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Angesprochen - AusgesprochenKrieg, Klimawandel, Flüchtlinge: "Realängste sind keine Spinnerei"

03. September 2022, 05:00 Uhr

Psychologe und Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer erklärt die Ängste der Bürger angesichts aktueller Krisen - und wie sie darauf reagieren. Der Beitrag ist Teil der Podcast-Reihe "Angesprochen - Ausgesprochen".

von Rainer Erices, MDR THÜRINGEN

Rund 50 Jahre sei es her, so sagt der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer, da hätten Experten begonnen, vor dem Klimawandel und den verheerenden Folgen für die Menschen zu warnen. Interessiert habe das die Gesellschaft kaum. Dabei seien die Gefahren, wie wir heute wüssten, real, eine Angst vor den Folgen der Erderwärmung berechtigt. Das Entscheidende sei also, so sagt Ottomeyer, der Umgang der Menschen mit derartigen Ängsten. Und gerade Realängste würden sehr häufig verleugnet.

Im Interview spricht Klaus Ottomeyer, der früher an der Klagenfurter Universität lehrte, über drei wesentliche Angstformen - in Anlehnung an Sigmund Freud. Gerade hat er ein Buch publiziert, das sich mit der Bedeutung dieser Ängste innerhalb gegenwärtiger Politik beschäftigt.

Drei Formen von Angst

Die sogenannte Realangst gebe uns wichtige Hinweise über Gefahren in der Realität. Menschen hätten beispielsweise Angst vor einer Corona-Infektion gehabt. Das sei "keine Spinnerei", sagt Ottomeyer. Die Menschen hätten sich vor einer Krankheit schützen müssen.

Viele Menschen hätten Angst vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs. Auch diese Angst sei "real", schon allein angesichts der hohen Anzahl an Atomwaffen in Russland. Viele Deutsche würden sich wegen hoher Energiekosten ernste Gedanken über den nächsten Winter oder ihre Zukunft allgemein machen. Auch das, so sagt der Sozialpsychologe, sei "kein Hirngespinst".

Wichtig sei, dass die Menschen diese Ängste wahrnähmen, um sich darauf einzustellen. Eine Bewegung wie Fridays for Future sei deshalb so wichtig, weil sie die Angst vor dem Klimawandel öffentlich zur Diskussion stellte. Die Gesellschaft sei damit aufgewacht, die Gefahren für die Zukunft würden weniger verleugnet.

Bedrohungen werden verleugnet

Wie stark Bedrohungen verleugnet würden, sagt Ottomeyer, lasse sich auch am Umgang mit Putin aufzeigen. Putin sei "nicht erst seit ein paar Monaten gefährlich". Man habe die Bilder der brutalen Bombardierung von Grosny in Tschetschenien gesehen, Massenmorde, Folterungen. "Wir haben aber irgendwie gedacht, das ist da irgendwie weit weg." Es war auch bekannt, dass Putin mit seiner Politik das Assad-Regime im Syrienkrieg unterstützte. "Man wusste das eigentlich alles und jetzt wundern sich alle, dass da ein brutaler Diktator uns auf den Leib rückt." Diese Beispiele zeigten, wie wir reale Ängste verleugnen und bagatellisieren.

Neurotische Angst

Als eine weitere Angst nennt Ottomeyer die neurotische Angst. Sie habe etwas mit eigenen inneren Konflikten zu tun, könne aber, für politische Zwecke in der Gesellschaft ausgenutzt, verheerende Folgen haben. Als Beispiel nennt der Psychologe Mythen, dass bei Corona-Impfungen Unschuldigen auf Geheiß von Bill Gates unbemerkt Chips eingepflanzt würden.

Oder die von Rechtsextremen geschürten Ängste über angebliche Rassenvermischungen. Sie bauten, so Ottomeyer, ebenso auf Hirngespinsten auf, wie die Sorgen vieler Deutsche, dass Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, uns alles wegnehmen würden. Die Empörung sei groß gewesen, als sich Angela Merkel öffentlich mit einem syrischen Flüchtling fotografieren ließ. Sofort sei der Neid ausgebrochen, "die kriegen alles, die kriegen die Aufmerksamkeit, wir kriegen nichts".

Derartige Verschwörungen beobachte er vor allem innerhalb der Feindbilder rechter Bewegungen, bei aggressiven Islamisten und auch jetzt bei Putin. Etwa, wenn dieser die Gesetze gegen "dekadente Homosexuelle" verschärfe.

Angst vor dem eigenen Gewissen

Bei der dritten Angst handele es sich um die Angst vor dem eigenen Gewissen. Es gebe natürlich gewissenlose Politiker, die sich etwa über Kranke öffentlich machten, wie Donald Trump beispielsweise. Dagegen stünden viele Menschen wie Flüchtlingshelfer, Vertreter von Hilfsorganisationen, also solche Menschen, die oft als Gutmenschen verspottet würden.

Zwar haben die meisten Menschen ein Gewissen. Jedoch versuchen viele, die eigenen Gewissensregungen abzuwehren.

Klaus Ottomeyer | Psychologe und Psychoanalytiker

Zwar hätten die meisten Menschen ein Gewissen. Jedoch versuchten viele, die eigenen Gewissensregungen abzuwehren, schließlich sei das Gewissen eine Art Spaßverderber. "Menschliche Spaßbremsen, die vom Leid und von der Not der Menschen berichten" seien eben oft unbeliebt.

All diese Ängste, sagt der Sozialpsychologe, spielten ineinander und wir müssten uns mit ihnen in differenzierter Weise auseinandersetzen. So sollten wir, so rät Ottomeyer, stets "einen Teil unserer Lebensenergie darauf verwenden", Gefahren wahrzunehmen und "die Gefährder zu stoppen oder zu schwächen". Im Moment heiße das vor allem, Putin Einhalt zu gebieten oder den Klimawandel zu verlangsamen.

(Buch: Klaus Ottomeyer: Angst und Politik. Sozialpsychologische Betrachtungen zum Umgang mit Bedrohungen. Psychosozial Verlag 2022)

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MDR (rom)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Samstagmorgen | 03. September 2022 | 06:10 Uhr

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