Carsten Schneider, MdB SPD Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland
Ostbeauftragter Carsten Schneider (SPD) ermutigt Ostdeutsche, sich selbst zu vertrauen. Bildrechte: Inga Haar

Interview Energiepreise: Wie viel Krise vertragen die Ostdeutschen?

07. Oktober 2022, 17:43 Uhr

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider sagt im Interview mit MDR SACHSEN, warum sich die Ostdeutschen auch in der Energiekrise selbst vertrauen können. Der SPD-Politiker spricht aber auch darüber, wie ihn die niedrigen Zustimmungswerte zur Demokratie im Osten bedrücken, Ältere gehört werden sollten und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ein politischer Feind ist.

Frage: Herr Schneider, Ihr Bericht zeigt, dass in Westdeutschland nur noch 59 Prozent, im Osten nur 39 Prozent mit der Demokratie zufrieden. Was machen Sie mit so einem Ergebnis?

Carsten Schneider: Verdaut habe ich das noch nicht, die Zahlen sind frappierend. Im Osten hatten wir ohnehin schon ein geringeres Ausgangsniveau gehabt. Andererseits, als ich zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt durch die Stadt gelaufen bin, waren alle Begegnungen positiv. Ich glaube die niedrige Zustimmung liegt ein bisschen abstrakt an der aktuellen Lage. Die Zustimmung, die ich zum Tag der Deutschen Einheit erfahren habe, aber auch andere Kollegen, war eigentlich ganz gut. Vielleicht war es auch nur eine Scheinwahrnehmung. Es bedrückt mich jedenfalls.

Gerade ältere Ostdeutschen kennen noch Mangelwirtschaft und Stromausfall. Vielleicht haben Sie die gelassenen Menschen getroffen, die sagen: Wird schon!

Es kamen Besucher aus West und Ost - gemischt. Doch natürlich haben wir im Osten einen anderen Erfahrungshintergrund. Wir kennen nicht nur den Überfluss. Viele hatten damals gelernt, aus dem Nichts etwas zu machen. Und sich Materialien und Dinge zu besorgen, um die eigene Arbeit zu erledigen. Das gehörte ja leider zur Kernkompetenz dazu. Um die Dramatik herauszunehmen: Dazu wird es in Deutschland nicht kommen. Die Energieversorgung werden wir sichern. Dazu haben wir Gesetze gemacht, die alle Gesetze aushebeln. Um zum Beispiel in die Ostsee Flüssiggas-Terminals reinzusetzen, damit wir unabhängiger sind.

Doch es ist eine verstörende Zeit, weil wir das erste Mal wieder Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft haben. Gerade auf die Älteren sollten wir jetzt hören. Sie sind sehr zurückhaltend und nicht mit Trommeln unterwegs, wie ich das bei dem einen oder anderen, gerade auch jüngeren Journalisten, hier in Berlin erlebe.

Sie werden als Stimme am Ohr das Kanzlers bezeichnet. Was sagt der dazu? Oder was sagen Sie dem Kanzler, wenn Sie solche Umfragewerte auf den Tisch bekommen?

Das habe ich mit ihm besprochen: seriöse Politik machen. Nicht darauf achten, dass Fotos perfekt inszeniert sind. Das haben der ein oder andere relevante Politiker aus meiner Sicht zu sehr im Blick, sondern Lösungen anbieten für eine sichere Energieversorgung und verhindern, dass wir in den Krieg hineingezogen werden. Gleichzeitig natürlich, wirtschaftliche Maßnahmen ergreifen, damit allein erziehende Mütter ihre Rechnungen bezahlen können, ohne Angst zu haben, aus der Wohnung zu fliegen.

Was meinen Sie konkret, Gaspreisdeckelung, Wohngeld?

Die Gaspreisdeckelung ist ja erst ein Ergebnis der letzten Woche. Das habe ich schon sehr früh vorgeschlagen. Die Verdreifachung des Wohngeldes ist richtig, hilft aber Handwerksunternehmen nicht, die ihre Preise kalkulieren müssen. Oder Wäschereien, die Wäsche waschen müssen und jetzt extreme Gasrechnungen haben. Alles hängt miteinander zusammen. Das ist jetzt eine besondere Stresssituation, die sich meines Erachtens auf die Bevölkerung auswirkt.

Was können Sie mittelständischen Betrieben anbieten, was den Gaspreis anbelangt?

Das wird nächste Woche final entschieden. Doch es wird eine Deckelung des Preies geben. Jetzt müssen wir sehen, wie sich die Kosten gestalten. Wir importieren ja Gas aus Norwegen, Katar etc.. Das sind ja keine Konzerne, denen man etwas wegnehmen kann. Das sind Länder, die uns das Gas nicht geben, wenn wir den Preis nicht zahlen. Das heißt, es darf zu keiner Überforderung des Staates kommen, dann sind wir nicht mehr kreditfähig. Das sind heikle Operationen und Interessenausgleich. Mein Ziel ist es, dass wir 50:50 rausgehen. Viele Unternehmen haben sich jetzt darauf eingestellt und wissen, dass sie einen Teil tragen müssen. Aber nicht alles. Alles würde nicht gehen. Da würde Putin gewinnen, der uns den Garaus machen will.

Vergangenes Wochenende sind in Gera 10.000 Menschen bewusst dem rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke hinterher gelaufen. Wie beurteilen Sie das?

Das sind Antidemokraten, die den Grundgesetz-Konsens verlassen haben. Die Zahl ist beängstigend. Wer Höcke hinterherläuft, weiß, dass er einem Feind unseres sozialen Rechtsstaates und auch der Demokratie hinterherläuft. Da weiß ich auch nicht, ob man solche Leute überhaupt zurückgewinnen kann. Denn nur aus Frust wird ja keine positive Aktion. Herr Höcke hat eine klare Agenda. Die ist ganz klar die Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland - und ihn als Führer. Das ist das Letzte, was ich will. Er ist ein politischer Feind, um es klar zu sagen.

Das hatten wir vor 70 Jahren, das will ich auf keinen Fall wieder. Doch ich verteile in keiner Form, wenn Menschen demonstrieren, die einfach Sorgen haben. Ich kann es verstehen, dass vielen jetzt die Existenznot ins Gesicht geschrieben steht – und die dafür ein Ventil brauchen. Aber bitte, es gibt auch Demonstrationen des Gewerkschaftsbundes und anderer Organisationen.

Was geben Sie jetzt den Ostdeutschen mit auf den Weg, die Angst vor der Zukunft haben?

Das Vertrauen in sich. Wir haben ja schon etwas ganz anderes geschafft: Den kompletten Verlust eines Staates, die Unsicherheit, was da passiert, aber letztlich auch die Freiheit, sich zu nehmen und ein ganz neues Leben zu beginnen. Das haben ja fast alle bei uns getan und geschafft, ohne, dass sie mit einem goldenen Löffel oder Vitamin B aufgewachsen sind. Aus dieser Kraft kann man auch eine solche Krise – die zwar da ist, doch beileibe nicht die gleiche Herausforderung wie 1989/1990 und 1991 - meistern. Da bin ich zuversichtlich.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 04. Oktober 2022 | 10:00 Uhr

33 Kommentare

Rychlik am 08.10.2022

Holzdiebstahl hat massiv zugenommen, Plattenbauten ohne Schornsteine geplant werden gekündigt, die Leute wollen nicht frieren und ziehen aufs Land und verheizen nachwachsende Rohstoffe. Das hätte Peter und Paul nicht geträumt.

Peter Pan am 08.10.2022

Bei dieser ganzen Disskussion vermisse ich doch etwas,das einfach unter den Tisch gefegt wird. Nicht alle Heizungen in Deutschland heizen mit Gas, ca 30 prozent sind immer noch Ölheizungen, ca 5 prozent heizen mit Holz oder Holzpellets.
Diese 35 prozent werden bei der ganzen Disskussion aber überhaupt nicht berücksichtigt, der derzeitige Ölpreis liegt mittlerweile auf astronomisch hohem Niveau, der Preis einer Palette Holzpellets lag inkl. Anlieferung 2021 bei 240€, liegt derzeit in Thüringen beim günstigsten Anbieter bei 720€, die preise haben sich verdreifacht, aber das interesiert niemandem, es geht nur und immer wieder um die Gaspreise, alles andere ist nicht mehr existent. Warum wird die Mehrwertsteuer nicht für alle Heizmittel gesenkt?

nasowasaberauch am 08.10.2022

@Horst pauschalisiert. Ostdeutschland tickt im Verhältniss zu Russland anders und das hat nichts mit der AfD zu tun. Wer hier im Land auf welche Politiker hereinfällt oder hereingefallen ist, wird die Zeit zeigen. Nicht jeder, ich würde sogar behaupten eine kleine Minderheit macht sich Aussagen z.B. von Höcke zueigen. Es ist doch Gewerkschaften und Kirchen oder linksliberalen Gruppen unbenommen eine Plattform anzubieten. Die bekommen den Hintern aber selten hoch. Dann kommen die Moralisten und verurteilen von der hohen Warte herunter die politisch Unkorrekten, denen das Wasser bis zum Hals steht. Das ist Zynismus in Reinkultur.

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