Bushaltestelle leer, bei Unterwestrich
Gerade in ländlichen Gemeinden stellt der Nahverkehr schon früh den Betrieb ein. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO/Jochen Tack

Mit Bus und Bahn in Mitteldeutschland Ländliche Gemeinden weiterhin schlecht angebunden

04. September 2023, 11:30 Uhr

Knapp zwei Drittel der Teilnehmer einer MDR-Umfrage, die auf dem Land leben, fühlen sich schlecht ans Bus- und Bahnnetz angebunden. Eine MDR-Analyse der Fahrpläne bestätigt, dass ganze Gemeinden in den Abendstunden vom Nahverkehr abgeschnitten sind.

Leonhard Eckwert
Bildrechte: Charlotte Anlauf

Eine schlechte Anbindung ist der häufigste Grund, warum Menschen in Mitteldeutschland angeben, den Nahverkehr nicht zu nutzen. Das zeigen am Montag veröffentlichte Ergebnisse einer Befragung von MDRfragt. Besonders wer auf dem Land wohnt, fühlt sich durch mangelnde Verbindungen daran gehindert, öfter auf Bahn und Bus umzusteigen.

Über die Befragung

  • An der Befragung zum Nah- und Fernverkehr in Mitteldeutschland haben vom 18. bis 23. August 2023 rund 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
  • Die Ergebnisse von MDRfragt sind nicht repräsentativ. Die Antworten werden jedoch nach statistischen Merkmalen und deren Verteilung in der mitteldeutschen Gesamtbevölkerung gewichtet, um so ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten.
  • Wer seine Meinung zu aktuellen Themen einbringen will und noch nicht bei MDRfragt dabei ist, kann sich jederzeit anmelden. Die einzigen Bedingungen dafür sind: Mindestens 16 Jahre alt und wohnhaft in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen.

Eine MDR-Analyse der Fahrpläne aus dem Frühjahr bestätigt das: Jede dritte Gemeinde in Mitteldeutschland ist werktags ab spätestens 20 Uhr nicht mehr mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreichbar. Dafür wurden alle Fahrplandaten der über 1.200 Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen untersucht, die die mehr als 150 Verkehrsbetriebe in Mitteldeutschland für ihre Busse, Bahnen und Fähren digital zur Verfügung stellen.

Ländlicher Nahverkehr stark von Schulbussen abhängig

Anhand der untersuchten Daten im Zeitraum vom 13. bis 19. März 2023 – eine normale Woche ohne Ferien und Feiertage – wird vor allem deutlich, dass die ÖPNV-Verbindungen im Tagesverlauf stark variieren. Werktags am Morgen sind die Gemeinden flächendeckend mit mindestens einer Verbindung an das Nahverkehrsnetz angeschlossen. Dabei spielen oftmals auch Schulbusse eine Rolle, da Landkreise und kreisfreie Städte dazu verpflichtet sind, Beförderungsmöglichkeiten zu organisieren.

"Wenn der Schulbus in den Ferien entfällt, fährt zweimal täglich ein Bus. Die Mitnahme eines Fahrrades hängt vom guten Willen des Busfahrers ab," berichtet die MDRfragt-Teilnehmerin Michael (48) aus der Börde. Sie nutzt deshalb selten den Nahverkehr, da sie durch Umwege deutlich länger für ihren Weg bräuchte.

Mehr als drei Viertel der Teilnehmer der MDR-Umfrage (78 Prozent) sagen, dass es am wichtigsten sei, die Verbindungen und Taktungen im ÖPNV auszubauen. Demgegenüber finden es nur 18 Prozent wichtiger, dass die Ticketpreise sinken.

Nahverkehr am Abend deutlich ausgedünnt

Vor allem später im Tagesverlauf sowie an Wochenenden und während der Ferien wird es für ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer deutlich schwieriger, sich mit Bus oder Bahn zu bewegen. Davon sind besonders ländliche Gemeinden betroffen. Rund 450 Orte in Sachsen-Anhalt und Sachsen, aber vor allem in Thüringen, werden werktags nach 20 Uhr gar nicht mehr angefahren.

MDRfragt-Teilnehmer Ralf (51) aus dem Salzlandkreis kennt das Problem: "Es fehlen Verbindungen zum Arzt, ins Krankenhaus, zur nächsten Stadt, aber auch am Abend zu Kultureinrichtungen und zurück. Wenn Ferien sind, ist der ÖPNV quasi nicht mehr da, da nur Schulbusse in vielen Orten geplant sind. Das ist nicht verlässlich und alltagstauglich."

In Sachsen-Anhalt sind der Landkreis Börde und der Salzlandkreis am schlechtesten angebunden. In jeweils sieben Gemeinden der Kreise fährt wochentags nach 20 Uhr kein Bus mehr. Ein Beispiel: In der Gemeinde Bördeaue (Salzlandkreis) fährt der letzte Bus im Gemeindegebiet werktags um kurz vor 18 Uhr im Ortsteil Tarthun, am Wochenende ist kurz nach 18 Uhr ein Rufbus die letzte mögliche Verbindung.

Wie gut die Anbindung Ihrer Gemeinde an das ÖPNV-Netz ist, können Sie dieser und folgenden Karten entnehmen:

In Sachsen gibt es beispielsweise im Erzgebirgskreis werktags 14 Gemeinden, die abends ohne ÖPNV-Anschluss sind. In den Landkreisen Bautzen und Zwickau sind es acht beziehungsweise sieben Orte. Eine der besonders abgehängten Gemeinden ist Elterlein im Erzgebirgskreis. Rund 2.800 Menschen leben hier, doch der letzte Bus verlässt bereits kurz vor 18 Uhr die Kleinstadt. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Gemeinden wie Räckelwitz und Crostwitz im Landkreis Bautzen.

Gemeindestrukturen verschleiern schlechte ÖPNV-Anbindungen

Auf dem Papier schneiden Sachsen und Sachsen-Anhalt im Vergleich zu Thüringen relativ gut ab, da mehr als 80 Prozent aller Gemeinden auch nach 20 Uhr noch bedient werden. Allerdings sind die Gemeindegebiete in Sachsen und Sachsen-Anhalt auch deutlich größer als in Thüringen und die Gemeinden setzen sich oftmals aus mehreren Ortsteilen zusammen, die mehrere Kilometer voneinander entfernt liegen können.

Wurden also beispielsweise in der Vergangenheit mehrere eigenständige Dörfer zu einer neuen Gemeinde zusammengefasst, so kann diese Gemeinde aufgrund eines gut angebundenen Ortsteils in der Statistik gut abschneiden, Menschen aus den umliegenden Ortsteilen profitieren davon allerdings kaum, da abends ein Bus zwar das Gemeindegebiet erreicht, die Haltestelle aber trotzdem mehrere Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt liegt.

Haltestellen in Thüringen besonders früh verwaist

In Thüringen hingegen gibt es besonders viele kleine Gemeinden, die teilweise nur aus einem oder zwei Ortsteilen bestehen. Deshalb stechen in den untersuchten ÖPNV-Daten besonders viele Regionen hervor, in denen nach 20 Uhr keine Verbindung mehr fährt. Der Saale-Holzlandkreis hat 65 Gemeinden ohne Abendverbindung – so viele wie nirgendwo sonst in Mitteldeutschland. Auch im Landkreis Eichsfeld (60 Gemeinden) und im Saale-Orla-Kreis (44 Gemeinden) nimmt die Zahl der Verbindungen gegen Abend stark ab.

Linda bei Weida und Gauern, beide im Kreis Greiz, sind die Gemeinden mit dem frühesten Betriebsstopp in Thüringen: Hier ist bereits um 14 Uhr Schluss. In der Gemeinde Haselbach bei Altenburg leben 800 Menschen, die Menschen dort kommen aber schon ab 15 Uhr mit dem Bus nicht mehr zur nahen S-Bahn nach Regis-Breitingen oder von dort mit dem Nahverkehr zurück.

Bahnhof als Standortvorteil

Der Blick auf die Gemeindeebene kann also nur einen ersten, groben Überblick zur ÖPNV-Versorgung liefern, da die Ortsteile einer Gemeinde in der Regel unterschiedlich gut angebunden sind. Eine direkte Verbindung zum Ziel oder eine geeignete Umsteigemöglichkeit fehlt oft auf schwach frequentierten Strecken. Fährt der Bus selten und zu unpassenden Zeiten, bleiben trotz Deutschlandticket nur Auto, Fahrrad oder der Gang zu Fuß, um im Alltag voranzukommen. Abseits der Großstädte ist das in Mitteldeutschland mehr Regel als Ausnahme.

Die letzten Abfahrtszeiten der Gemeinden beschreiben den Alltag eher positiv, geben aber einige Hinweise, wie der Nahverkehr besser funktionieren könnte. Auch in dünn besiedelten Gemeinden fahren abends noch einzelne Busse und Bahnen. Auf dem Land sorgen oft Rufbusse für spätere Anbindung. Diese Busse fahren nur auf bestimmten Linien bei Bedarf. In der Regel kann man sich ein bis zwei Stunden vorher telefonisch anmelden.

Ein weiterer Vorteil für Gemeinden mit wenigen Einwohnern ist der regionale Zugverkehr. Die meisten der kleineren Gemeinden mit Anschlüssen nach 23 Uhr haben einen Bahnhof, an dem eine Regional- oder S-Bahn fährt. Beispiel Sachsen-Anhalt: In Nemsdorf-Göhrendorf, Eichstedt oder Giersleben leben jeweils weniger als 1.000 Menschen. Trotzdem ist das Gemeindegebiet auch nach 23 Uhr noch erreichbar. Das liegt an der Bahnanbindung. Regional- und S-Bahnen verkehren regelmäßig und sind ein Standortvorteil. Allerdings hatte im Juni 2022 weniger als die Hälfte aller Bahnhöfe in Sachsen-Anhalt Parkplätze zum Umsteigen in den Regionalverkehr.

Über die Recherche

Grundlage der Analyse von MDR Data waren Fahrplandaten der Durchgängigen Elektronischen Fahrgastinformation (DELFI). Die Daten enthalten wöchentlich aktualisierte Informationen zu allen Haltestellen und deren Abfahrtszeiten in Deutschland. Für die mitteldeutschen Bundesländer wurden alle Fahrten vom 13. März bis zum 19. März 2023 ausgewertet. Diese Woche ist gut geeignet, da keine Feiertage oder Schulferien in dieser Zeit liegen. Durch Baustellen und neue Fahrten außerhalb des Winterfahrplans können sich zwischenzeitlich einzelne Abfahrten geändert haben.

Die Daten der 2,7 Millionen Abfahrten wurden stichprobenartig überprüft. Sie haben Fehler gefunden? Schreiben Sie uns: data@mdr.de

Die Recherche ist durch diese Analyse des NDRs inspiriert.

MDR (Leonhard Eckwert, Manuel Mohr) | Zuerst veröffentlicht: 24.04.2023

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 04. September 2023 | 21:45 Uhr

89 Kommentare

Ostfussballfan73 vor 52 Wochen

Genau so isses. Dass System gibt es z.B. in der CH auf den Land, in Caracas in der Stadt oder in Mexico City. Es müssen ja auch nicht superlange Züge sein ... dafür wurden Triebwagen erfunden. Das Problem ist der Wille, sich neuen innovativen Ideen zu öffnen (auch wenn dieses spezielle Bsp. ein alter Hut ist.).

Bernd_wb vor 52 Wochen

Maria, und genau da sehe ich den Ansatz es fahren Busse und Bahnen nebeneinander daher beide mit dünneren Fahrplan. Mein Punkt wäre dort wo es Bahnlinien gibt diesen den Verkehr zu übertragen und von den Bahnhöfen dann Busse in die Kammgemeinden fahren. Wichtig, die Anschlüsse müssen funktionieren. In der Schweiz macht man es so und dort funktioniert es sehr gut.

Maria A. vor 52 Wochen

Sorry, landfern, falls ich mich verschrieben habe. Aber U-Bahn-Linien in Vergleich zu setzen mit einem ländlich üblichen Regionalzugverkehr, das hat mich etwas durcheinander gebracht...

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