Bunker und Schutzräume im Osten Wie man mit wenig ökonomischen Aufwand die Bevölkerung schützen wollte

10. Juli 2022, 06:00 Uhr

Zu DDR-Zeiten hat es im Osten von Deutschland Millionen Schutzplätze für die Bevölkerung gegeben – und noch viele mehr hätten binnen Stunden gebaut werden können. Doch darüber und wo die Bunker waren, ist kaum etwas bekannt, sagt Professor Holger Beiersdorf. Er archivierte spannendes Material, das in Zeiten des Friedens plötzlich niemanden mehr interessierte – doch im Angesicht des Krieges in Europa wieder an Bedeutung gewinnt.

Frage: Von ursprünglich 2.000 öffentlichen Schutzräumen, gibt es laut Bundesanstalt für Immobilienliegenschaften noch rund 600 Anlagen in Deutschland, die für den Zivilschutz vorgesehen waren. Darunter: Kein einziger Bunker aus dem Osten Deutschlands. Warum wissen wir heute so wenig über die Bunker in Ostdeutschland?

Antwort Professor Holger Beiersdorf: Nach 1990 gab es einen Paradigmenwechsel, da sah alles nach Entspannung aus. Das Thema Krieg spielte keine Rolle mehr. Da hatte man nicht mehr an Bunker oder an irgendwelche Zivilverteidigung gedacht. Man hatte ganz andere Sorgen. Man hatte ja eine Bestandsaufnahme der Hauptverwaltung Zivilschutz aus dem Jahr 1990 vorliegen. Das war eine Übergangs-Organisation, die wenig später aufgelöst wurde. Diese Aufstellung aus der DDR wurde der neuen Regierung übergeben. Aber man hatte gar kein Interesse mehr daran, sich um den Bestand zu kümmern. Das Thema ist also in Vergessenheit geraten.

Bunker ist ja nicht gleich Bunker. Welche Unterscheidungen muss man denn für die Bunker im Osten treffen?

Es ist wichtig, da erstmal Struktur hineinzubringen, denn in der gesamten Diskussion, die wir in diesen Tagen führen, werden die unterschiedlichsten Bunker durcheinandergewürfelt. Ich fange bei den Bunkern der Staatsführung an. Über die ist noch viel bekannt. Da findet man auch ausreichend Literatur dazu, da findet man auch die Standorte dazu. Auf der Ebene der Bezirke gab es auch Führungsbunker, von dort aus sollte der Bezirk gemanagt werden. Parallel dazu gab es auch Bunker der Staatssicherheit mit den gleichen Funktionen. In der Hierarchie weiter unten kommen wir auf die Kreise. Da gab es Bunker für die Kreis-Einsatzleitung, die von dort aus für das Territorium des Kreises organisiert, befohlen, gemanagt hätte.

Die bewaffneten Organe, also die Nationale Volksarmee, die Grenztruppen und auch die sowjetischen Streitkräfte, die hatten auch jede Menge Bunker. Wo die alle sind, darüber haben wir aber keinen Überblick. Die sind nicht in den Wohngebieten, wo man Luftschutzbunker eigentlich benötigen würde. Die sind irgendwo im Wald, bei Übungsplätzen, die sind alle weit weg. Zustand wahrscheinlich hundsmiserabel.

Professor Dr. Holger Beiersdorf Besuchte nach der Wende in Bernburg die ehemalige Landwirtschaftshochschule. 1994 wurde er auf das Thema Zivilverteidigung aufmerksam, das weckte sein Forschungsinteresse. Sein erster Weg führte ihn damals in die Bernburger Stadtbibliothek. Beiersdorf fragte nach Literatur – und bekam diese sogar geschenkt. Denn: Sämtliches Material zum Thema Zivilverteidigung sollte entsorgt werden. Der Beginn seiner umfassenden Literatursammlung zum Thema Zivilverteidigung in der DDR. Erste Exponate aus einem alten Bunker der Reichsbahn ergatterte er in Wittenberge. Sein Archiv umfasst mittlerweile 4.000 Exponate. In seiner Lagerhalle in Norddeutschland arbeitet er gerade an einer Ausstellung zum Thema Zivilverteidigung in Ostdeutschland.

Und neben den militärischen gab es auch zahlreiche zivile Bunker?  

Auch andere Bereiche wie die Post oder die Bahn hatten eigene Bunker. Also unter dem Postamt war in der Regel ein Bunker, wo die Telefonvermittlung war. Da sind auch ganz viele vorhanden gewesen – allerdings vollgestopft mit Technik. Die kann man als normale Schutzbunker in der Regel nicht nehmen.

Jetzt kommen wir in die Betriebe. Verantwortlich war der jeweilige Betriebsleiter. Und diese Bunker sind zahlreich vorhanden, Altanlagen aus dem Krieg, Neubauten. Aber das wusste in der Regel immer nur der Betriebsleiter. Er war verantwortlich, dass dort alles funktioniert. Die Bunker konnten auch als Lagerräume genutzt werden, mussten aber binnen vier Stunden geräumt und hundert Prozent einsatzfähig sein. Die heutigen Betriebsinhaber sind Eigentümer der Bunker. Und die können darüber auch bestimmen was damit gemacht wird.

Wie waren diese Bunker für den Zivilschutz beschaffen?

Beim Bevölkerungsschutz gab es mehrere Kategorien von Bauwerken. Erstmal gab es richtige Luftschutzbunker, dann Altbauwerke aus dem Krieg und die dritte Kategorie sind schnell errichtbare Schutzbauten.

Waren diese Bunker von der Qualität so beschaffen wie die im Westen?

In der vorhandenen Aufstellung der Hauptverwaltung Zivilschutz aus dem Jahr 1990 wird dargestellt, dass es richtig gute Luftschutzbunker, vergleichbar mit dem Westen gab. Insgesamt 27.430 Schutzplätze, sogenannte Druckwellen-Bauwerke, die eine Druckwelle überstehen können. Davon kann ich auch 11.140 nachvollziehen, weil die Adressen von 37 Bauwerken bekannt sind. Ob die heute noch vorhanden sind, weiß ich nicht. Das sind alles Muster-Bunker aus den Sechziger-Jahren, als man ein riesiges Bunkerbauprogramm auflegen wollte. Doch das ist ökonomisch nicht möglich gewesen. Allerdings hat man auch im Westen kein durchgängiges Bunkerbauprogramm gehabt, so wie in der Schweiz.

Welche Lösung hatte man für das Problem?

Im Osten hat man dann auf Altbestände zurückgegriffen. Das heißt, aus dem Krieg ist der eine oder andere Bunker stehen geblieben, und diese Bunker hat man wieder ertüchtigt. Man ist in Sechziger-Jahren also losmarschiert, in jedem Landkreis, und hat geguckt, wo steht noch eine Altanlage, die in Stand gesetzt werden kann.  

Außerdem wurden Bauwerke in Zweitfunktion als Bunker genutzt, aber mit einer verminderten Schutzklasse. Man muss sich das so vorstellen: wir kennen alle den Plattenbau WBS 70, die überall in der Landschaft stehen. Ich habe auch mal eine Weile drin gewohnt nach der Wende. Diese Bauten wurden von der Bauakademie so ausgelegt, dass die eine verstärkte Kellerdecke haben, dass sie Lüftungen haben, wo man Überdruckklappen, Lüfter einbauen kann. Die Durchgänge sind so, dass man von einem Aufgang zum nächsten glatt durchgehen kann. Die Kellertüren sind teilweise so gewesen, dass man daraus Pritschen bauen kann. Also das waren alles Dinge, die man gemacht hat, wo man mit wenig ökonomischen Aufwand viel Nutzen erreichen könnte – im Sinne des Sozialismus und der Verteidigung. Besser so etwas als überhaupt nichts haben. Und diese Bauwerke hat man dann ja in Massen vorbereitet. Das wären noch einmal insgesamt 2,4 Millionen Schutzplätze gewesen.

Insgesamt waren also für rund elf Prozent der Bevölkerung Schutzplätze in Wohngebieten vorhanden – so heißt es in der Auflistung des Zivilschutz-Hauptverwaltung der DDR. Für 85,5 Prozent stehen "ausbaufähige Schutzplätze" zur Verfügung. Was ist damit gemeint?

Man plante mit Bauwerken, die man kurz vor dem Krieg errichtet hätte. Man muss sich das so vorstellen: Man hätte eine Parkanlage genommen, hätte dort eine Baugrube ausgeschachtet, sagen wir zehn mal 30 Meter. Hätte dort unten eine Kiesschicht reingelegt, hätte aus dem Plattenbau-Werken des WBS 70 Platten geholt und hätte dort ganz schnell einfache Dinge gezimmert. Dafür war eine Bauzeit von 24 bis 48 Stunden vorgesehen, das muss man sich mal vorstellen! Das hätten Baueinheiten übernommen, die aus dem Baubetrieben gekommen wären. Die waren auf dem Papier schon beordert. Ich habe komplette Listen, welche Qualifikation da gebraucht wurden, welche Geräte diese Einheiten haben.

Das heißt, der Bereich Zivilverteidigung, wie er ja in der DDR hieß, hatte alles ganz genau vorbereitet.

Genau, das waren Leute, die saßen in den Kreisen, in den Bezirken und in den Großbetrieben und haben alles unternommen, um die DDR im Kriegsfalle durchhaltefähig zu machen. Das heißt, die haben Fahrzeuge erfasst, Geräte erfasst, Leute erfasst und zugeteilt. Haben Baumaterialien zugeteilt, haben den Baukombinat gesagt, wie viel Baumaterial sie für die Bunker vorhalten müssen. Die haben wirklich Stabsarbeit ohne Ende geleistet. Diese Unterlagen habe ich auch nur in Fragmenten, weil, wie gesagt, da kein Mensch mehr darüber redet.

In der aktuellen Debatte um Schutzräume wurde beschlossen, den Rückbau der vorhandenen Bunker erstmal zu stoppen. Außerdem sollen die verbliebenen Schutzräume begutachtet werden. Was halten Sie von diesen Maßnahmen?

Sagen wir es mal so. Wollte man ein wirkliches Bunkerbauprogramm und Schutzraum-Bauprogramm haben, müsste es anders aussehen. Also wenn man den politischen Willen hätte, dort richtig was zu bewegen, müsste das anders aussehen. Aber da hört es ja nicht auf. Ich wurde in der Schule darauf vorbereitet, wie es nach einem Atomkrieg aussieht. Für uns war das gegenwärtig. Wenn es knallt, dann gibt es kein Zurück mehr. Und dann ist es im Prinzip alles weg, richtig weg. Und dann wird die Welt eine andere sein. Also da sind vielfältige Dinge notwendig. Wenn man da was machen wollte. Die Ausbildung der Bevölkerung, Reserven anlegen, die ganze Kommunikation. Wer hält es denn 17 Tage lang in einem Bunker aus? Das sind Themen, die man an der Stelle diskutieren sollte.

Quelle: MDR exakt/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 06. Juli 2022 | 20:45 Uhr

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