Corona, Krieg - und dann? Personalmangel und Rekordbeschäftigung: IAB-Forscher über den deutschen Arbeitsmarkt

22. Juli 2022, 15:00 Uhr

Offene Ausbildungsstellen, fehlende Zuwanderung, Stellensuche anderswo - im Interview spricht Bernd Fitzenberger über die gegenwärtig spürbare Personalnot auf dem deutschen Arbeitsmarkt und die Aussichten angesichts von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Fitzenberger leitet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg (IAB). Er sagt: "Das Ende der Krisen ist leider nicht absehbar."

Vermutlich hat es viele Familien getroffen. Ausgerechnet jetzt, zum Start der Urlaubssaison, strichen Luftfahrtgesellschaften tausende Flüge. Begründet wurde das mit Personalnot. Flüge könnten nicht mehr abgefertigt werden, es fehlten sowohl Bodenpersonal als auch Flugbegleiter. Im öffentlichen Nahverkehr fallen Züge aus, in Gaststätten fehlt ebenfalls Personal.

IAB-Direktor Bernd Fitzenberger erläutert das Problem: Gastrogewerbe und Flugbranche hätten besonders unter den Einschränkungen der Pandemie gelitten. Hinzu komme, dass in diesen Branchen teilweise sehr einfache, niedrig bezahlte Arbeitsplätze existierten.

Viele Beschäftigte hätten sich nach Alternativen umgesehen, etwa in der Pflege oder beim Gesundheitsschutz. "Und die fehlen jetzt eben, die kommen nicht sofort zurück. Die haben sich zum Teil auch an die regelmäßigen Arbeitszeiten, vielleicht auch an bessere Verdienste gewöhnt", sagt Fitzenberger.

Und die fehlen jetzt eben, die kommen nicht sofort zurück. Die haben sich zum Teil auch an die regelmäßigen Arbeitszeiten, vielleicht auch an bessere Verdienste gewöhnt.

Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Personal fällt coronabedingt aus

Hinzu kämen "schlicht und ergreifend" die enorm hohen Krankenstände. Schließlich grassiere die Pandemie noch immer, teilweise seien die Menschen krank, teilweise die Kinder oder sie müssten quarantänebedingt zu Hause bleiben. Damit falle regelmäßig ein hoher Prozentsatz der Beschäftigten aus, besonders in jenen Bereichen, die persönliche Präsenz vor Ort benötigten.

Das werde "sicher“ auch im nächsten Winter eine Rolle spielen. In den besonders betroffenen Branchen müssten eigentlich nun mehr Leute eingestellt werden als üblich. Das hieße, die Leistungen würden teurer.

Generell hätten sich in der Corona-Zeit viele Menschen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen oder wagten nun nur zögerlich einen Neustart. In Branchen, die von der Krise stark getroffen wurden, habe es Einstellungsstopps oder grundsätzlich zu wenig Interessenten für eine Berufsausbildung gegeben. Daneben gebe es Branchen, die schon vor der Pandemie unter einem Fachkräftemangel gelitten hätten. Pflege, Handwerk gehörten dazu, oder auch Erziehung und IT-Bereich.

Wo wir sehr langsam sind in Deutschland, ist, eben die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung attraktiver zu gestalten.

Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Das Problem sei, so sagt Fitzenberger, dass zu wenige Menschen bereit waren, unter den gegebenen Bedingungen zu arbeiten. "Wo wir sehr langsam sind in Deutschland, ist, eben die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung attraktiver zu gestalten."

Immerhin sei es in den vergangenen Monaten gelungen, in der Pflege Gehälter und Ausbildungsbedingungen zu verbessern. Die Beschäftigung in der Pflege sei nunmehr auf Rekordniveau, auch wenn weiter Personal gesucht werde: "Langsam ist da was passiert, nur der Bedarf ist noch höher."

Kaum Interessen an Handwerker-Ausbildung

Vergleichbar sei das Handwerk. In allen Bundesländern strebe die Mehrzahl der Jugendlichen Abitur und damit eine akademische Ausbildung an. Das sei für alle Bereiche, die stark von einer betrieblichen Ausbildung abhängen, "eine große Herausforderung".

Jugendliche müssten wieder für das Handwerk begeistert werden, es müssten attraktivere Arbeitsplätze angeboten werden. Damit könnte das Image dieser Berufe steigen, denn schließlich sei der gesellschaftliche Stellenwert für Jugendliche "auch sehr wichtig", Beruf und Berufung gingen Hand in Hand.

Hinzu komme ein weiterer Aspekt. Innerhalb der ersten beiden Jahre der Pandemie seien deutlich weniger Menschen nach Deutschland eingewandert. Erst in diesem Jahr gebe es einen gewissen Nachholeffekt. Zusätzlich kämen hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine, vor allem Frauen und Kinder.

Ob sie tatsächlich hier bleiben werden, sei unklar. Neben Sprachkursen und Kinderbetreuung sei die Perspektive entscheidend. Kurzfristige Anstellungen bedeuteten in der Regel nur eine Beschäftigung unter den eigentlichen Qualifikationen.

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MDR (thk)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 23. Juli 2022 | 06:10 Uhr

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