Eine Frau ist am Schreibtisch eingeschlafen.
Gerade beim Homeoffice haben Forscher einen Zusammenhang zu Arbeitssucht festgestellt. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Arbeitswelt Forscher: Arbeitssucht nimmt zu - vor allem Frauen gefährdet

05. Januar 2025, 07:35 Uhr

Arbeitsforscher vermuten, dass es in den kommenden Jahren mehr Arbeitssüchtige geben werde. Bereits 2019 seien von 8.000 Befragten zehn Prozent betroffen gewesen, sagt Soziologin Beatrice van Berk. Nach Corona könne diese Zahl noch weiter angestiegen sein. Einer, der seit 30 Jahren zu Workoholics forscht, sieht vor allem Frauen gefährdet.

Juliane Neubauer
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Diplompsychologe Stefan Poppelreuter war vor knapp 30 Jahren ein Vorreiter, als er seine Doktorarbeit zum Thema Workoholics geschrieben hat. Damals hatten viele bei dem Thema erfolgreiche Manager vor Augen, die zu viel arbeiten, zu wenig schlafen und essen. Diese Symptome zählen, so Poppelreuter, oft zum Alltag von Arbeitssüchtigen. Mit fatalen Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit.

Arbeitspsychologe: Gesellschaftliche Veränderungen fördern Vielarbeiten zusätzlich

Der Psychologe Poppelreuter erklärt, warum das Thema immer mehr Menschen betreffen wird – nicht nur in den Führungsetagen: "ich glaube, dass wir hier davon ausgehen müssen, dass mehr gearbeitet werden muss, auch wenn man sich die gesellschaftliche Entwicklung anschaut." Er verweist auf den Fachkräftemangel. Das führe dazu, "dass sich die Situation noch weiter verstärkt, der Druck noch weiter zu nimmt- Und das wird für einen bestimmten Teil von entsprechend disponierten Personen dazu führen, dass dieses Vielarbeiten, dieses exzessive Vielarbeiten noch weiter zu nimmt".

Wenn Arbeit von den Befragten als exzessiv und zwanghaft beschrieben wird, sprechen Psychologen und Wissenschaftler von Arbeitssucht. Immer in Eile sein, den Aufgaben hinterherrennen, oft länger arbeiten als alle anderen und ein schlechtes Gewissen haben, wenn man sich frei nimmt. Das seien typische Gedanken, erklärt Beatrice van Berk. Sie forscht am Bundesinstitut für Berufsbildung und promoviert zum Thema Arbeitssucht.

Homeoffice macht anfälliger für Arbeitssucht

Bei einer Umfrage unter 8.000 Erwerbstätigen, konnte sie mit ihrem Team feststellen, dass knapp 10 Prozent zu den Arbeitssüchtigen zählen. Das war 2019. Heute nach Corona könnten es noch mehr sein, sagt van Berk: "Wie ich darauf komme, ist, dass wir uns auch den Zusammenhang zwischen Homeoffice und suchthaften Arbeiten angeschaut haben, und da haben wir halt gefunden, dass die Erwerbstätigen mit Homeoffice signifikant wahrscheinlicher suchthaft arbeiten."

Die Soziologin hofft, dass die Brisanz des Themas weiter in die Mitte der Gesellschaft rückt. Ihrer Meinung nach gehöre es zu den Aufgaben von Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen dazu, ein angemessenes Pensum für die Mitarbeitenden zu finden und mit darauf zu achten, dass eine Work-Life-Balance besteht: Van Berk sagt: "Ich glaube es braucht einen öffentlichen Diskurs zu der Frage: Naja, wann ist denn Arbeit auch genug?"

Psychologe sieht Frauen gefährdeter als Männer wegen Mehrfachrollen

Besonders einen Teil der Gesellschaft sieht Psychologe Stefan Poppelreuter für Arbeitssucht gefährdet: "Ich würde gar nicht mal so sehr im Zeitalter von Gleichberechtigung davon ausgehen, dass unbedingt Männer mehr betroffen sind, weil Frauen ja viel gefährdeter sind, aufgrund von Mehrfachrollen." Poppelreuter sagt, Frauen seien im Arbeits- und Berufsleben gebunden, gleichzeitig aber auch als Mutter gefordert: "Meine Prognose wäre, dass das Problem eher noch etwas werden könnte für Frauen als für Männer."

Gleichzeitig weiß Poppelreuter aus seinem beruflichen Alltag, dass für viele Arbeit auch eine Flucht vor persönlichen Krisen sein könne. Aus beruflichen Krisen könne man sich etwas leichter befreien: "Immer Augen auf bei der Berufswahl, Augen auf bei der Arbeitgeberwahl, und eine gewisse Flexibilität und Bereitschaft auch zur Veränderung, wenn ich tatsächlich feststelle das schadet mir, und das schadet meiner Gesundheit, denn am Ende des Tages, ist dass das Einzige was wirklich zählt."

Wer befürchtet, dass er selbst oder ein Angehöriger arbeitssüchtig ist, sollte versuchen, offen darüber zu sprechen mit nahestehenden Personen oder mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 05. Januar 2025 | 06:11 Uhr

44 Kommentare

goffman vor 4 Wochen

@UZet:
Das ist ungefähr so, als wenn Sie die Berechnungen eines Viertklässlers mit einer mathematischen Masterarbeit vergleichen.

Der Unterschied ist, bei einem Kind sehen Sie, wenn es sich verrechnet hat, aber erkennen Sie, ob eine Umfrage wissenschaftlich korrekt durchgeführt und ausgewertet wurde?
Ich gebe Ihnen aber zum Teil recht: es gibt viel zu viele „Umfragen“, die eben nicht korrekt aufgebaut sind. Das Problem ist doch eher, dass fast jeder Bürger das kleine Einmaleins beherrscht, aber kaum jemand das Wissen hat, um Fehler in der Methodik von Umfragen zu erkennen.

goffman vor 4 Wochen

@freemind:
Soziologie ist Gesellschaftsphysik. Soziologen berechnen keine Werkshallen, sondern menschliches Handeln. Und wenn Sie der Meinung sind, dass das keinen Wert hat, dann schauen Sie sich mal an, womit Google Geld verdient.
Und ja, das ist vielleicht nicht auf eine Stufe zu stellen, mit dem Berechnen von Werkshallen. Das menschliche Handeln ist schließlich deutlich komplexer - aber eben ja nicht zufällig. (Ansonsten können Sie morgen ja mal würfeln, ob Sie ihren Chef mit einem freundlichen Gruß, einer innigen Umarmung oder einem tätlichen Angriff begrüßen.)

Atze1 vor 4 Wochen

Und dann noch etwas wichtiges, um Arbeitssucht zu minimieren: Kinder von klein auf an einen ordentlichen Tagesablauf gewöhnen. Essen, Schlafen, Spiel und Lernen und später Arbeit: alles in einem bestimmten Verhältnis. Wenn das manifest ist, dann wird der Mensch auch später darauf zurück greifen. Eine Verantwortung der Eltern und der Gesellschaft!

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