Corona Post-Vac-Syndrom: Long Covid nach der Corona-Impfung?

04. September 2022, 15:50 Uhr

Fatigue, Kopfschmerzen oder Schwindel: Die Symptome sind vielfältig und ähneln denen von Long Covid, nur sind diese nach der Impfung gegen das Coronavirus ausgelöst. Die Betroffenen des Post-Vac-Syndroms kämpfen um Anerkennung und fühlen sich von Politik, Ärzten oder auch Angehörigen allein gelassen – und kommen so auch finanziell an ihre Grenzen.

Es gibt Menschen die nach einer Corona-Schutzimpfung krank geworden sind. Das hat inzwischen auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach eingeräumt und über Nebenwirkungen wie bei Long Covid gesprochen. Das neue Krankheitsbild beschreibt der SPD-Politiker in einem Video so: "Als Post-Vac–Syndrom bezeichnet man ein Syndrom, wo nach der Impfung die Menschen sich nicht so gut konzentrieren können, wie vorher." Es ist ein Satz, der bei den Betroffenen Wut und Erschütterung auslöst – denn sie fühlen sich auch von Lauterbach nicht ernst genommen. 

"Das übertrifft so sehr alles", sagt Felicia Binger. "Weil nämlich wir nur dann eine Behandlung bekommen, wenn sich unser Gesundheitsminister mal hinstellt und sagt, dass es ein ernstes Problem ist." Die Schauspielerin ist seit mehr als einem Jahr krank. Eine Impfung war für die Asthmatikerin selbstverständlich. Doch am nächsten Tag kamen die ersten Beschwerden. Es folgten Hautprobleme. Ein Arzt diagnostizierte eine Nesselsucht.

Aber damit hörte es nicht auf: "Ich konnte Texte nicht mehr auswendig lernen, ich konnte Gespräche nicht mehr richtig führen", erzählt Filicia Binger. "Dann später hat sich eine autoimmune Entzündung meiner Schilddrüse herausgestellt. Eine Hyperinflamation. Zyklus-, Hormonbeschwerden. Es hat im Prinzip den kompletten Körper betroffen. Überall Baustellen von oben bis unten."

Die 29-Jährige berichtet, dass ihr Zustand immer schlimmer wurde. Im Herbst 2021 kann sie nicht mehr für sich selbst kochen. Einkaufen gehen ist für sie unmöglich. Die Frau aus Frankfurt am Main war komplett auf Hilfe angewiesen. Danach sei noch etwas viel Schlimmeres passiert, sagt Felicia Binger: "Die Erkenntnis, dass mich niemand ernst nimmt. Dass mir niemand glaubt, weder Ärzte, noch mein Umfeld, noch sonst irgendjemand." Sie sei mit der festen Annahme zum Impfen gegangen, dass wenn ihr dabei etwas passiere, werde ihr ja geholfen. "Ne, du bist völlig alleine, wenn du Impfnebenwirkungen bekommst."

Ne, du bist völlig alleine, wenn du Impfnebenwirkungen bekommst

Felicia Binger

Was ist das Post-Vac-Syndrom

Es ist ein neuartiges Krankheitsbild und wird als Post-Vac-Syndrom bezeichnet. Einer der sich darauf spezialisiert hat, ist Professor Bernhard Schieffer von der Uniklinik Marburg: "Das Post-Vac-Syndrom, so wie man es heute beschreibt, das ist im Prinzip ein Long Covid-Syndrom, was um die Impfung herum aufgetreten ist." Der Kardiologe hat rund 250 Patientinnen und Patienten mit dem Post-Vac-Syndrom gesehen und beschreibt die Symptome so: "Von kardial mit Herzrhythmusstörungen, Druck auf der Brust, manchmal ein Nebel im Kopf und Kopfschmerzen. Migräneartige Kopfschmerzen, Schmerzen und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten. Ein ganz buntes Bild, was dem des Long-Covid, was wir in viel häufigerer Zahl jeden Tag sehen, nach einer Impfung sehr stark ähnelt."

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat im Video von Mitte Juni gesagt, dass das Post-Vac-Syndrom sehr selten auftrete. Doch wie viele Fälle sind es wirklich? Das Paul-Ehrlich-Institut verweist nach Anfrage von MDR Investigativ auf seinen Sicherheitsbericht vom Mai. Danach gebe es 0,2 Meldungen pro 1.000 Impfdosen. Das sind Verdachtsfälle auf schwerwiegende Reaktionen. Insgesamt sind bis zu diesem Zeitpunkt rund 172 Millionen Dosen verimpft worden – das würde hochgerechnet mehr als 30.000 Verdachtsfälle mit schwerwiegenden Impfreaktionen ergeben. Das Paul-Ehrlich-Institut weist im Zusammenhang mit Post-Vac auf eine Schwierigkeit hin – eine anerkannte Definition für das Krankheitsbild fehlt bislang.

Post-Vac: Betroffene kämpfen um Entschädigung

Auch das hat Folgen für die Betroffenen. Für Felicia Binger hatte das Jahr 2021 erfolgreich begonnen. Die Schauspielerin war häufig auf Drehs und hatte sogar Anfragen für internationale Produktionen. Doch seit einem Jahr lebt die Schauspielerin vom Ersparten. Arbeiten kann sie nur noch an einzelnen Tagen – und selbst das geht nicht ohne starke Medikamente.

"Fatigue, kompletter Leistungsabfall. Die Leute können nicht mehr arbeiten, sie sind nach kleinsten Anstrengungen erschöpft", sagt Rechtsanwalt Joachim Caesar-Preller. Viele seiner Mandanten hätten damit zu kämpfen – andere mit Thrombosen, Herz-, Kreislauf- oder Autoimmunerkrankungen. Er habe schon Hunderte Mandanten, die Impfnebenwirkungen gegenüber den Impfherstellern einklagen wollen. Manche kämen sogar im Rollstuhl oder an Krücken.

Joachim-Preller berichtet vom sozialen Abstieg vieler Mandanten. Von finanziellen Hilfen vom Staat bei Impfnebenwirkungen hält er nichts: "Von meinen Mandaten hat nicht ein einziger eine Anerkennung durch das staatliche Versorgungsamt der Bundesländer bekommen. Es läuft überhaupt nicht. Lange Verfahrensdauer und am Ende eine Ablehnung. Das ist schon mehr als enttäuschend." Dabei sei das bisherige Leben dieser Menschen – wie sie es bis zur Impfung geführt hatten – vorbei.

Bundesweite Umfrage: Kaum Anerkennung durch Behörden

Keine Anerkennung durch die Versorgungsämter: Stimmt das tatsächlich? MDR Investigativ hat eine Umfrage gestartet, wie die Praxis bundesweit aussieht. Nordrhein-Westfalen hat als einziges Bundesland nicht geantwortet. Keinen einzigen positiven Bescheid meldeten Hessen, das Saarland und Bremen.

Doch zwei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Anträge offensichtlich bearbeitet werden: In Sachsen wurden 271 Anträge gestellt. Es gibt schon 108 Ablehnungen und 13 positive Bescheide. In Niedersachsen wurden von 340 Anträgen nur 33 bisher beschieden, davon vier positiv. Es scheint, als läuft die Bearbeitung schleppend und positive Bescheide sind selten.

Angehender Polizist aus Sachsen kann Ausbildung nicht beginnen

Einer, der einen solchen Antrag in Sachsen gestellt hat, ist Martin. Der 20-Jährige hat Angst vor beruflichen Nachteilen und will nur anonym mit MDR Investigativ sprechen. Er bekam nach seiner zweiten Impfung vor über einem Jahr schwere Herzbeschwerden: "An einem Nachmittag war es extrem, Puls bei 136. Ich dachte, wenn das Herz schneller schlägt, dann war es das." Martin erzählt, dass in der Notaufnahme festgestellt worden sei, dass es Veränderungen im EKG gibt, die nur Leute mit einem Herzinfarkt oder einer Herzmuskelentzündung haben. "Dann haben die Ärzte gesagt: Warten Sie mal eine Woche, warten Sie einen Monat. Es ist weit über ein Jahr her und es ist nicht weg."

Dann haben die Ärzte gesagt: Warten Sie mal eine Woche, warten Sie einen Monat. Es ist weit über ein Jahr her und es ist nicht weg.

Martin

Martin wollte eigentlich im vergangenen Herbst bei der Polizei anfangen. Er hatte alle Prüfungen bestanden, die ärztlichen Untersuchungen blieben ohne Auffälligkeit. Seinen Berufswunsch muss er nun erst einmal abschreiben: "Das ging aufgrund der ganzen Nebenwirkungen nicht. In der Zeit gehen mir monatlich 1.200 Euro Bezüge verloren. Ich versuche zu studieren. Das sind nach rund einem Jahr mehr als 20.000 Euro Verlust."

Ob er den Job jemals machen kann, könne ihm niemand sagen: "Ab einem halben Jahr gelten die Schäden als chronisch", sagt Martin. "Je länger man sie hat, desto eher werden sie dauerhaft. Jetzt kann mir niemand sagen, ob es besser wird." Zurück bleiben Resignation und völlige Unsicherheit über die Zukunft.

Kein Krankengeld und Arbeitslosengeld trotz Arbeit?

So geht es auch Steffi Gossler aus dem Vogtland in Sachsen: Ihre Impfung war Anfang März 2021. Zweieinhalb Stunden nach der Spritze kam sie zu Hause nicht einmal mehr die Treppe hoch. Auch ihre Arztbriefe führen verschiedenste Beschwerden auf. Eine gesicherte Erklärung für ihren schlechten Zustand kennt niemand. Bis heute fällt ihr selbst ein kleiner Anstieg im Garten schwer.

Sie hat insgesamt 17 Monate Krankengeld bekommen – doch das fällt nun weg: "Ich musste dann ins Arbeitsamt, obwohl ich eine ungekündigte Stelle habe und musste mich arbeitslos melden", berichtet Steffi Gossler. "Ich bin 40 Jahre im Beruf und habe noch nie mit dem Arbeitsamt zu tun gehabt."

Steffi Gossler befürchtet nun, dass sie bald ganz ohne Geld dastehen könnte. Sie hat einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens beim zuständigen Versorgungsamt gestellt, doch Mitte August kam die Ablehnung.

Allein mit den Kosten für die Behandlung der Krankheit?

Auch die Schauspielerin Felicia Binger kämpft mit den Umständen: Ihr jüngster Versuch wieder gesund zu werden war eine sogenannte Immunadsorption. Die Therapie dient der Entfernung von Autoantikörpern und wird bei Autoimmunerkrankungen angewendet. Die Krankenkasse lehnt die Übernahme der Kosten ab: "Die Immunadsorption, die ganzen Medikamente, die anderen Behandlungsversuche, ich würde sagen, ich bin bei mindestens 25.000 Euro", sagt die junge Frau.

Felicia Bingers bittere Analyse: Sie ist pleite. Mitte Juni schöpfte auch sie Hoffnung, als Gesundheitsminister Karl Lauterbauch Post-Vac im Video erwähnt. Die Art und Weise, wie er es tut, ist dann auch für sie eine einzige Enttäuschung – ebenso wie für viele weitere Betroffene, mit denen MDR Investigativ gesprochen hat. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es auf Nachfrage: Man nehme das Auftreten von möglichen Nebenwirkungen nach der Anwendung des Impfstoffs sehr ernst. Wer gesundheitliche Schädigungen über das übliche Ausmaß von Impfreaktionen hinaus erlitten habe, habe Anspruch auf Entschädigung.

"Wir müssen etwas tun!" So ist das Papier überschrieben, dass der EU-Abgeordneten Karsten Lucke (SPD) Anfang August zum Thema Post-Vac und Post Covid veröffentlicht hat. Darin fordert er Hilfe für beide Patientengruppen, die sich mit ähnlichen Problemen herumschlagen müssen: "Dass diese Menschen um Anerkennung, dass sie krank sind aufgrund dieser Virusinfektion oder vielleicht auch aufgrund von Impfungen im Sinne von Impfschäden im Nachhinein, da werde ich fast sprachlos. Weil die Menschen gehen von Arzt zu Arzt und durchlaufen eine Tortur. Und werden von Pontius zu Pilatus geschickt. Noch schlimmer ist es, wenn am Ende das Urteil lautet: Du hast ja gar nichts oder es ist psychosomatisch oder du machst ja nur eine Show."

Wie Corona-Leugner ihren Hass gegen Post-Vac-Betroffene richten

Diesen Vorwurf bekommt etwa Felicia Binger zu hören. Sie treffen Hasstiraden, weil sie ihre Krankheit öffentlich gemacht hat. Die Anfeindungen kommen aus unterschiedlichen Lagern. Ein Beispiel: Der berüchtigte Verschwörungserzähler Attila Hildmann hetzt gegen die junge Frau und behauptet, sie würde alles nur schauspielern und dafür bezahlt. Eine seiner absurden Begründungen: "Wer noch gesund aussieht und den Leuten vorspielt, sie sei da irgendwie impfgeschädigt… Ich glaube da kein einziges Wort."

Zur Erinnerung: Der ehemalige vegane Koch trat regelmäßig bei Demonstrationen von Corona-Leugnern auf, äußerte sich antijüdisch und formulierte rechtsextreme Hetz-Reden wie etwa diese Mitte 2020: "Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel. Denn sie plant mit Bill Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen." Nach Drohungen gegen Politiker eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren unter anderem wegen Volksverhetzung, des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Kurz vor seiner Verhaftung entzog Hildmann sich durch Flucht in die Türkei.

Felicia Binger ist über die Hildmann-Aussage schockiert. "Sie entschuldigt sich für ihre Wortwahl, aber sie hätte sich in letzter Zeit schon viel ‚Scheiße anhören‘ müssen. Ich bin froh, dass ich an einem Punkt bin, wo ich nur noch einmal in der Woche darüber weine, anstatt jeden Tag fix und fertig bin." Doch sie könne es im Allgemeinen einfach nicht verstehen, wie jemand so bösartig sein könne: "Menschen gegenüber, die krank sind. Egal, warum sie krank sind."

Hinweis: Mehr zu diesem Thema im ARD-Magazin FAKT im Ersten am Dienstag, 6. September 2022, um 21.45 Uhr und anschließend in der ARD-Mediathek.

Quelle: MDR Investigativ/ mpö

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Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 29. August 2022 | 14:30 Uhr

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