Revolutionsgarden Deutschland: Wie der Iran Regime-Gegner hier gezielt bekämpft

11. März 2023, 05:00 Uhr

Der lange Arm der Mullahs: Teherans Agenten spionieren Iraner in Deutschland aus und bedrohen sie. Der Verfassungsschutz warnt Deutsch-Iraner zur Vorsicht auf Reisen und in den Sozialen Medien. Wer Widerstand gegen das iranische Regime leistet, gerät in den Fokus des iranischen Geheimdienstes – die Folgen können gravierend sein.

Der lange Arm des iranischen Regimes reicht sogar bis nach Sachsen. Hier hat Hamid Zuflucht gesucht. Er war früher selbst Teil des Staatsapparats im Iran. Doch dann: "Habe ich Videos und Fotos von Verbrechen des Regimes gesehen. Korruption und schlimmer…" Er veröffentlichte das Material. "Deshalb sind sie hinter mir her." Deshalb veröffentlicht die Redaktion auch nicht seinen richtigen Namen.

Hamid ist geflohen und wird auch in Deutschland noch verfolgt. "Am Telefon sagen sie mir: 'Wir packen dich in den Kofferraum und bringen dich zurück in den Iran'", erzählt er. "Ganz einfach. Und dann bleibst du im Evin-Gefängnis – bis du tot bist." Das Evin-Gefängnis ist das berüchtigste Foltergefängnis des Regimes. Menschen, die die Haft überlebt haben, berichten, dass sexuelle und physische Gewalt dort regelmäßig angewendet werden. Tausende politische Häftlinge werden dort eingekerkert. Viele wurden hingerichtet.

Am Telefon sagen sie mir: 'Wir packen dich in den Kofferraum und bringen dich zurück in den Iran.'

Hamid

Urteil für Jamshid Sharmahd: Todesstrafe

Was passiert, wenn das Regime zuschlägt, hat auch Jamshid Sharmahd erlebt. Er ist in Deutschland aufgewachsen und vor rund 20 Jahren mit seiner Familie in die USA ausgewandert. Der Deutsch-Iraner hatte vor 16 Jahren eine Onlineplattform gegründet, auf welcher Iranerinnen und Iraner ungefiltert ihre Meinung äußern können. 2020 sollen ihn iranische Agenten während eines Zwischenstopps in Dubai entführt haben, erklärt seine Familie. Das Regime wirft ihm vor, an einem Anschlag auf eine Moschee im Jahr 2008 beteiligt gewesen zu sein. Im iranischen Fernsehen wird ein Geständnis von Sharmard ausgestrahlt. Die Tochter sagt, dass es erzwungen war. Ende Februar wurde das Urteil für den 67-Jährigen verkündet: Todesstrafe.

"Neun Monate lang durfte mein Vater überhaupt nicht mit uns reden", sagt Tochter Gazelle Sharmard im Interview mit MDR Investigativ. Zu diesem Zeitpunkt sitzt ihr Vater seit fast 1.000 Tagen in Isolationshaft. "Wir wussten nicht mal, ob er überhaupt noch lebt. Wo er ist. Was passiert ist." Auf Bildern und in Videos wirkt er stark ausgezehrt. Die Familie hätte bei den wenigen überwachten Anrufen, die noch möglich waren, lernen müssen zwischen den Zeilen zu lesen. "Wenn er uns zum Beispiel erzählt, dass er jetzt lustig Brei essen kann. Dann, weil er keine Zähne mehr hat, weil die ihm ausgeschlagen worden sind." Andere Botschaften liefen darauf hinaus, dass er in einem Raum ohne Fenster sitze. Oder wenn Wächter, die ihn folterten, schöne Grüße an die Tochter ausrichten ließen. "Das sehe ich natürlich als Drohung, wenn so etwas gesagt wird."

Verfassungsschutz: Zwei iranische Nachrichtendienste in Deutschland aktiv

Regimekritiker wie Jamshid Sharmahd bekämpft der Iran gezielt – sogar in Deutschland. Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 werden iranischen Geheimdiensten zahlreiche Anschläge in Europa und Deutschland zugeordnet. Am bekanntesten: Die sogenannten Mykonos-Morde. Im Dezember 1992 stürmten Attentäter der Revolutionsgarden ein griechisches Restaurant in Berlin. Sie erschossen vier Oppositionelle. Die Revolutionsgarden sind die ideologische Eliteeinheit der iranischen Streitkräfte. Sie operieren auch außerhalb des Irans, um andere Staaten mit der menschenfeindlichen Weltanschauung der religiösen Führung in Teheran zu durchsetzen.

Daten der britischen "Tony Blair"-Stiftung zeigen die vier bekanntesten Fälle in Deutschland: Spionage, Anschläge und Morde. Einer der jüngsten Vorfälle: Für Angriffe auf Synagogen in Nordrhein-Westfalen im Dezember 2022 sollen die Revolutionsgarden verantwortlich sein. Wie hoch die Dunkelziffer der Taten ist, ist unklar.

Doch wie weit reicht der Arm der Mullahs? Laut dem Verfassungsschutz agieren in Deutschland zwei iranische Nachrichtendienste. Das Ministry of Intelligence (MOIS) sitzt in Teheran und operiert in Deutschland unter anderem aus der Botschaft und den drei Konsulaten. Daneben: die Quds-Force. Sie ist eine Spezialeinheit der Revolutionsgarde. Sie führt wirtschaftliche und militärische Operationen im Iran und im Ausland durch. Sie sind der ideologische Schlagarm der Mullahs. Während der MOIS vor allem Oppositionelle und Exiliraner attackiert, sind das Ziel der Revolutionsgarden jüdische und pro-israelische Organisationen.  

Expertin: Wer sich solidarisiert, wird attackiert

Aber warum hat der Iran so viele Einfluss in Deutschland? "Deutschland ist immer noch der wichtigste Handelspartner des Iran in Europa", erklärt Dr. Ulrike Becker. Die Historikerin ist Forschungsleiterin am Mid East Freedom Forum Berlin und forscht zum Einfluss des Irans. "Die Politik der Bundesregierung war es immer, möglichst enge Kontakte zum Regime zu pflegen."

Enge Kontakte zu einem brutalen Gottesstaat? Die jüngsten Ereignisse im Iran: Im September 2022 verhaftete die Sittenpolizei die Kurdin Mahsa Amini in Teheran. Sie starb unter ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam. Das löste Demonstrationen im ganzen Land aus. Es ist die Rede von einer feministischen Revolution. Das Regime reagierte mit blutiger Gewalt: Hunderte Demonstrierende werden getötet. Tausende sind bis heute inhaftiert. Auch in Deutschland solidarisieren sich Menschen mit den Protesten.

Wenn ich mich als iranisch-stämmiger Mensch mit der feministischen Revolution im Iran solidarisiere, muss ich damit rechnen, dass ich angegriffen werde, dass ich ausspioniert werde.

Ulrike Becker Forscherin

Die Folgen: "Wenn ich mich als iranisch-stämmiger Mensch mit der feministischen Revolution im Iran solidarisiere, muss ich damit rechnen, dass ich angegriffen werde, dass ich ausspioniert werde", sagt Becker.

Bedrohung von Protestierenden in Berlin

Das erlebten im vergangenen Jahr auch Maryam, Nasim und Parham. Sie hielten im Winter und mit Zelten in Berlin eine wochenlange Mahnwache vor der Parteizentrale der Grünen. Ihr Ziel: Die Partei der Außenministerin dazu bringen, die iranische Botschaft zu einem Konsulat abzustufen und so deren Einfluss zu mindern.

Wie gefährlich ihr Einsatz für einen freien Iran sein kann, erfuhren sie im November 2022. "Es war so 23 Uhr. Da hat es gekracht. Ich rannte sofort los", berichtet Parham, ein hünenhafter junger Mann. "Da waren vier Leute, zwei Männer und zwei Frauen in Niqabs. Die haben versucht unsere Schilder abzureißen. Ich wollte sie wegscheuchen, da zog der eine Mann ein Messer und hat mir gedroht." Zum Glück sei die Polizei in der Nähe gewesen. Es ist der erste von drei Angriffen auf das Camp, erzählen sie MDR Investigativ.

Annalena Baerbock reagiert auf Hilferuf

Währenddessen kämpft Gazelle Sharmahd über zwei Petitionen und Sozialen Medien für ihren Vater. Sie hat sich sogar direkt an die Bundesaußenministerin gewandt: "Frau Baerbock, wenn es ihr Vater wäre, der entführt worden ist von einem Terrorregime. Der wegen falschen Anschuldigungen getötet werden soll, ermordet werden soll. Welche Maßnahmen würden Sie für Ihren Vater treffen?"

Annalena Baerbock hat in der ARD-Sendung "Maischberger" vom 28. Februar auf das Video geantwortet: "Wenn ich nicht Außenministerin wäre, würde ich mich auch genauso an das Auswärtige Amt wenden", sagte die Grünen-Politikerin. "Und wir sind als Auswärtiges Amt deswegen auch im ständigen Kontakt mit der Familie." Es werde auf allen Ebenen deutlich gemacht, dass es Konsequenzen habe.

Für Gazelle Sharmahd ist das nicht genug. Sie kenne solche Aussagen. "Die versichern uns auch, dass sie sich hochrangig für meinen Vater einsetzen. Und er soll jetzt ermordet werden. Also das Resultat von diesem 'hochrangigen einsetzen' war doch nix!"

Nach Flucht aus Iran: Drohungen bis an die Haustür

Selbst in Deutschland fühlen sich manche Iraner nicht sicher: "Es fing mit Drohanrufen von unbekannten Nummern an", erklärt Hamid, der aus der Islamischen Republik floh, nachdem er dort Verbrechen aufdeckte. Die Anrufe seien von ehemaligen Kollegen gekommen, die ihm mit dem Tod drohten. "Für sie bin ich ein Verräter. Sie sagen, dass sie meinen Wohnort in Deutschland kennen und nennen meine Adresse. Nachts klingeln sie bei mir."

Das Urteil, das ihn als politischen Flüchtling anerkennt, bestätigt die Bedrohung aus Teheran: "Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger mit Verfolgungshandlungen des iranischen Staats zu rechnen hat (...) Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass der iranische Staat über die Fähigkeit verfügt, solchen Drohungen auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland Taten folgen zu lassen.”

Hamid hatte eine Strafanzeige gestellt. Die Ermittlungen bestätigten, dass die Drohanrufe aus dem Iran kommen. Doch weil keine Täter ermittelt werden konnten, wurde das Verfahren eingestellt. "Auch wenn sie mir mit dem Tod drohen, werde ich weiter machen mit meiner Aufklärungsarbeit", sagt Hamid. "Das Regime hat überall Einfluss. Es ist mächtig. Aber die Menschen machen ihnen Druck. Es ist eine kleine Revolution. Aber es wird Änderungen geben."

Quelle: MDR Investigativ/ mpö

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