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Medien im Krisenmodus"Officehome": Wohnen beim ORF

22. April 2020, 18:59 Uhr

Überall arbeiten Medienschaffende im Homeoffice. In den "Newsrooms" der US-amerikanischen oder Londoner Zeitungen herrscht gespenstische Leere. In Ländern wie Österreich zogen die für den Betrieb relevantesten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sogar in den Sender. Und obwohl durch die Corona-Krise Werbeeinnahme bei vielen Zeitungen drastisch eingebrochen sind, stellen namhafte Titel wie die New York Times ihre Artikel wieder kostenfrei ins Netz.

von Steffen Grimberg

Sender-WG: Die Isolationszonen beim ORF

Der öffentlich-rechtliche Österreichische Rundfunk (ORF) machte ab dem 21. März ernst und richtete so genannte "Isolationsbereiche" für Mitarbeitende ein, die für den Sendebetrieb unabdingbar sind. Zwar arbeitet die Mehrheit beim ORF aktuell auch im Homeoffice. Doch für andere heißt es jetzt "Officehome", denn sie sind sozusagen an ihren Arbeitsplatz im Sender gezogen und schlafen auch dort. "Die Programme des ORF sind die wichtigste Informationsquelle der Österreicherinnen und Österreicher in der Zeit der Corona-Krise", so ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Der ORF habe gerade jetzt den Auftrag, die Menschen unter allen Umständen mit umfassender Information zu versorgen. "Wir werden alles Mögliche tun, um den Sendebetrieb in Radio, Fernsehen und Online national und regional bestmöglich abzusichern. Daher setzen wir Maßnahmen, die in der Geschichte des ORF ohne Beispiel sind", so Wrabetz weiter.

In allen wichtigen Bereichen wurden daher abgeschlossene Isolationsbereiche eingerichtet, in denen die Mitarbeitenden "bestmöglich abgeschottet" arbeiten. Sie müssen sich rund um die Uhr in diesen Isolationsbereichen aufhalten, dort auch übernachten und werden natürlich verpflegt. Vor ihrem "Einzug" werden sie medizinisch untersucht. Tägliches Fiebermessen ist Pflicht. Mittlerweile wurden die Teams mehrfach ausgewechselt. Die Isolationszonen an den verschiedenen Standorten des ORF, in denen sich pro Turnus insgesamt rund 250 Mitarbeiter befinden, sollen mindestens bis zum 10. Mai bleiben.

Moderator Armin Wolf findet das Officehome nicht so toll

So kommen auch die ZiB 2, die österreichischen "Tagesthemen" aus dem Isolationsbereich in der Wiener ORF-Zentrale. Die "Insassen" bloggen über ihre Erfahrungen im Netz. Der bekannte ORF-Moderator und stellvertretende Fernseh-Chefredakteur Armin Wolf gehörte zu den Ersten im Isolationsbereich. Sein Fazit nach zwei Wochen: "Wichtigste Erkenntnis: Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit/Privatleben ist viel entscheidender als ich dachte. Viele Menschen bemerken ja dieser Tage, dass Homeoffice gar nicht so toll ist, wie sie sich das vorgestellt hatten. Officehome ist definitiv nicht toll."

US-Medien stehen vor einer besonderen Herausforderung

In den USA und international profitieren Leserinnen und Leser von den besonderen Umständen. In den vergangenen Jahren sind mehr und mehr Netzangebote namhafter Titel wie der New York Times oder der Washington Post hinter Bezahlschranken, so genannten Pay-Walls verschwunden. Aus Sicht der Blätter ist das nötig, weil mit den Online-Werbeeinnahmen allein ein solches Angebot nicht finanziert werden kann. Doch das führt zu einem Dilemma, dass das bekannte Magazine The New Yorker auf den Punkt brachte: In einer Zeit, in der gut recherchierte, vertrauenswürdige Information so wichtig ist wie selten zuvor, sei sie nicht frei verfügbar. "Es ist ein Problem, wenn der größte Teil der besten Artikel und Beiträge hinter einer Paywall ist", schreibt das Magazin. Denn dies schließe nicht so solvente Nutzerinnen und Nutzer aus und damit vom Informationsstrom ab. Anders als in Deutschland gibt es in den USA keinen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dazu kommt ein erhöhter Aufklärungsbedarf, weil US-Präsident Donald Trump in seinen Pressekonferenzen und "Corona-Briefings" die Bevölkerung nachweislich falsch bzw. unvollständig informiert.

Große Zeitungen schalten teilweise Bezahlschranken im Netz aus

Daher haben Titel wie die New York Times, die Washington Post, die Wirtschaftzeitung Wall Street Journal und auch Magazine wie The Atlantic oder auch The New Yorker selbst ihre Pay-Walls abgesenkt. Die meisten Artikel zur Corona-Krise sind bei allen bis auf weiteres ohne Bezahlpflicht zu lesen. "Es bleibt aber unklar, wie lange die Verlage dies durchhalten können", merkt The New Yorker kritisch an. Diese Aktion der großen Titel kann auch nicht die oft fehlenden Informationen auf regionaler oder lokaler Ebene ersetzen. Wegen der Zeitungskrise hat nach Angaben der Hussman School of Journalism and Media an der Universität von North Carolina in den letzten Jahren jede fünfte Lokalzeitung ihr Erscheinen eingestellt.

Der britische Guardian bleibt online kostenlos

In Großbritannien unterstreicht der von einer Stiftung finanzierte Guardian die Bedeutung des freien Zugangs zu Qualitätsjournalismus: Er stellt alle seine Inhalte weiter kostenlos ins Netz und bittet Nutzerinnen und Nutzer um freiwillige finanzielle Unterstützung oder regelmäßige Abonnements. Mit einem "Versprechen an unsere Leserinnen und Leser" hatte sich Guardian-Chefredakteurin Katherine Viner schon vor einem Monat zu Wort gemeldet. "Wir werden euch die Informationen liefern, die ihr braucht", so Viner. "Wir wissen, dass ihr die wilden Spekulationen in den sozialen Medien und von lauten TV-Populisten verwirrend findet." Der Guardian werde dagegen halten, aber vor allem auch hören, was seine Nutzerinnen und Nutzer denken: "Wir werden auf unsere Leserinnen und Leser hören. Sie stellen die entscheidenden Fragen und geben uns Einblicke in ihr Leben und ihre Bedürfnisse". Am für alle frei zugänglichen Angebot werde nicht gerüttelt, so Viner: "Wir beim Guardian sind der festen Überzeugung, dass hochwertiger Journalismus für alle verfügbar sein muss - nicht nur für die, die es sich leisten können." Diese Politik kommt auch der internationalen Reichweite des Guardian zu Gute. Das Blatt aus London, das im Netz eine eigene USA-Ausgabe hat, gehört heute zu den meistgelesenen Titeln in den USA.

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