Coronavirus Was aus der Impfpflicht im Gesundheitswesen geworden ist

11. Juli 2022, 09:54 Uhr

Fehlendes Personal und unversorgte Notfälle: Das waren die Befürchtungen bei Einführung der Impfpflicht im Gesundheitswesen. Doch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurde bislang kein einziges Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Gleichzeitig häufen sich die Fälle, in denen geimpfte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich gleich mehrfach infizieren – und so entstehen für Leitungskräfte immer häufiger Argumentationsprobleme.

Die Befürchtungen in Krankenhäusern und Pflegediensten waren groß, als es Anfang des Jahres hieß, dass ungeimpften Mitarbeitern Tätigkeitsverbote ausgesprochen werden sollen. Doch offenbar ist das bislang an keinem Ort in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen umgesetzt worden. Und das, obwohl auch dort, wo die Verantwortlichen sich stark für die Impfung einsetzen, es selten gelingt, alle Mitarbeiter zu überzeugen.

Ein Beispiel dafür ist das Pflegezentrum Fuhneaue im Süden von Sachsen-Anhalt. Chefin Annett Rabe hat viele Gespräche mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt. So sind von 92 Beschäftigten nur drei ungeimpft.

Doch tatsächlich hätten sich von den vielen Geimpften in dem Heim einige lieber nicht impfen lassen. "Das ist jetzt für mich eigentlich das Schlimmste! Dass so das Muss dahintersteht – dass ich nicht mehr selbst über meinen Körper entscheiden kann", sagt Altenpflegerin Sandra Rieger. Sie fühlte sich unter Druck gesetzt und ließ sich nur deshalb die Spritze gegen Covid-19 setzen. "Die Pflegekraft muss das – aber ist es der eigene Wille?", pflichtet ihr Kollegin Elisa Schmidt bei. Sie hätten sich nicht frei entscheiden können, schließlich habe der Verlust des Arbeitsplatzes gedroht.

Pro Impfung, contra Pflicht?

Das Impfen findet Chefin Annett Rabe nach wie vor wichtig und richtig, doch mit dem Gesetz hat sie inzwischen arge Bauchschmerzen. Sie musste die drei ungeimpften Mitarbeiter im März dem Landratsamt melden, und im April bekamen diese Post vom Gesundheitsamt – mit der Aufforderung, Impfnachweise vorzulegen. Das haben sie nicht getan. Doch passiert ist bis jetzt: Nichts. Das zuständige Landratsamt von Anhalt-Bitterfeld hat die Dauer der Entscheidungen mit hoher Arbeitsbelastung und dem Cyberangriff begründet.

"Also ich habe das schon erwartet, so wie es jetzt gekommen ist: dass nichts passiert – außer, dass wir alle viel Arbeit damit haben und viel Stress", sagt Leiterin Annett Rabe. Die Politik könne es sich nicht leisten, die Leute wegzuschicken, denn das Personal sei überall knapp. "Wer soll denn die Leute hier versorgen?"

Nordhausen: Post vom Gesundheitsamt erst nach drei Monaten

Ist das überall so? Ein Beispiel aus Thüringen: Als MDR exakt im Januar und Februar im Südharzklinikum in Nordhausen war, wollte sich in der dortigen Endoskopie die Hälfte der Fachschwestern nicht impfen lassen. Bei einem Beschäftigungsverbot drohte die Situation, dass zu bestimmten Tageszeiten Notfälle nicht mehr versorgt werden können: Die sehr wichtige Abteilung hätte von 16 Uhr nachmittags bis zum nächsten Morgen schließen müssen, warnte Chefarzt Professor Jens Büntzel damals. Die Patienten hätten dann zu Universitätskliniken fahren müssen – 50 bis 80 Kilometern entfernt.

Zu den Mitarbeiterinnen, die sich Anfang 2022 nicht impfen lassen wollten, gehörte auch Fachschwester Anica. Sie ist nach wie vor am Südharzklinikum. Erst kürzlich, Mitte Juni, bekam sie Post vom Gesundheitsamt: Innerhalb von vier Wochen sollte sie einen Impfnachweis vorlegen. Nervös mache sie das nicht: "Ich habe einen Plan B in der Tasche." Sie hat einen anderen Arbeitsplatz gefunden, den sie jederzeit antreten kann und wo sie keine Impfung nachzuweisen braucht. Was bedeuten würde: Wieder eine Fachkraft weniger im deutschen Gesundheitswesen.

Auf Nachfrage von MDR exakt verweist auch das Gesundheitsamt in Nordhausen unter anderem auf seine hohe Arbeitsbelastung. "Wir profitieren jetzt von der Langsamkeit des Systems", sagt der Chefarzt des Südharzklinikums, Professor Jens Büntzel, der persönlich stark pro Impfung ist. Von Tätigkeitsverboten hält jedoch auch er wenig. Viel mehr hoffe er, dass gemeinsam mit dem Gesundheitsamt für jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin eine individuelle Lösung gefunden wird.

So können wir arbeiten! Mir wäre es bloß wichtig, dass man beim nächsten Gesetz vorneweg überlegt!

Denn ein Gesetz, das am Ende im Sande verlaufe, schade wiederum dem Vertrauen in die Gesetzgebung – was als eine Art "Kollateralschaden" zu betrachten sei.

Experte aus Thüringen: Anliegen des Gesetzes in Luft aufgelöst

Das Gesetz war im Dezember 2021 beschlossen worden. Dass nicht-geimpfte Mitarbeiter von den Unternehmen erst bis Mitte März 2022 zu melden waren, begründete man damit, dass alle genügend Zeit haben sollten, sich noch impfen zu lassen. Doch nach diesem Termin, das dachten viele würde es dann bald ernst werden. "Der Gesetzgeber wollte ja offensichtlich Schnelligkeit erreichen", sagt der Professor für Verfassungsrecht an der Universität Jena, Michael Brenner. Die Tätigkeits- und Betretungsverbote sind gesetzlich für sofort vollziehbar erklärt worden, erläutert er. "Und das bedeutet, dass weder ein Widerspruch noch eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben."

Doch bislang sei wenig passiert, das Gesetz laufe im Dezember aus und Michael Brenner stellt sich die Frage, ob bis dahin überhaupt noch viel geschehen wird: "Ich wage das jedenfalls mit einem Fragezeichen zu versehen. Und dann hat sich das Anliegen des Gesetzes letztendlich in Luft – oder man könnte auch sagen: in Nichts aufgelöst!"

Kein einziges Tätigkeitsverbot in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen

Das Bundesministerium für Gesundheit erklärt auf die Frage von MDR exakt, wie viele Tätigkeitsverbote bis jetzt ausgesprochen wurden, dass darüber keine Informationen vorlägen. Das Sozialministerium in Dresden teilt mit: In Sachsen wurden insgesamt knapp 27.000 nicht-geimpfte Mitarbeiter von den Unternehmen gemeldet, ein Betretungs- oder Tätigkeitverbot sei bislang aber nirgends verhängt worden. Ebenso wenig in Thüringen und Sachsen-Anhalt, wie die dortigen Ministerien mitteilten.

Der Landkreis Mittelsachsen dagegen hat bereits sehr viele Entscheidungen in gegenteiliger Richtung getroffen: Das dortige Landratsamt hat bereits mehr als 2.200 nicht-geimpften Mitarbeitern von Unternehmen mitgeteilt, dass sie vorerst uneingeschränkt weiterarbeiten können. Tätigkeitsverbote auch hier bislang: null. "Es ist ja letzten Endes abzuwägen: der Ausspruch des Betretungsverbotes oder die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit", erklärt der Landrat des Kreises Mittelsachsen, Matthias Damm (CDU). Bis jetzt habe man sich in jedem Fall zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit entschieden.

Testen statt Impfen im Kampf gegen das Corona-Virus?

Im Landkreis Mittelsachen befindet sich auch der malerische Ort Augustusburg.  Im dortigen "Seniorenhaus Augustusburg" setzt man nach wie vor auf das Testen: jeder Besucher – jeder Mitarbeiter – an jedem Arbeitstag. Denn hier sind in den vergangenen Monaten Zweifel daran gewachsen, dass die Impfung der Mitarbeiter einen wesentlichen Schutz vor Ansteckung der Bewohner bietet.

"Es werden alle Mitarbeiter – egal ob sie geimpft oder ungeimpft sind – getestet. Jeden Tag vor dem Dienst", sagt die Heimleiterin Ines Trinks. Die Strategie habe gut funktioniert. Nur so hätten infizierte und erkrankte Mitarbeiter identifiziert und nach Hause geschickt werden können. "Wir hatten einen Wohnbereich, da sind von elf geimpften, geboosterten oder genesenen Mitarbeitern innerhalb von kürzester Zeit acht Mitarbeiter positiv gewesen!"

Probleme bei der Argumentation: Schützt Impfen der Mitarbeiter die Bewohner wirklich?

Im Seniorenhaus Augustusburg jedenfalls hat man den Eindruck, dass angesichts der derzeit zirkulierenden Omikron-Varianten des Virus kaum ein Unterschied mehr zu bemerken ist zwischen geimpften und ungeimpften Mitarbeitern: Gefühlt würden sie sich alle gleichermaßen anstecken. So falle es Heimleiterin Ines Trinks schwer, Mitarbeiter zu überzeugen.

Wie soll ich denn jetzt jemanden, der nicht geimpft ist, argumentieren, dass er sich impfen lassen soll?

Ines Trinks Leiterin "Seniorenhaus Augustusburg"

Anfrage beim Bundesgesundheitsministerium: Datenlage nicht allzu gut

Um eine Antwort zu finden, wie es um den Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften mit Blick auf die derzeit zirkulierende Omikron-Variante steht, hat MDR exakt das Bundesministerium für Gesundheit angefragt. Die Antwort: "Über die Transmission unter Omikron gibt es noch keine abschließenden Daten; sie scheint bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt ist. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigen, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 Prozent nach Grundimmunisierung und nach Auffrischungsimpfung um weitere 5 bis 20 Prozent reduziert."

Ein vollständiger Schutz könne zwar durch die Impfung nicht erreicht werden, aber es finde gleichwohl eine Reduzierung der Übertragung statt, so das Ministerium. Womit das Risiko gesenkt werde, "dass sich besonders gefährdete Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren". 

Quelle: MDR exakt/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. Juli 2022 | 20:15 Uhr

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