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KommentarGrundsteuer-Reform: Das ist frech von den Behörden

21. Juli 2022, 19:13 Uhr

Eigentum verpflichtet und wer ein Grundstück besitzt, zahlt dafür Grundsteuer. Nun allerdings werden die Eigentümer unter Androhung von Strafen verpflichtet, die Arbeit der Finanzverwaltung zu übernehmen – in Eigenleistung. Das ist frech, meint unser Autor. Ein Kommentar.

Spätestens seit der Wiedervereinigung war klar, dass die Erhebung der Grundsteuer bundesweit neu geregelt werden musste. Die Bemessungsgrenzen waren veraltet. Allerdings sollte es noch weitere 28 Jahre dauern, bis die Reform auf den Weg gebracht wurde – nicht durch die Politik, sondern durch das Bundesverfassungsgericht.

Denn in rund drei Jahrzehnten hatte es keine Bundesregierung geschafft, die Ungerechtigkeit im alten System der Grundsteuern zu beseitigen. Das Urteil des Gerichts erging im Jahr 2018 und es folgten lange Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, schließlich geht es bei der Grundsteuer um viel Geld für die Städte und Gemeinden. Wohl auch deshalb gab es keine Einigung.

In einem allerdings waren sich offenbar alle Bundesländer einig: nämlich den Steuerzahler als unbezahlten digitalen Finanzbeamten zu missbrauchen, und das in einem Land, das in Europa als das digitalpolitische Albanien gilt.

Uli Wittstock | MDR-Reporter

Chaos durch Uneinigkeit

Es gibt nunmehr sehr verschiedene Arten der Steuererhebung: Bayern berechnet anders als Baden-Württemberg, auch Hamburg und Hessen gehen eigene Wege, ebenso wie Niedersachsen, das Saarland und Sachsen. Die übrigen Länder, also auch Sachsen-Anhalt, halten sich an das Modell der Bundesregierung. In einem allerdings waren sich offenbar alle Bundesländer einig: nämlich den Steuerzahler als unbezahlten digitalen Finanzbeamten zu missbrauchen, und das in einem Land, das in Europa als das digitalpolitische Albanien gilt. Es wundert also nicht, dass, wie schon seinerzeit bei den Corona-Impfterminen, das System zunächst wegen Überlastung zusammenbrach.

Digitalisierung gescheitert

Doch es war die Bundespolitik, die vor Jahrzehnten entschied, dass die Versorgung mit Internet, anders als die Bereitstellung von Strom, Wasser oder Autobahnanschlüssen, nicht als staatliche Daseinsvorsorge gilt. Und seitdem sind vor allem jene Regionen, in denen es besonders viele Immobilienbesitzer gibt, nämlich die Landkreise, digitales Ödland.

Jetzt die Menschen dort zu zwingen, ihre Grundsteuerangaben unter Androhung von Strafen, auch ohne Internetanbindung digital zu überstellen, ist ein Akt behördlicher Frechheit. Man solle doch bitte Kinder und Verwandte um Hilfe bitten, teilen Sachsen-Anhalts Behörden mit.  

Bürgerferne Verwaltung

Sachsen-Anhalt liegt wie die übrigen ostdeutschen Bundesländer bei der Nutzung des Internets hinter den westdeutschen Ländern deutlich zurück, auch eine Folge des demographischen Wandels. Den scheint man aber in der Verwaltung geflissentlich ausblenden zu wollen. Während Sachsen-Anhalts Behörden selbst digital kaum Dienstleistungen anbieten, wird das nun jedoch mit aller Vehemenz von rund der Hälfte aller Einwohner in Sachsen-Anhalt gefordert, als lebte man noch in einem preußischen Obrigkeitsstaat. Das Wort Bürgernähe klingt unter solchen Vorzeichen schon als Drohung.

Der Steuerbürger als Datensammler

Hinzu kommt, dass die Behörden den Steuerbürger verpflichten, auch Daten anzugeben die längst in jedem Grundbuchamt vorliegen, etwa zu Grundstücksgrößen und Grundstückseigentümern. Ebenso unverständlich ist es, warum die Betroffenen die Bodenrichtwerte ermitteln müssen, Daten, die Landesamt für Vermessung und Geoinformation selbst vorhält. Auch Angaben über Alter der Gebäude und Größe des Wohnraums finden sich in jeder Bauakte der Gemeinden. Entweder trauen die Behörden ihren eigenen Datensätzen nicht, oder der Fachkräftemangel macht auch vor der Verwaltung nicht halt.

Schlussrechnung offen

Optimistisch geschätzt, braucht man etwa eine Stunde zum Ausfüllen der Unterlagen. Umgelegt auf 1,1 Millionen Betroffene in Sachsen-Anhalt sind das folglich 1,1 Millionen Verwaltungsstunden, die das Land auf Kosten seiner Bürger einspart. Bei einem Stundensatz von 25 Euro wären das dann immerhin 27,5 Millionen Euro, die der Sachsen-Anhalter Grundstücksbesitzer unentgeltlich dafür erbringt, dass er für sein Eigentum Steuern zahlen darf.

Das IKEA-Prinzip basiert allerdings auf dem Versprechen, dass der Selbstbausatz-Schrank besonders günstig ist. Ob dies für die Grundsteuer auch gilt, darf bezweifelt werden.

Mehr zum Thema: Tipps für die Grundsteuer

MDR (Uli Wittstock, Luca Deutschländer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. Juli 2022 | 19:00 Uhr

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