Eine junge Frau trägt Kopfhörer und blickt auf ihr Smartphone, während sie über eine Straße geht 15 min
Audio: In Deutschland dürfen zur Europawahl erstmals auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Wie anfällig ist diese Gruppe für Fake News? Einschätzungen von Cem Karakaya, Unternehmer für Cybersicherheit und Medienkompetenz. Bildrechte: picture alliance/dpa/Wolfram Steinberg

Interview der Woche Fake News in Sozialen Medien sind Gefahr für Erstwähler

02. Juni 2024, 05:00 Uhr

Zum ersten Mal sind in Deutschland auch 16- und 17-Jährige bei der Europawahl stimmberechtigt – eine Wählergruppe, die sehr viel in den sozialen Netzwerken unterwegs ist. Doch wie können sich Jungwähler zwischen all den Wahlbotschaften zurechtfinden und auch richtig von falsch unterscheiden, wenn Fake-News und ganze Desinformationskampagnen unterwegs sind? Darüber hat MDR AKTUELL mit dem IT-Sicherheitsexperten Cem Karakaya geredet.

MDR AKTUELL: Herr Karakaya, inwieweit sind junge Wähler aus Ihrer Sicht besonders anfällig?

Cem Karakaya: Im Grunde genommen sehe ich den Bereich soziale Netzwerke als überhaupt nicht gefährlich. Dank dieser Technologie können meine Eltern auch in der Türkei fast jeden Abend ihr Enkelkind sehen. Dank sozialer Netzwerke kommen Menschen zusammen, die dasselbe Problem haben, um sich gegenseitig zu helfen. Wie toll ist das bitte?

Aber dieselben sozialen Netzwerke werden leider auch für die Verbreitung von Fake-Nachrichten, Manipulation oder Hasskriminalität benutzt. Ich sehe die größte Gefahr darin, dass Kinder und Jugendliche an vieles glauben. Deswegen müssen wir sie sensibilisieren, dass man nicht gleich alles hundertprozentig als Nachricht wahrnehmen sollte.

Beobachten Sie denn tatsächlich, dass Jugendliche sagen, das steht im Internet, das muss stimmen, und das wird nicht weiter hinterfragt?

Sie denken wahrscheinlich, das wird überprüft, wenn jemand etwas ins Netz stellt. Deswegen empfehle ich auch, das, was ich gerade gelesen oder gehört habe, mit anderen Nachrichtenquellen abzugleichen. Ich persönlich nehme die sozialen Netzwerke als Nachrichtenquelle nicht mehr wahr. Ich lese wie mein Vater früher Zeitungen oder ich schaue die richtigen Nachrichtensender im Fernsehen. Da arbeiten richtige Journalisten und Journalisten, die diesbezüglich eine Ausbildung hinter sich haben und sehr gut recherchieren.

Nehmen Sie denn wahr, dass jetzt in diesen Tagen vor der Wahl sehr viel an Desinformation und gar Kampagnen unterwegs ist und sich möglicherweise auch zielgerichtet an die Erstwähler richtet?

Selbstverständlich. Aber man sollte das vielleicht nicht direkt als hundertprozentige Manipulation nehmen. Da gibt es bestimmt auch staatliche Interessen. Es gibt parteiliche Interessen, dass eine Partei zeigt, das und das möchten wir machen.

Leider haben wir das Problem mit dem Bereich Deep Fake. Ich brauche von Ihnen ein paar Fotos und kann über Sie Videos erstellen, wo Sie sehr viele Sachen sagen, die Sie aber nie gesagt haben.

Und die Frage lautet: Welches Kind, welcher Jugendliche überprüft das, ob dieses Video, was gerade gezeigt wird – auf welcher Plattform auch immer – tatsächlich echt ist? Man kann das technisch betrachtet höchstwahrscheinlich herauskriegen. Aber wer macht das schon zu Hause?

Es ist es wahrscheinlich auch illusorisch zu glauben, dass sich ein Jugendlicher einen Inhalt anschaut, vielleicht Zweifel hat und dann zu Mama und Papa geht – und das bei jedem Video.

Deswegen ist es der beste und wichtigste Auftrag für Eltern, dass wir mit unseren Kindern über diese Themen sprechen, zum Beispiel über politische oder Umweltthemen. Einfach mal ansprechen und fragen, um zu sehen: Wie tickt mein Kind? Welche Meinung hat es? Und dann frage ich: Woher hast du diese Meinung? Wenn dann die Antwort aus den sozialen Netzwerken kommt, könnte ich darüber sprechen, dass man nicht an alles glauben sollte, was man dort liest oder mitbekommt.

Cem Karakaya
Bildrechte: picture alliance/dpa/Sina Schuldt

Über Cem Karakaya Cem Karakaya ist ausgebildeter Polizist und arbeitet jetzt als Unternehmer für Internetsicherheit und Medienkompetenz. Er wird regelmäßig von Schulen eingeladen, um Vorträge zu halten.

Beobachten Sie, dass es schwer ist, einen ersten Zugang zu finden? Diese berühmte Frage, wie war es in der Schule, das funktioniert schlicht gar nicht mehr.

(lacht) Das war doch aber bei uns doch genauso, als wir Kinder waren. Natürlich erzählt man da nicht so viel. Ich denke, die größte Präventionsarbeit ist die Kommunikation und das Vertrauen zwischen mir und meinem Kind. Wenn mein Kind immer die Möglichkeit hat, zu mir zu kommen und von allem zu erzählen, wenn es ein schlechtes Bauchgefühl hat, und es das dann auch tut, dann haben wir schon etwas ganz Großes geschafft.

Dann kann ich auch im Bereich soziale Netzwerke das Gespräch wiedereröffnen und sagen: Welche Nachrichten hast du heute mitbekommen? Du bist ja auf bestimmten Plattformen unterwegs, was hast du heute gelernt? Möchtest du mal mit mir darüber sprechen? Glaubst du wirklich an alles? Meiner Tochter zeige ich manchmal auch Videos und frage: Was meinst du, ist das echt oder nicht?

Wie passen denn politische Bildung und soziale Netzwerke zusammen?

Ich sehe wirklich viele Videos, insbesondere auf TikTok, wo man einfach einen Tisch vor einen Greenscreen stellt. Dazu dann Menschen mit Anzug, und auf den ersten Blick sieht es so aus wie die Tagesthemen. Da sollte man nicht gleich darauf hereinfallen. Man sollte bitteschön schauen: Wer erzählt mir das Ganze? Was für eine Ausbildung hat der Mensch?

Funktioniert das? Kleine Filmchen auf TikTok können komplizierte Politik erklären oder zumindest näherbringen?

Das glaube ich eher nicht. Aber es gibt so viele tolle Internetseiten wie zum Beispiel klicksafe.de oder schau-hin.info, die ich auch Eltern empfehle. Diese Seiten sind meines Erachtens die Vorreiter im Bereich Medienkompetenz. Sie geben den Eltern genau für solche Themen wie die EU-Wahl Tipps. Ich muss aber als Eltern Zeit investieren, das Ganze durchlesen und danach mit meinem Kind zusammen auch anschauen.

Im Bereich Internet gibt es aber auch das wichtige Thema der rechtlichen Grenzen. Dafür haben wir zusammen mit dem bayerischen Justiz- und Kultusministerium eine Seite erstellt, die nennt sich "Mach dein Handy nicht zur Waffe".

Dafür haben wir einen sehr berühmten TikToker genommen, der uns freundlicherweise unterstützt und einen wunderschönen Film über diese rechtlichen Grenzen gedreht hat. Dieses Video zeige ich immer in meinem Vorträgen und das kommt so was von gut an, weil die Kinder und Jugendliche diese Person kennen und vielleicht sogar als Fan verfolgen.

Was ist da genau zu sehen?

Falco Punch, der Millionen von Follower hat, hat das Video professionell gemacht und er spricht da genau mit der Sprache von Kindern und Jugendlichen, sodass es ankommt. Er erzählt dann zum Beispiel vom Recht am eigenen Bild oder von Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Also dass man in der Klasse den Unterricht ohne Genehmigung nicht aufnehmen darf oder nicht ohne zu fragen, das Bild von jemandem weiterschicken darf.

Eine junge Frau hält sich ein Auge mit der flachen Hand zu, auf ihren Handrücken ist die EU-Flagge geschminkt 1 min
Bildrechte: dpa / ASSOCIATED PRESS / Andreea Alexandru

Nehmen wir mal den Wahl-O-Maten, der jetzt für die Europawahl frisch rausgekommen ist. Wie tauglich ist so ein Mittel, erreicht das junge Menschen?

Das glaube ich kaum, obwohl die Seite wirklich sehr schön gemacht wurde. Das ist, glaube ich, eher der Auftrag im Bereich in der Schule bzw. des Lehrerkollegiums. Sie sollten diese Seite zeigen, nach dem Motto, schaut, diese Möglichkeit gibt es. Vielleicht kann man sie auch mal mit den Kindern zusammen durchklicken und schauen: Welche Meinungen habe ich? Was denke ich über Thema XY? Vielleicht kann man das in der Schule durchgehen. Aber dass die Kinder von sich aus allein auf diese Seite gehen, das glaube ich nicht.

Sie haben angesprochen, dass es hinter solchen Fake News auch gesteuerte Interessen geben könnte. Was könnte das genau sein? Und wie lässt sich das erkennen und demaskieren?

Man kann sehen , was Fake-Nachricht alles anrichten können und dass es dadurch auch möglich ist, die Demokratie zu manipulieren. Die benutzen auch menschliche Gefühle. Wenn ich zuhauf Videos sehe, dass zum Beispiel migrantische Personen dies und das getan hätten, was aber überhaupt nicht stimmt, dann kann sein, dass ich vielleicht eine Richtung gehe und einer Partei meine Stimme gebe – obwohl die Nachricht nicht stimmt.

Und das allergrößte Problem sehe ich bei Politikerinnen und Politikern kurz vor Wahlen. Dann wird ein Foto von der Person genommen, daneben steht irgendein Zitat. Und plötzlich glauben die Menschen automatisch daran, dass diese Person das gesagt haben soll, obwohl sie das nie gesagt hat. Und deswegen Recherche: Hat diese Person das wirklich gesagt und wo wurde das überhaupt gesagt? Und wichtig ist auch, den Kindern die Möglichkeit zu geben, offen mit ihren Eltern, aber auch mit ihren Lehrkräften darüber zu sprechen.

Das Interview führte Sven Kochale.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. Juni 2024 | 08:17 Uhr

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