare Prognosen aufstellen, an denen sich dann unter anderem auch die Politik orientiert.

Virologe Christian Drosten tritt Debatte los

Tun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dies, werden sie von einigen Medien als diejenigen hingestellt, die in Wahrheit Politik machen und zuviel Einfluss hätten. Dem Berliner Virologen Christian Drosten ist dabei der Kragen geplatzt: Er kritisierte in seinem NDR-Podcast schon Ende März die Medienberichterstattung und sinnierte über einen „geordneten Rückzug“ aus den Medien. Man bewege sich bereits „jenseits der Vernunft in dieser mediengeführten Öffentlichkeit.“ Viele Medien wiesen Drostens Einlassungen als unzulässige Pauschalkritik zurück.

Daraufhin entbrannte eine heftige Diskussion, wer denn hier den Bogen überspannt habe. Um die Geschichte abzukürzen: Drosten ist immer noch mit seinem Podcast beim NDR zu hören.

Keine Gegnerschaft aufbauen

Holger Wormer sagt, es sei wichtig, dass hier keine „Gegnerschaft“ zwischen Wissenschaft und Medien aufgebaut werde. Vielmehr ginge es um Respekt für die jeweils andere Seite - auch was ihre Arbeitsbedingungen und Zwänge angeht. In der Wissenschaft fehlt es nach Wormers Meinung beispielsweise an genauerer Kenntnis und damit auch an Verständnis für die „Drucksituationen“, unter denen die Medien arbeiten müssten. Daher gebe es hier und da Kritik an dem Umgang der Medien mit Wissenschaftsthemen. „Da ist eben nicht möglich, bei jedem Zwischenergebnis zu sagen: Wir warten noch mal drei Monate, bis dann ein begutachtetes wissenschaftliches Paper publiziert ist.“

Es gehe vielmehr um eine „produktive Koexistenz, wo der eine Sparringspartner für den anderen sein kann“, sagt Wormer. Denn dann würde die Öffentlichkeit am meisten von den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung und ihrer für alle verständlichen „Übersetzung“ durch und in den Medien profitieren.

Denn Wissenschaft und Journalismus hätten „wesentlich mehr Berührungspunkte, als man das so zunächst ahnt“, so Wormer im Interview mit MDR MEDIEN360G. „Eine gute journalistische Recherche ist durchaus mit dem Vorgehen bei einer wissenschaftlichen Recherche vergleichbar“. Lediglich die Dauer sei unterschiedlich: Während Medien meist sehr aktuell berichteten, könne und müsse sich die Wissenschaft mehr Zeit nehmen. „Aber ansonsten sind sich die beiden Bereiche erst mal sehr ähnlich“, so Wormer.

Medien und Wissenschaft müssen ihre Standards einhalten

Wer sich für Qualitätsjournalismus interessiere, habe „eine große Schnittmenge mit Menschen, die an Qualitätswissenschaft interessiert sind“. Problematisch werde es, wenn der Journalismus „seine Standards verlässt und ein Thema nicht von verschiedenen Seiten beleuchtet oder fundiert nachfragt“. Das wäre im Umkehrschluss allerdings auch in der Wissenschaft fahrlässig, betont Wormer. Denn in beiden Bereichen komme es darauf an, alle Aspekte zu berücksichtigen und nichts wegzulassen. Manche Journalistinnen und Journalisten hätten vielleicht das Gefühl, der Wissenschaft nicht gewachsen zu sein. „Hier sage ich: Nur Mut!“, so Wormer; „Wie schwierig ist denn jetzt eigentlich Wissenschaft?“ Von Wirtschaftsjournalistinnen und -journalisten werde ja auch nicht erwartet, dass sie ein Unternehmen, über das sie berichten, besser leiten als dessen Vorstand. „Man muss sich einfach trauen“, auch jetzt zum Thema Corona „genauso nachzufragen und genauso nach weiteren Experten und Expertinnen zu suchen, um dann ein möglichst klares Bild zu bekommen“, sagt Wormer.

Der promovierte Chemiker Holger Wormer war lange Jahre selbst als Wissenschaftsjournalist tätig, unter anderem bei der Süddeutschen Zeitung und für die Deutsche Presseagentur (dpa). Seit 2004 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund.

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