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Inklusion: Schulbegleiter erleichtern Kindern mit Behinderung den Schulbesuch. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

Soziale DolmetscherInklusion in Schulen: Unter welchen Arbeitsbedingungen Schulbegleiter Kindern helfen

08. Oktober 2024, 16:51 Uhr

Nach der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 haben Kinder ein Recht auf inklusive Bildung. Integrationshelfer sollen dabei helfen, Kinder mit geistiger, körperlicher oder seelischer Behinderung in der Schule zu unterstützen. Lehrkräfte und Familienangehörige stoßen an ihre Grenzen, wenn die Helfer ausfallen. Gründe für Ausfälle: Bürokratie, prekäre Arbeitsbedingungen und Überforderung. Was bei der Inklusion in Schulen helfen würde.

Seit der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 haben Kinder ein Recht auf inklusive Bildung. Doch im Schulalltag ist das nicht immer so einfach umzusetzen. Viele Schulen in Deutschland sind nicht für eine so personen- und zeitintensive Aufgabe ausgelegt. Lehrer können sich oft nicht den Freiraum nehmen, um auf Schwierigkeiten Einzelner einzugehen.

Jugend- oder Sozialämter entscheiden über Schulbegleiter

Dabei sollen sogenannte Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter unterstützen. Sie sollen Kindern mit geistiger, seelischer oder körperlicher Beeinträchtigung den Schulbesuch erleichtern oder in manchen Fällen sogar erst ermöglichen.

Arbeitgeber von SchulbegleiternSchulbegleiter sind nicht direkt beim Jugend- oder Sozialamt unter Vertrag, sondern bei Freien Trägern und Sozialen Diensten wie der Caritas, Diakonie, der Lebenshilfe oder privaten Stiftungen.

Frauke Narinder, langjährige Schulbegleiterin und Leiterin der ambulanten Jugendhilfe der Diakonie Leipzig. Bildrechte: Christiane Grundlach

Ob Schüler einen Schulbegleiter bewilligt bekommen, entscheiden in den meisten Bundesländern die Jugendämter bei emotional-sozialem Förderbedarf. Dazu zählen etwa ADHS, ADS oder Autismus. Bei körperlichen und geistigen Behinderungen, wie dem Down-Syndrom, entscheiden die Sozialämter über einen Schulbegleiter, erklärt Frauke Narinder, Leiterin der ambulanten Jugendhilfe der Diakonie Leipzig und langjährige Schulbegleiterin.

Schulbegleiter sind wichtige Bezugspersonen

Vorstandsmitglied des Bundesfachverbands für Schulbegleiter, Markus Stölting. Bildrechte: Fotostudio Lichtblick

Schulbegleiter sind wichtige Bezugspersonen für die Kinder und sorgen für Orientierung in ihrem sozialen Umfeld – übernehmen jedoch keine sonderpädagogischen Aufgaben. Manche Kinder und Jugendliche brauchen eine Rundumversorgung. Markus Stölting, Vorstandsmitglied beim Fachverband Schulbegleitung, zufolge unterstützen Schulbegleiter aber auch Kinder, die sich nur schwer konzentrieren können, indem sie deren Arbeitsschritte strukturieren. Bei Kindern mit Autismus, ADHS oder einer Impulskontrollstörung seien sie soziale Dolmetscher.

Sozialpädagogin Narinder erklärt, warum die Arbeit als Schulbegleiter anstrengend ist: "Es sind sehr herausfordernde Fälle, mit denen wir zu tun haben. Da hat man mit Aggressionen, körperlichem Ausagieren und einer psychischen Belastung zu tun. Das sind ja manchmal auch in den Haushalten Umstände, mit denen man als Helferin oder Helfer erstmal zurechtkommen muss."

In Narinders Team arbeiten 100 Pädagogen, davon sind 85 Schulbegleiter. Alle haben eine sozialpädagogische Ausbildung und bekommen eine fachliche Einarbeitung. Das ist jedoch nicht Standard.

Schulbegleiter: kein klares Berufsbild

Schulbegleitung ist kein eigenständiger Beruf, erklärt Narinder. "Es ist Teil eines Arbeitsumfeldes, der Jugendhilfe sowie der Hilfe zur Erziehung. Die Schulbegleitung hat darin eine Sonderstellung", sagt sie. In der Regel brauchten Schulbegleiter keine spezielle abgeschlossene Ausbildung. Deshalb arbeiteten unter anderem Quereinsteiger, Bundesfreiwilligendienstleistende oder Studierende als Begleiter.

Stölting bestätigt das und begründet die verschiedenen Berufsfelder mit dem Fachkräftemangel. Jedoch versuche man, die Begleiter durch "Anleitung, Weiter- und Fortbildung in dieses Feld hineinzuarbeiten und zu qualifizieren". Der Verband setzt sich für die Vernetzung von Schulbegleitern und für ein klares Berufsbild mit Qualitätsstandards ein.

Schulbegleiter und Kind müssen zueinander passen

Es kommt vor, dass Schulbegleiter bei einem schwierigen Fall oder aufgrund von Stress das Kind wechseln. "Ich kann mir gut vorstellen, dass, wenn man darauf innerlich nicht gut vorbereitet ist, es einen überfordert", sagt etwa die Sozialpädagogin Narinder.

Unterstützung für Schulbegleiter bei ProblemenBei Überforderung oder Problemen bietet die Diakonie in Leipzig ihren Schulbegleitern das Gespräch mit Vorgesetzten und eine Themenberatung alle 14 Tage an.

Zudem haben sie sechs bis sieben Mal im Jahr Supervision, das ist eine psychotherapeutische Beratung, bei der Fälle besprochen werden können.

Ihrer Meinung nach kann ein Wechsel auch an einem schlechten Informationstransfer zwischen den Behörden und den Trägern liegen. "Wenn wir Fälle übergeben bekommen, haben wir oft nur ganz spärliche Informationen. Eigentlich soll der Helfer oder die Helferin ja passgenau zum Kind und seinen Herausforderungen gesucht werden." Wenn aber die Informationen über das Kind und seine Situation nicht umfassend sind, sei es schwierig, jemanden Passendes zu finden, sagt Narinder.

Prekäre Arbeitsbedingungen als Schulbegleiter

Auch Ausfallzeiten in der Schule seien ein weiterer Grund für mögliche Schulbegleiterwechsel. Denn oftmals sind die Verträge der Begleiter an die Stunden eines Schülers gekoppelt. Fallen Stunden weg, erhalten Schulbegleiter keine Bezahlung. "Wenn der Begleiter die Stunden nur an diesem Kind macht und dann fällt das Kind die halbe Woche aus, weil die Lehrkräfte an den Schulen fehlen oder das Kind vielleicht krank ist, wird die Kollegin für diese Zeit nicht bezahlt", sagt Narinder. "Das ist natürlich kein sicheres Einkommen."

Das ist kein sicheres Einkommen.

Frauke Narinder, Sozialpädagogin der Diakonie Leipzig.

In den Sommerferien müssen sich manche Schulbegleiter daher arbeitslos melden. Die Diakonie Leipzig löst das durch feste Verträge: In Ausfallzeiten werden die Mitarbeiter in anderen Bereichen eingesetzt. Das kann sich jedoch nicht jeder Träger leisten.

Zudem haben Narinder zufolge persönliche Lebenslagen von Schulbegleitern Einfluss auf die Dauer der Inklusionshilfe. Wird jemand schwanger oder schwerwiegend krank, müsse eine Vertretung organisiert werden.

Keine Pädagogin oder Pädagoge trifft den Abbruch einer Begleitung leichtfertig.

Frauke Narinder, Diplom-Sozialpädagogin

Markus Stölting zufolge kann man die Gründe für den Abbruch einer Schulbegleitung nicht pauschalisieren. Gibt es eine gute Anleitung und ein gutes Setting, dann sei das Verhältnis meistens von Kontinuität und Stabilität geprägt. "Wenn Schulbegleiter sagen, sie können nicht mehr, dann stimmen mehrere Faktoren nicht."

Häufige Wechsel von Schulbegleitern problematisch

Stölting und Narinder sind sich einig, dass häufige Wechsel problematisch und nur im Notfall angebracht sind. "Häufiger Wechsel ist wirklich ein Problem. Kern dieser Hilfe ist die Beziehung zum Kind, denn nur über eine Beziehung funktioniert eine effektive Hilfe", erklärt Narinder. Das müsse langfristig gedacht werden. Bei der Diakonie in Leipzig sei das der Fall. Im Schnitt begleite man die Kinder mindestens zwei, in der Regel bis zu fünf Jahre. Sie kenne jedoch Fälle, wo wochenweise der Begleiter wechsele.

Auch Stölting sagt, dass eine Begleitung meist über mehrere Jahre oder zumindest über die gesamte Grundschulzeit die Norm sei. Auch eine stichprobenhafte Umfrage von MDR AKTUELL bei verschiedenen Trägern in Mitteldeutschland ergab, dass häufige Wechsel der Schulbegleiter eher selten sind.

Schulbegleitung kann nicht alle Probleme der Inklusion lösen

Für Schüler mit Schulbegleitung gilt die Schulpflicht. Das Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) in Sachsen betont zwar die Bedeutung von Schulbegleitern für die Teilhabe, allerdings äußerte Sprecher Clemens Arndt im Gespräch mit MDR AKTUELL auch Kritik. "Die Schulbegleitung kann nicht die Lösung für alle Probleme bedeuten. Hier braucht es eine aufgeschlossene Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule." Es gebe zum Beispiel Probleme, wenn Absprachen zwischen Schule und Eltern nicht funktionierten.

Der Unterrichtsbesuch sollte also nicht grundsätzlich von der Verfügbarkeit eines Schulbegleiters abhängen, so Arndt. "Es ergeben sich regelmäßig Probleme, wenn die Schulbegleitung erkrankt ist: Soll das Kind in die Schule gehen oder nicht?" Hier brauche es im Vorfeld verbindliche Absprachen zwischen Schule und Elternhaus. "So etwas sollte nicht erst an dem Tag des Fehlens der Schulbegleitung eine Rolle spielen."

Arndt zufolge wird von Eltern viel Hoffnung in die Schulbegleitung gesetzt, weil man den Wechsel des Kinds an Förderschulen vermeiden will. Wenn die Inklusion trotz der Schulbegleitung nicht klappe, herrsche Frustration. Dann könnten Eltern die Schulbegleitung beenden.

Bessere Inklusion durch Koordination und Weiterbildung

Damit die Zusammenarbeit aller Beteiligter besser funktioniert, wünscht sich Frauke Narinder mehr Einheitlichkeit in der Arbeitsweise und klare Grundlagen für die Träger von Schulbegleitern. Auch eine schnellere Bearbeitung der Fördergutachten und eine bessere Koordination mit dem Jugendamt wären hilfreich.

Markus Stölting regt an, dass sich Lehrkräfte gezielt über spezifische Behinderungen weiterbilden sollten. Für erfolgreiche Inklusion solle die Schule zudem offener für externe Fachkräfte, multiprofessionelle Teams und Änderungen in der Unterrichtsstruktur sein.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 06. Oktober 2024 | 06:30 Uhr

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