Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

DrogenkonsumMitteldeutsche Suchttherapeuten skeptisch bei Cannabis-Legalisierung

03. Juli 2022, 17:35 Uhr

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wirbt für eine Cannabis-Legalisierung, der UN-Drogenbericht warnt gleichzeitig vor steigenden Zahlen an Cannabis-Suchtpatienten in der Suchttherapie. Wie blicken mitteldeutsche Suchttherapeuten auf die Gefahren von Cannabis? Ob Legalisierung oder nicht: Einig sind sich die Therapeuten darin, dass Prävention wichtig ist – und Mischkonsum ein wachsendes Problem darstellt.

Es sind auf den ersten Blick widersprüchliche Meldungen: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wirbt erneut für eine Legalisierung von Cannabis. Die Vorzüge von legalem Gras würden "klar überwiegen", der Schwarzmarkt werde "einbrechen". Zugleich warnt der neue UN-Drogenbericht: Nicht nur die Konsumentenzahlen, sondern auch psychische Probleme durch Cannabis hätten zugenommen – auch in Ländern wie Kanada, in denen die Droge schon legal ist.  

Zahl der Cannabis-Patienten steigt

Mehr Cannabis-Suchtpatienten als früher: Diesen Eindruck teilt auch Dr. Achim Kramer. Der Suchttherapeut behandelt in einer Magdeburger Tagesklinik seit über 30 Jahren alkohol- und drogenkranke Menschen: "Vor zehn Jahren war ungefähr ein Zehntel der Drogenpatienten abhängige Cannabis-Konsumenten. Vor fünf Jahren waren es circa 20 Prozent. Und in diesem Jahr werden es voraussichtlich 25 Prozent sein", berichtet Kramer aus seiner Klinik. Das deckt sich mit Angaben aus dem UN-Drogenbericht: In der EU seien Hanfdrogen mittlerweile die Ursache für rund 30 Prozent der Drogentherapien.

Derart hohe Zahlen kann Dr. Maik Spreer, Arzt am Universitätsklinikum Dresden, nicht bestätigen: "Von den reinen Entgiftungsplätzen sind sicher nicht 30 Prozent mit Cannabis-Patienten belegt. Cannabis stellt bei uns einen relativ kleinen Anteil dar." Ein Aufwärtstrend bestehe dennoch, sagt Spreer mit Blick auf Zahlen der sächsischen Suchthilfe: Demnach gab es 2019 in Sachsen mehr als dreimal so viele stationär behandelte Cannabis-Patienten wie noch 2012.

Alkohol gefährlicher als Gras

Sollte Cannabis also doch verboten bleiben? Eher nein, meint Dr. Katharina Schoett, Chefärztin am Ökumenischen Hainich Klinikum in Mühlhausen. Harmlos sei die Droge zwar keineswegs: "Cannabis kann psychiatrische Symptome verstärken oder auslösen – etwa Psychosen, Depressionen, Angststörungen. Es gibt auch mehr Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss."

Dennoch sei Alkohol mit deutschlandweit gut 70.000 Toten pro Jahr weit gefährlicher: "Und Alkohol ist erlaubt, Cannabis bisher verboten. Da besteht kein logischer Zusammenhang." Ohnehin sei es falsch, kranke Menschen zu kriminalisieren.

Alkohol ist erlaubt, Cannabis bisher verboten. Da besteht kein logischer Zusammenhang.

Dr. Katharina Schoett

Achim Kramer steht einer Legalisierung kritischer gegenüber. Man müsse bedenken, dass die abhängig machende Substanz THC im Cannabis heute weit höher dosiert sei als noch vor wenigen Jahrzehnten: "Für jemanden, der schon länger konsumiert, ist das legale Cannabis mit weniger THC - überspitzt gesagt - so wie alkoholfreies Bier." Ähnlich skeptisch ist Maik Spreer. Daten aus US-Bundesstaaten mit legalem Gras deuteten darauf hin, dass der Jugendschutz kaum funktioniere: "Der Stoff wird einfach weitergegeben an Jüngere – wie beim Alkohol."

Wenn Cannabis-Legalisierung, dann auch Prävention

Einig sind sich die drei Therapeuten dagegen in einem: Wenn Cannabis legal wird, müsse mehr für Drogenaufklärung getan werden. "Wenn wir das Geld, das der Staat durch den Verkauf von Cannabis einnimmt, in vernünftige Prävention investieren, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung", schlägt Katharina Schoett vor.

Entscheidend sei nämlich, wie häufig und in welchem Alter der Konsum stattfinde. Wer mit 30 zum Gelegenheitskiffer werde, habe nicht viel zu befürchten. Doch in der Pubertät behindere Cannabis die Gehirnentwicklung: "Dann ist das Risiko für psychiatrische Erkrankungen viel höher."

Maik Spreer nennt Portugal als ein mögliches Vorbild für Deutschland: "Dort gilt, dass man nicht in den Knast geht, aber zumindest verpflichtet wird, sich beraten zu lassen. Das hat dort den Drogenkonsum reduziert." Wenn man dagegen an der Prävention spare, befürchte er mehr psychiatrische Erkrankungen als Folge der Legalisierung.

Portugals Drogenpolitik: Ein Vorbild für Deutschland?2001 führte Portugal ein liberales neues Drogengesetz ein. Seitdem ist der Besitz geringer Mengen Drogen straffrei - etwa 25 Gramm Marihuana pro Person.

Vor allem bietet Portugal Drogenkonsumenten eine Vielzahl an medizinischen und psychologischen Beratungsangeboten. Die Zahl der Drogentoten ist seit 2001 deutlich gesunken, Polizei und Justiz haben mehr Kapazitäten im Kampf gegen kriminelle Dealer.

Mischkonsum macht Therapeuten Sorge

Und noch etwas betonen alle drei Therapeuten: Auch andere Trends bei Drogen gäben Anlass zur Sorge. Etwa die Tendenz zum Mischkonsum, also der Abhängigkeit von mehreren Substanzen: Katharina Schoett beschreibt den Tabak- und Graskonsum als "das Grundrauschen, das sowieso fast jeder in der Drogenszene hat. Und dann kommt oft eine andere Sucht dazu." Das sei früher anders gewesen, erzählt Achim Kramer: "Ein trockener Alkoholiker hat früher praktisch nie zum Ausgleich Cannabis geraucht und andersrum." Für Therapeuten bedeute das heute: Mehrere Konsumprobleme statt nur einem.

Am meisten Sorge bereitet Katharina Schoett aber nicht Cannabis. Sondern eine Substanzgruppe, die in Deutschland weniger Aufmerksamkeit erfährt: Opioide, also Heroin und Schmerzmittel wie etwa Fentanyl. In ihrem Kollegenkreis schüttele man den Kopf über die vielen Diskussionen um Cannabis: "Über 100.000 Menschen sterben jedes Jahr in den USA an Opioiden. Und hier warten wir sehenden Auges, ob die Welle auch mal zu uns kommt oder nicht. An so etwas sterben die Leute – am Cannabis werden sie letztlich nicht sterben."

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 27. Juni 2022 | 08:00 Uhr