Personalmangel Versorgung an Kinderkliniken ist in Gefahr

06. Juni 2022, 09:51 Uhr

Der Personalmangel in deutschen Kliniken bleibt ein Dauerthema. Besonders dramatisch ist es offenbar in den Kinderkliniken. Ärzteverbände sprechen von teilweise akutem Personalmangel. Kinder müssten in andere Kliniken verlegt werden – manchmal bis zu 100 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt.

Ein Nachmittag im Wartebereich der Kinderklinik im Leipziger Uniklinikum. Eine Ärztin bestellt in der Cafeteria eine Cola – ein junger Vater kramt in seinem Rucksack nach Spielzeug für seinen Sohn. Im Moment ist es hier ruhig. Nachts kann es mit teilweise 100 Notfall-Kindern aber ganz anders aussehen, betont Wieland Kiess. Er ist Direktor der Kinderklinik und sagt: Es fehle so akut Personal, dass Kollegen ihm berichten, einfach nicht mehr zu können.

Die Lage sei sehr ernst, sagt Kiess. "Dieser Mangel ist so stark, dass wir die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, also schwer kranker Kinder, nur nachgehen können, indem meine Kolleginnen und Kollegen weit über das erträgliche Maß hinaus arbeiten." Das bedeute, dass Oberärzte normale In-Haus-Dienste machen. "Die sind ja eigentlich dafür da, Leute anzuleiten, in besonderen Fällen zu helfen." Es gebe Situationen, in denen der Oberarzt, der eigentlich Rufdienst habe, in der Nacht komplett mitarbeitet – bis morgens um vier Uhr.

Uniklinik Leipzig: Versorgung schwer kranker Kinder ist in Gefahr

Kiess ist genervt, dass er diesen Missstand schon seit Jahren anspricht. Es gebe zwar viele junge Leute, die in Leipzig ihre Facharztausbildung machen wollen. Er bekomme aber nicht genug Stellen zur Verfügung gestellt.

So schlecht wie uns geht es keiner Uni-Kinderklinik.

Wieland Kiess Chef der Kinderklinik im Leipziger Uniklinikum
Porträt vn Mann mit blonden Haaren und drahtiger, runder Brille, lachend, ohne Bart
Wieland Kiess, Direktor der Kinderklinik am Leipziger Uniklinikum Bildrechte: UKL/Stefan Straube

Die Versorgung aller Kinder kann Kiess deshalb in Zukunft nicht versprechen. "Wenn jetzt noch eine Welle von Infektionskrankheiten im Herbst kommt, können wir möglicherweise schwerstkranke Kinder nicht mehr beatmen oder müssen sie ausfliegen."

Er wisse allerdings nicht, wohin man die Kinder fliegen könne. Den meisten Kinderkliniken in Deutschland gehe es so. Aber, "so schlecht wie uns geht es keiner Uni-Kinderklinik, das kann ich belegen. Weil wir mit den Stellenplänen einfach extremst eng gehalten worden sind."

Ein ähnlich düsteres Bild zeichnet Reinhard Berner, der Direktor der Kinderklinik an der Uniklinik Dresden. Zu wenig Personal gebe es in Krankenhäusern ja überall, Kinderkliniken hätten aber eine besondere Stellung. Während es in der Erwachsenenmedizin Spezialabteilungen gebe, kämen alle Kinder in die Kinderklinik und müssten dort versorgt werden. Man habe sehr unterschiedliche Krankheitsbilder: "Wir können nicht vorhersagen: Kommt jetzt ein Kind mit einem Herzfehler oder mit einem Sturz vom Baum und einer Schädelprellung?", führt Berner aus. "Wir müssen eigentlich immer bereitstehen, um für jedes dieser Kinder ein entsprechendes Angebot machen zu können.

Kinderkliniken leiden unter mangelnder Finanzierung

Ein weiteres Problem ist die Finanzierung. So könnten viele Kinderkliniken gar nicht das verdienen, was sie für Personal und Ausstattung ausgeben. Oft kritisiert werden auch die Fallpauschalen. Das sind feste Beträge, die Kliniken pro Krankheitsfall bekommen.

Durch diese Fallpauschalen seien viele nur am Gewinn orientiert, sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck. "Die Grenze ist lange erreicht. Das Fallpauschalensystem ist mengenorientiert, erlösgetriggert." Das werde den Vorhaltekosten, die anfallen, um Kinder und Jugendliche zu versorgen, nicht gerecht.

Derzeit gebe es Verhandlungen mit dem Bundesgesundheitsministerium. "Wir hoffen, dass wir da bald eine Lösung herbeiführen können", sagt Rodeck. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat inzwischen angekündigt, vor der Sommerpause noch Vorschläge für eine Krankenhausreform zu machen. Während die Erschöpfung in den Kliniken weiter wächst.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 06. Juni 2022 | 09:08 Uhr

3 Kommentare

kleinerfrontkaempfer am 06.06.2022

Wenn Herr Dr. Lauterbach die nächste, die übernächste,....... Coronawelle kommentiert und begleitet hat, dann wird er sich (vielleicht) seiner ureigensten Aufgabe widmen: ein krankes und dahinsiechendes Gesundheitssystem zukunftsweisend für die Bürger und die Masse der Menschen gestalten und funktionsfähig zu machen.

SZ Rentner am 06.06.2022

Die Sache hat dieser Herr mit an fordester Front mit verbockt ich denke da nur an Fallpauschale und Privatisierung der Kliniken .

Gerald am 06.06.2022

Darüber soll sich unser Bundesgesundheitsminister mal kümmern! Statt in jeder Talkshow zu tingeln!

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