Arbeitsforscher im Interview Vier-Tage-Woche führt zu mehr Produktivität und Motivation

Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche werden gerade immer lauter. Breit angelegte Studien aus Großbritannien etwa belegen, dass nicht nur die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesteigert werden kann, sondern auch deren Produktivität. Klingt schön und gut - aber kann sich die deutsche Volkswirtschaft eine Reduzierung der Arbeitszeit leisten? Ja, sagt der Arbeitsforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Philipp Frey.

Junge Frau sitzt fröhlich mit erhobenen Armen vor Laptop.
Eine breit angelegte Studie aus Großbritannien belegte jüngst: Angstellte in Unternehmen mit einer Vier-Tage-Woche sind motivierter, produktiver und gesünder. Bildrechte: IMAGO / Westend61

MDR: Herr Frey, eine Vier-Tage-Arbeitswoche klingt verlockend. Kann unsere Wirtschaft sich das überhaupt leisten?

Der Arbeitsmarktforscher Philipp Frey vom KIT Karlsruhe
Philipp Frey Bildrechte: MDR/Philipp Frey

Philipp Frey: Ja, eine Vier-Tage-Woche scheint mir aus verschiedenen Gründen volkswirtschaftlich möglich. Zunächst einmal kann man beobachten, dass weltweit immer mehr Unternehmen eine Vier-Tage-Woche einführen und feststellen: Sie können das leisten, ohne ihren wirtschaftlichen Erfolg zu gefährden. Seit der Industrialisierung sind die Arbeitszeiten eigentlich stetig gefallen. Und erst seit 1990 haben wir es mit einer stagnierenden Arbeitszeit zu tun.

MDR: Da scheint es also Nachholbedarf zu geben. Aber könnte jede Branche eine Vier-Tage-Woche einführen? Was muss vorausgesetzt werden?

Philipp Frey: Die Hauptvoraussetzung für die Einführung einer Vier-Tage-Woche im Betrieb ist schlichtweg der Wille des Managements. Man muss sich natürlich gut vorbereiten und sich überlegen, was man verbessern kann, an den Betriebsabläufen und so weiter, um die Vier-Tage-Woche zu ermöglichen. Aber die Unternehmen, die jetzt gerade eine Vier-Tage-Woche ausprobieren, kamen aus sämtlichen Branchen, hatten sehr unterschiedliche Betriebsgrößen, Qualifikationsniveaus und Kapitalintensität.

MDR: Wo sehen Sie in Ihrer Forschung die Vorteile einer Vier-Tage-Woche?

Philipp Frey: Wir beobachten, dass die Unternehmen, die eine Vier-Tage-Woche einführen, in der Regel ihren Umsatz halten beziehungsweise im Schnitt sogar leicht steigern können. Und das bedeutet, dass die Produktivität massiv gestiegen sein muss. Die wird in Wertschöpfung pro Arbeitsstunde gemessen. Und die Unternehmen konnten in 32 Stunden pro Woche mindestens so viel erwirtschaften wie zuvor in 38.

MDR: Woran liegt das?

Philipp Frey: Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Die eine wäre, dass die Beschäftigten motivierter zur Arbeit erscheinen, weil mehr Raum für Freizeitaktivitäten bleibt. Und dass sie überhaupt zur Arbeit erscheinen, weil dadurch auch die Krankheitstage deutlich sinken. Die Beschäftigten haben mehr Zeit für Erholung, sind deswegen auch seltener krank.

Sie haben mehr Zeit, die sie mit ihrer Familie und ihren Freunden verbringen können, können sich dadurch auch die Verpflichtungen zu Hause ganz anders aufteilen und motivierter und erholter zur Arbeit erscheinen. Die Unternehmen sind außerdem gezwungen, sich Gedanken zur Umsetzung der Vier-Tage-Woche zu machen, um schlauer zu arbeiten. Ganz üblich ist zum Beispiel, dass die Anzahl von Meetings drastisch reduziert wird. Lange Meetings sind oft nicht produktiv. Die, die noch verbleiben, werden deutlich verkürzt. Dann werden häufig Arbeitszeiten geschaffen, die ungestört sind. Zeiten, in denen keine Mails durchgestellt werden, und keine Telefonate und so weiter. So dass die Leute wirklich mal was wegarbeiten können, anstatt dauernd unterbrochen zu werden. Einige Firmen investieren auch in neue Technologien, um die Produktivität zu steigern. Eine Vier-Tage-Woche ist nicht nur volkswirtschaftlich sinnvoll, sie auch dazu führen, dass weniger CO2 emittiert wird, wenn zum Beispiel an einem Tag pro Woche der Pendelverkehr ausbleibt.

MDR: Das klingt, als könne eine Vier-Tage-Woche dabei helfen, das Problem des Fachkräftemangels zu beheben?

Philipp Frey: Die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist in der Tat das Hauptmotiv, warum sich Unternehmensführung dafür entscheiden, eine Vier-Tage-Woche einzuführen. Und da lassen sich auch wirklich beachtliche Effekte beobachten. Viele Unternehmen berichten, dass sie fünfmal so viele Bewerbungen bekommen wie zuvor. Vor allem aber, dass sich die Anzahl von Kündigungen halbiert hat, also deutlich weniger Leute gehen. Und das hilft natürlich, den Fachkräftemangel als Einzelbetrieb zu bekämpfen. Und solche Betriebe brauchen ja auch nicht mehr Personal. Weil sie mit dem selben Personal in vier Tagen anscheinend dasselbe erreichen wie in fünf Tagen sonst. Für wen sich der Fachkräftemangel eher zu verschärfen scheint, sind Unternehmen, die nicht dazu bereit sind, darüber nachzudenken, wie sie attraktiver werden können, wie sie ihren Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen bieten können und deswegen dann in der Konkurrenz um Fachkräfte nicht mithalten können.

MDR: Sie haben eine Reihe von Vorteilen genannt. Aber sehen Sie auch Schattenseiten?

Philipp Frey: Eigentlich können wir kaum Nachteile einer Vier-Tage-Woche in der betrieblichen Praxis beobachten. Also eine Sorge, die am Anfang öfter auftaucht, ist, dass die Beschäftigten befürchten, dass dieselben Arbeitsprozesse beibehalten werden und einfach auf eine Arbeitsintensivierung gesetzt wird. Aber dieser Sorge kann man ganz gut vorbeugen, indem man gemeinsam überlegt: Wir wollen die Produktivität steigern. Was ist also der beste Weg dorthin und wie arbeitet man cleverer und nicht einfach nur schneller.

(nvm)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 08. März 2023 | 16:00 Uhr

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