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BerufsbetreuerBetrug statt Betreuung – wenn Macht missbraucht wird

20. August 2022, 05:00 Uhr

Berufsbetreuer haben einen sehr verantwortungsvollen Job mit weitreichenden Befugnissen. Sie sollen Menschen – für die keine Angehörigen sorgen können – nach Krankheit oder Unfall betreuen. Doch was passiert, wenn diese Macht missbraucht wird?

Als Carola Licht in ihre Wohnung zurückkam, fand sie dort "Chaos". Zwei Monate hatte sie nach einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus und in der Reha verbracht. Eine sogenannte Berufsbetreuerin hatte währenddessen die Wohnung der 87-Jährigen teilweise räumen lassen. Das ist inzwischen zwei Jahre her, doch noch immer kämpft sie um Gerechtigkeit und ihre persönlichen Sachen.

Die ehemalige Chefsekretärin berichtet MDR exakt, dass die Räumung ohne ihr Einverständnis stattgefunden habe. "Da fehlte meine elektrische Nähmaschine und dann die Fritteuse", sagt Carola Licht, deren Namen wir im Bericht geändert haben. Auch das wertvolle japanische Teeservice aus der Vitrine sei seitdem verschwunden, erzählt die alte Dame mit dem Rollator. Dabei habe sie ihrer Betreuerin lediglich erlaubt, die Kleidung ihres verstorbenen Mannes zu entfernen und den Balkon aufzuräumen. Mehr nicht, sagt sie.

Jetzt ist Jens Winkelmann ehrenamtlicher Betreuer von Carola Licht. Sie kann ihre Wohnung selbst nicht mehr verlassen und ist Diabetikerin. Früher war sie als Kundin regelmäßig im Laden von Jens Winkelmann – und erzählte ihm damals von dem Vorfall. Seitdem will er Gerechtigkeit für sie.

Möbel, Mietverträge, Werkzeug weg

Er habe sich im Juli 2020 selbst vom Zustand vor Ort überzeugt, sagt Jens Winkelmann. Und dabei festgestellt: auch Möbel sind weg, wichtige Dokumente, wie Mietverträge und Kontoauszüge, Werkzeug, Gardinen, Kleidung, Bettwäsche. "Also, die Wohnung sah relativ leer aus. Das war nicht schön." Er ergänzt, dass die Betreuerin nicht mal einen Nagel ohne ihre Zustimmung hätte entfernen dürfen. "Jeder persönliche Gegenstand unterliegt der Zustimmung des Betroffenen und das haben die nicht gemacht."

Jens Winkelmann habe daraufhin schriftlich mehrfach angefragt, ob die Sachen zurückgebracht werden, oder ob es eine Entschädigung gebe: "Da kam nie eine Antwort, keine Reaktion, keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung. Das hat mich schon empört und das hat auch meinen Gerechtigkeitssinn angesprochen, ganz klar."

Was dürfen Berufsbetreuer – sehr viel

Doch war die Wohnungsräumung vielleicht sogar legal? Berufsbetreuer haben tatsächlich weitreichende Befugnisse. Eingesetzt werden sie von Amtsgerichten, wenn eine Person nach Krankheit oder Unfall nicht mehr in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen und sie keine Angehörigen hat, die das übernehmen.

Im Fall von Carola Licht konnte deren Betreuerin über Gesundheit, Aufenthalt, Vermögen, Wohnung, Vertretung vor Behörden und Sozialeinrichtungen sowie Postangelegenheiten bestimmen. Dennoch: Das Recht persönliche Gegenstände aus Wohnungen zu entfernen, haben rechtliche Betreuer ohne Zustimmung des Betreuten nicht.

Wohnung beräumt und dafür Geld vom Konto abgebucht?

Vor zwei Jahren seien nicht nur liebgewordene Dinge bei Carola Licht entfernt worden, für die Beräumung habe die Betreuerin sogar noch einige Tausend Euro haben wollen, berichtet die alte Dame: "Da habe ich gesagt: Sie haben doch schon alles rausgeräumt und das ist ganz schön viel wert." Als Jens Winkelmann Einblick haben wollte, habe die Betreuerin dies abgelehnt.

Wenige Tage später buchte die Betreuerin 6.100 Euro für "Wohnungsreinigung" vom Konto der alten Dame ab. Sie hatte noch die Kontovollmacht. MDR exakt fragt bei der Betreuerin nach – sie sagt am Telefon, dass sie kein Interesse habe, mit der Presse darüber zu sprechen.

Und das Amtsgericht, die Kontrollbehörde für rechtliche Betreuer? Jens Winkelmann schreibt mehrfach an das zuständige Amtsgericht Berlin-Pankow und weist auf die Probleme mit der Berufsbetreuerin hin. "Das Gericht hat gesagt, hier stehen zwei Sichten gegenüber", erklärt Winkelmann. Dazu könne das Gericht keine Stellung beziehen. "Wenn wir ein Problem mit der Betreuerin haben, müssen wir das zivilrechtlich klären." Eine Zivilklage kostet Zeit, Geld und Nerven – und der Ausgang ist ungewiss. Der ehrenamtliche Betreuer und die alte Dame fühlen sich alleingelassen.

MDR exakt fragt beim Amtsgericht Berlin-Pankow nach. Ein Interview wird mit dem Hinweis auf die sensiblen Persönlichkeitsrechte in Betreuungsverhältnissen abgelehnt. Allgemein heißt es: "Die Arbeitsbelastung durch Betreuungssachen im gerichtlichen Alltag ist aus Sicht der Berliner Amtsgerichte immer weiter angewachsen [... und] auch inhaltlich immer aufwendiger [geworden]." In Berlin hat es im Jahr 2021 etwa 60.000 Betreuungsfälle gegeben.

Eine Stiftung beschäftigt sich mit Hunderten Betrugsfällen

Vermögensdelikte durch Betreuer sind keine Einzelfälle. Rechtsanwalt Volker Thieler hat in München eine Stiftung gegründet, die sich mit hunderten Betrugsfällen in Betreuungssachen beschäftigt. Der Professor für Mietrecht kritisiert: "Betreuer kann in Deutschland jeder werden. Es gibt überhaupt kein Berufsbild." Es werde kein Studium benötigt, es reiche die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses.

"Man braucht für eine Würstchenbude sechs Genehmigungen, als Betreuer braucht man gar keine."

Volker Thieler | Rechtsanwalt

Das ändert sich ab dem 1 .Januar 2023. Dann tritt ein neues Betreuungsgesetz in Kraft, das auch eine zwingende Fortbildung für künftige Berufsbetreuer vorsieht. Doch ob das auch vor einem Missbrauch der weitreichenden Vollmachten schützt, daran zweifelt Anwalt Thieler. Aktuell melden sich gut 400 Betroffene pro Monat wegen Vermögensdelikten durch Betreuer in seiner Kanzlei. Dabei seien alle Arten dabei, "von Diebstahl bis Unterschlagung, alles was das Strafgesetz vorsieht".

"Was wir sehr stark bemängeln, sind die Fälle wo der Betreuer die Wohnungen der alten Menschen auflösen und mit den alten Menschen nicht reden", sagt Anwalt Thieler. Die Sachen würden einfach weggeworfen, vernichtet und "wenn dann die Angehörigen kommen und sagen, wir wollen die alten Bilder, die Erinnerungen an meinen Vater, dann kriegen sie nichts".

Studie zeigt: Mangelnde Kontrollen durch Amtsgerichte

Eine Studie der Universität Hannover und der Polizeihochschule Münster hat Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen näher untersucht, Strafgerichtsakten, mit 112 Geschädigten ausgewertet. Dabei ging es um Schäden zwischen 1.000 und 190.000 Euro. Im Durchschnitt waren es 20.000 Euro. Ein Grund für solche Betrugsfälle, so die Studie: Mangelnde Kontrollen durch überlastete Amtsgerichte.

MDR exakt fragt beim Bundesverband der Berufsbetreuer nach. Der vertritt etwa die Hälfte der gut 16.000 rechtlichen Betreuer in Deutschland. Wie können solche Fälle verhindert werden? "Jede misslungene Betreuung, jede Betreuung, in der eine Straftat begeht, ist eine zu viel", antwortet der Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer, Thorsten Becker. "Wir glauben, dass es in manchen Bereichen sinnvoll wäre, das Vier-Augen-Prinzip einzuführen." So etwas könne etwa beim Betreten der Wohnung oder dem Öffnen von Schließfächern hilfreich sein. "Das dient zum einem dem Schutz der Klientin, es dient zum anderen dem Schutz der Kolleginnen und Kollegen vor ungerechtfertigten Anschuldigungen."

Es ist eine Empfehlung, die nicht ins neue Betreuungsgesetz aufgenommen wurde. Im Fall von Carola Licht hätte das Vier-Augen-Prinzip vielleicht viel Leid verhindern können.

Quelle: MDR exakt/ mpö

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 17. August 2022 | 20:15 Uhr