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WirtschaftswachstumWarum zu viel Grün unter Beton verschwindet

06. Oktober 2022, 05:00 Uhr

In Deutschland werden jedes Jahr knapp 200 Quadratkilometer für Siedlungen oder Verkehrsanlagen ausgewiesen. Zum Vergleich: Die Stadt Leipzig hat knapp 300 Quadratkilometer. Es verschwindet also jedes Jahr viel Fläche unter Beton, die zum Teil auch landwirtschaftlich genutzt werden könnte. Das will die Bundesregierung eigentlich angehen, doch von ihrem Ziel ist sie noch weit entfernt.

Industrie, Wohnraum oder Nahrungsmittel-Anbau: Alles braucht Platz. Angesichts knapper werdender Ressourcen stehen diese wichtigen Pfeiler des Wohlstandes gewissermaßen in Konkurrenz – zumindest was den Flächenverbrauch anbelangt. Das lässt sich grob an einem Beispiel im Örtchen Wiedemar in Sachsen zeigen. Dort stand bis vor Kurzem im Raum, dass sich der US-amerikanische Tech-Konzern Intel niederlassen könnte.

Die Giga-Fabrik von Intel entsteht nun zwar bei Magdeburg, allerdings will die Gemeinde Wiedemar eine Fläche von über 400 Hektar so vorbereiten, dass sich dort in Zukunft ein großer Industrie-Investor niederlassen könnte. Das gefällt nicht allen. Die "Bürgerinitiative kein Industriegebiet zwischen Wiedemar, Brehna, Delitzsch" will das verhindern.

Also für mich ist maßgebend der Flächenverbrauch. Weil das ist enorm, was hier versiegelt werden soll", sagt Michael Berger von der Initiative. Diese würde so der Landwirtschaft und damit der Nahrungsmittel-Produktion entzogen. Auch die Natur müsste weichen.

Versiegelung: Jeden Tag 70 Fußballfelder

Wiedemar ist kein Einzelfall. Laut Bundesumweltministerium werden jeden Tag 54 Hektar Fläche für Siedlungen oder für Verkehrsanlagen ausgewiesen. Das ist ein Flächenverbrauch von über 70 Fußballfeldern pro Tag.

Von 1992 bis 2020 gingen in Deutschland allein rund 1,45 Millionen Hektar an landwirtschaftlicher Nutzfläche verloren, sagt der Deutsche Bauernverband. Das ist eine Fläche, die fast der Größe Schleswig-Holsteins entspricht.

Pächter haben an Flughafen, DHL oder Porsche verkauft

Ein weiteres Beispiel dafür: Die Radefelder Pflanzenproduktion, die nach der Wende aus einer LPG hervorging. Der Betrieb am Stadtrand von Leipzig verlor in den vergangenen drei Jahrzehnten enorm viel Fläche an große Industrieansiedlungen, Wohngebiete und Verkehrsprojekte. "Wir sind von 2.800 Hektar, die wir einmal als Startkapital hatten. Sind wir jetzt mittlerweile bei 1400 Hektar gelandet, die wir noch bewirtschaften", sagt der Geschäftsführer Roland Behrendt. Er sage immer scherzhaft, dass sich der Betrieb zwar Pflanzenproduktion nenne, doch Felder und Flächen zum Bewirtschaften habe das Unternehmen in Radefeld kaum noch. Den Grund und Boden hatte der Agrarbetrieb gepachtet. Doch die Grundstücke wurden an den Flughafen, DHL oder Porsche verkauft.

"Es gibt genug alte Industriebrachflächen. Dort sollte man hingehen", schlägt Geschäftsführer Roland Behrendt als Lösung vor, statt immer neue Flächen zu versiegeln. "Natürlich ist das teurer dort zu bauen. Dort müsste ich die Industriebrachfläche erstmal entsorgen, bereinigen, Untergrund." Nur weil es eben teurer sei, wolle dies keiner. "Auf der grünen Fläche baut es sich doch viel einfacher."

Wirtschaftswachstum contra Nachhaltigkeit?

Das aktuelle Ziel in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist: Bis zum Jahr 2030 durchschnittlich weniger als 30 Hektar pro Tag Fläche zu verbrauchen. Bis 2050 soll der Flächenverbrauch sogar auf null sinken. Davon ist Deutschland bisher weit entfernt.

Doch wenn Flächen verbraucht beziehungsweise industriell oder unternehmerisch genutzt werden, dann wächst auch die Wirtschaft. "Ich denke, wir sind auch im Ballungsraum Leipzig Halle in einem wachsenden Gebiet", sagt der Bürgermeister von Wiedemar, Steve Ganzer (CDU). Die Gemeinde ist nur einen Katzensprung vom Flughafen entfernt und bis zur Autobahn sind es auch nur ein paar Minuten Fahrt. "Wiedemar erhofft sich dadurch natürlich auch einfach neben den Steuereinnahmen auch strukturelle Entwicklungen insgesamt schneller und besser voranzubringen, als das sicher über den eigenen Haushalt möglich wäre."

In Magdeburg viel Grün in der Stadt verschwunden

Flächenversiegelung findet sich überall – auf dem Land und natürlich auch in den Städten. In Magdeburg etwa ist viel Grün aus der Innenstadt verschwunden, und freie Flächen wurden unter Beton begraben – auch rund um den Bahnhof. "Und da sind die größten Teile eben jetzt, in den letzten Jahrzehnten, durch diese Einkaufszentren eben verschwunden", sagt Christian Kunz vom BUND Sachsen-Anhalt. "Da hat man nach der Wende bis heute nichts anderes gemacht, als die Flächen zu versiegeln."

Da hat man nach der Wende bis heute nichts anderes gemacht, als die Flächen zu versiegeln

Christian Kunz | BUND Sachsen-Anhalt

Dadurch sickert kaum noch Regen in den Boden und ins Grundwasser ein, sondern wird von der Kanalisation sofort abtransportiert. Das erhöht bei Starkregen die Gefahr von Überschwemmungen, und bei Dürre sinkt der Wasserstand von Flüssen oder sie trocknen sogar ganz aus. Aus Sicht des BUND sei es wichtig, dass der Flächenverbrauch weiter sinkt. Werde versiegelt, müsste im Gegenzug woanders entsiegelt werden. Aber da gibt es ein Problem. "Also, wir wissen eben nicht, wie viele Flächen tatsächlich zum Beispiel in Magdeburg versiegelt sind", so Christian Kunz. 

Grünen-Vorschlag zur Verhinderung von Flächenfraß

„Wir schlagen vor, dass es ein elektronisch gestütztes Entsiegelungs-Kataster gibt“, sagt die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Cornelia Lüddemann. Das klinge ziemlich dramatisch, gibt die Politikerin zu. Doch es sei im Grunde ganz einfach: Die Kommunen tragen in dieser elektronischen Datenbank die Flächen ein, die entsiegelt werden könnten. Andere Kommunen könnten dann für Ausgleichsmaßnahmen solche Grundstücke hereinziehen. Denn das ist Cornelia Lüddemann besonders wichtig: „So viel wie versiegelt wird, auch immer wieder entsiegelt wird. Wir können es uns nicht mehr leisten, dieses Land noch weiter zuzubetonieren.“ In Sachen Verhinderung von Flächenfraß sei dies „ein ganz wichtiger Baustein“. 

Quelle: MDR exakt/ mpö

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 28. September 2022 | 20:15 Uhr

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