Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft
219a ist seit einem halben Jahr Geschichte. An der Verfügbarkeit von Informationen und der Versorgungslage hat das jedoch nichts geändert. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Halbes Jahr ohne 219a Schwangerschaftsabbrüche noch immer Tabuthema für Frauenärzte

24. Dezember 2022, 10:24 Uhr

Am 24. Juni 2022 wurde mit der Streichung von Paragraf 219a das Verbot, Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu verbreiten, aufgehoben. Seitdem dürfen Frauenärzte und Frauenärztinnen auf ihren Webseiten nicht nur darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sondern auch weiterführende Informationen veröffentlichen - zum Beispiel zu Methode, Preis und Ablauf. Doch bis jetzt nutzen nur die wenigsten diese Freiheit, für die so lang gestritten wurde.

Elisabeth Winkler
Bildrechte: MDR/Elisabeth Winkler

Ein halbes Jahr nach der Abschaffung von Paragraf 219a hat sich an der Informationslage zu Schwangerschaftsabbrüchen wenig geändert. Eine stichprobenartige Recherche von MDR Aktuell hat gezeigt, Frauenärzte und Frauenärztinnen informieren auf ihrer Webseite nur selten darüber, wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder darüber, dass sie den Eingriff überhaupt anbieten. Dabei ist das schon seit 2019 erlaubt.

Selbst die Ärzte und Ärztinnen, die über eine Liste der Bundesärztekammer öffentlich gemacht haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, informieren darüber oft nicht auf ihrer eigenen Webseite. Sich auf die Liste der Bundesärztekammer setzen zu lassen, ist freiwillig. Das heißt auch, dass diese Liste nicht vollständig ist. 369 Ärzte und Ärztinnen sind dort eingetragen, dabei gibt es nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes derzeit bundesweit etwa 1.106 Stellen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Hintergrund: Meldestellen zur Schwangerschaftsabbruchstatistik Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sind durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz dazu verpflichtet, diese Daten zu melden. Die Zahl dieser sogenannten Meldestellen ist jedoch nur eine ungefähre. Zum einen melden zentrale OP-Praxen Schwangerschaftsabbrüche für mehrere Arztpraxen mit, zum anderen gilt eine Einrichtung bis zwei Jahre nach dem letzten Abbruch noch als Meldestelle, auch wenn sie das Verfahren vielleicht gar nicht mehr anbietet. Statistisches Bundesamt

Angst vor Abtreibungsgegnern

Angesichts dieser Zahlen wird klar: Nach wie vor gehen die wenigsten Frauenärzte offen damit um, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Nur etwa ein Drittel hat sich auf der Liste der Bundesärztekammer eingetragen - auch aus Angst, sagt Jana Maeffert. Die Berliner Frauenärztin und Aktivistin erklärt: "Die Leute haben Angst über die Liste der Bundesärztekammer von Abtreibungsgegnern gefunden zu werden".

Beratungsstellen wie profamilia haben Maeffert zufolge umfänglichere Listen, die nicht offen zugänglich sind. Das schützt die Praxen und Kliniken, bedeutet aber auch, dass Schwangere sich nicht umfänglich unabhängig im Netz informieren können. Sie sind auf die Informationen der Beratungsstellen angewiesen.

Nach Maefferts Einschätzung ist das gesamtgesellschaftliche Klima ein großes Problem: "Schwangerschaftsabbrüche sind noch immer hochstigmatisiert." Diese Stigmatisierung wirke sich sowohl auf die Betroffenen als auch auf die Ärzte und Ärztinnen aus. Dabei gebe es aber auch deutliche regionale Unterschiede: "Ich habe Kolleginnen in Bayern, die können dort keine Schwangerschaftsabbrüche anbieten, weil sonst die anderen Patientinnen wegbleiben." In Berlin wiederum kämen die Leute gerade deswegen in ihre Praxis.

Zu wenig Transparenz aus Zeitmangel

Auch die Frauenärztinnen und Frauenärzte auf der Liste der Bundesärztekammer informieren auf ihren eigenen Webseiten nur selten darüber, ob und wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ein Beispiel: Von 42 Anlaufstellen, die der Bundesärztekammer in Mitteldeutschland bekannt sind, haben 18 eine Webseite, doch nur eine dieser 18 informiert darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.

Jana Maeffert vermutet hinter diesem Phänomen vor allem pragmatische Gründe: "Ich denke Zeitmangel ist ein Faktor, oder dass die Ärztinnen nicht ohne Weiteres ihre Webseite anpassen können". Es sei auch eine Frage der Priorisierung und fachlichen Ausrichtung: "Ich mache auch Vieles, das ich auf meiner Webseite nicht explizit aufführe, weil es nicht mein Spezialgebiet ist."

Nach wie vor schlechte Versorgungslage

In den vergangenen 20 Jahren hat die Zahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, drastisch abgenommen. 2003 waren es nach Angaben des statistischen Bundesamtes noch etwa 2.050 Praxen und Kliniken, aktuell sind es noch ungefähr 1.106. Auch seit der Abschaffung von Paragraf 219a ist die Zahl der Meldestellen nicht signifikant gestiegen.

Die schwierige Versorgungslage liegt auch daran, dass mit dem Verschwinden von Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auch die Möglichkeiten für neue Ärzte den Eingriff zu lernen abnehmen.

"Wir müssen mehr Weiterbildungsmöglichkeiten schaffen. Aber das ist schwierig, wenn viele Praxen den Eingriff nicht durchführen, weil Schwangerschaftsabbrüche zwar straffrei, aber dennoch illegal sind", sagt Jana Maeffert. Besonders Kliniken müssten stärker in die Pflicht genommen werden, da angehende Gynäkologen und Gynäkologinnen meist dort ausgebildet würden.

Das finden auch die "Medical Students for Choice" in Halle. Carolyn Steinhaus, Vertreterin der Hochschulgruppe erklärt, dass es in Halle kein einziges Klinikum gebe, das Schwangerschaftsabbrüche durchführe, die nicht aus medizinischen Gründen notwendig seien.

Von den Studierenden wird auch kritisiert, dass Schwangerschaftsabbrüche im Studium nicht ausreichend thematisiert würden. "Als wir festgestellt haben, dass das Wort "Schwangerschaftsabbruch" eigentlich nur in einem Ethik-Seminar fällt, haben wir beschlossen uns zu organisieren", sagt Steinhaus. Denn weder im Fach Gynäkologie und Geburtshilfe, noch im Fach Pharmakologie werde das Thema behandelt.

Paragraf 218 noch immer das Hauptproblem

Nach Jana Maefferts Einschätzung ist die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, und damit die Abschaffung von Paragraf 218, grundlegende Voraussetzung für eine bessere Versorgungslage.

"Auch für das gesellschaftliche Klima ist es wichtig, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht länger Straftaten sind, die lediglich geduldet werden", sagt Maeffert. Sie müssten vielmehr als normaler Teil des Lebens anerkannt werden. Statistisch gesehen, habe jeder Mensch eine Person in seinem oder ihrem nahen Umfeld, die eine Schwangerschaft abgebrochen hat. "Es gehört zum Leben dazu - aber davon, dass das gesellschaftlich anerkannt wird, sind wir noch weit entfernt."

Auch Carolyn Steinhaus sieht die Abschaffung von Paragraf 218 als das eigentliche Ziel: "Dass Paragraf 219a abgeschafft wurde, ist eigentlich das Mindeste, deswegen kann ich da jetzt auch nicht besonders applaudieren." Nach ihrer Einschätzung schrecken die meisten Ärzte und Ärztinnen davor zurück, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, weil damit so viel Bürokratie und Stigma verbunden sei. Die Abschaffung von Paragraf 219a habe daran nichts geändert.

Schwangerschaftsabbrüche gehören zum Leben dazu - aber davon, dass das gesellschaftlich anerkannt wird, sind wir noch weit entfernt.

Jana Maeffert Frauenärztin und Aktivistin

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 23. Juni 2022 | 21:30 Uhr

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