Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Bildrechte: picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Unter der Lupe – Die politische KolumneAuf dem Weg zur künstlichen Demokratie?

02. Juni 2024, 05:00 Uhr

Wer kennt es nicht: Immer häufiger fühlen wir uns in der digitalen Welt von Informationen und Daten nahezu erschlagen. Behörden und Politikern geht es nicht anders. Wer kann und will in dieser digitalen und extrem beschleunigten Welt den Überblick behalten? Künstliche Intelligenz könnte da helfen oder aber auch zur Gefahr für die Demokratie werden.

Was wäre, wenn Ihnen Bundeskanzler Scholz in einem fotorealistischen Video erklären würde, die kommende Bundestagswahl werde ohne Ersatztermin ausfallen? Das Bild gestochen scharf, die hanseatische Stimme des Kanzlers unverkennbar. Wenn (dieser vermeintliche) Scholz erklären würde, bis auf Weiteres werde er die Regierungsgeschäfte weiterführen?

Wenn das Video sich rasend schnell verbreiten würde - über Internetseiten und soziale Medien von X über TikTok, bis Instagram: Würden Sie ihren eigenen Augen und Ohren trauen? Wahrscheinlich nicht. Aber was ist mit Menschen, die sich nicht so gut mit Medien auskennen? Die Demokratie hätte zwar nicht aufgehört zu existieren, aber manche würden es glauben. Alles durch ein künstlich erzeugtes Video.

Die Gefahren für die Demokratie durch KI sind vielfältig. Die Chancen aber auch.

Was kann KI?

Eine Technologie, die uns zum Staunen bringt oder ins Schaudern versetzt. In der aktuellen digital-politischen Debatte gibt es wohl kaum einen Begriff, der so häufig fällt wie dieser: Künstliche Intelligenz – kurz KI. Das sind doch diese selbstdenkenden Chatprogramme, die klüger und schneller arbeiten als Menschen und mittlerweile sogar fotoreale Bewegtbilder aus Textdateien erzeugen können? Ja, das können sie. Umso wichtiger ist es, dass Staat und Gesellschaft sich mit der Technik auseinandersetzen.

Torben Lehning arbeitet für MDR AKTUELL als Hauptstadtkorrespondent in Berlin. Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

KIs können Korrelationen berechnen, keine Kausalitäten. Sie können aufgrund eines großen Datensatzes Wahrscheinlichkeiten berechnen, Informationen filtern, sich selbstständig weitere Informationen suchen, Zusammenhänge erzeugen und diese auch in gewünschter Form darstellen. Selbstständig denken können sie nicht. Wenn KIs also manches sehr viel schneller erledigen können als wir, warum sollten wir das dann nicht zu unserem Vorteil nutzen? 

Digitale Informationen: Überforderte Bürger und Behörden

Gerade in Zeiten, in denen es schon Berufspolitiker und Wissenschaftler kaum schaffen, auf der Höhe der Nachrichten- und Informationslage zu bleiben, könnte sich der Einsatz von KI doch lohnen. Das denken nicht nur absatzorientierte Softwareentwickler, sondern auch Bundesbehörden und die Bundesregierung. Egal, ob Richter oder Zollbeamte, Polizisten oder Erzieher, Deutschland leidet unter Fachkräftemangel und demografischem Wandel. Da könnte man sich von KI doch unter die Arme greifen lassen.

Der Markt der Möglichkeiten

Schon heute gibt es viele Pilotprojekte, die teilweise vom Bund gefördert werden und KI-unterstützte Lösungen ausloten. Experten gehen davon aus, dass Künstliche Intelligenzen bald soweit sein werden, dass sie Sprache in Echtzeit übersetzen können. Der Einsatz solcher Software könnte nicht nur für Behörden und die Justiz, sondern auch für Fachkräfte aus dem Ausland, Flüchtlinge oder Menschen mit Behinderung eine große Hilfe sein.

Weiter könnte auch die Beteiligung von Bürgern bei der Planung von Bauprojekten oder die Annahme von Bürgerbeschwerden bei Behörden durch KI vorsortiert und moderiert werden. Klingt schräg, ist aber längst keine Utopie mehr. Die heutige Rücklaufzeit von Bürgeranfragen liegt häufig bei neun bis zwölf Monaten, weil Überprüfung und Zusendung manuell erfolgen und zu wenig Fachkräfte in den Behörden sitzen, um Anfragen zu beantworten. Mit einer KI-Schnittstelle, so Softwareentwickler, könnten derlei Anfragen noch am selben Tag auf den Tischen der zu adressierenden Beamten landen.

All das wären keine Kennzeichen einer wie auch immer gearteten künstlichen Demokratie. Eine Welt  in der Maschinen diktieren, wie wir zu leben haben und die staatlichen Geschicke lenken, klingt erstmal bedrohlich, doch KI wäre hier lediglich Werkzeug, das demokratische Prozesse unterstützen kann. Eine Unterstützung für Entscheidungen, die wir selbst treffen.

Nicht nur Fakes auch Fakten

Bislang ist KI unter anderem als williges Werkzeug von autokratischen Regimen bekannt, die versuchen mit Falschnachrichten die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Wahlen zu manipulieren. Um diese manipulierten Videobotschaften und Texte zu erkennen, braucht es aber vor allem eines: Künstliche Intelligenz, die darauf trainiert ist, fiktive Videos und Artikel zu finden und ggf. zu löschen.

KI könnte uns dabei helfen, Steuerbetrüger ausfindig zu machen. Schätzungen zufolge gehen dem Fiskus jährlich 50 Milliarden Euro Steuergelder durch die Lappen. Unsere marode Infrastruktur oder das defizitäre Bildungssystem würden es der KI sicherlich danken, wenn sie die Steuerhinterzieher ausfindig macht.

Weiter könnte KI Politiker dabei unterstützen, große Datenmengen zu analysieren, um sozialverträgliche Lösungen in der Klimapolitik oder bei einer Rentenreform zu finden. Die KI liefert Analysen und Lösungsansätze, die Politiker entscheiden. Klingt nach einer kunterbunten Welt mit wenig Stress und viel Freizeit.

Die Haken der künstlichen Intelligenz

So einfach ist es aber natürlich nicht. Jede technologische Revolution stellt uns vor die immer gleichen Probleme. Keine Technologie ist per se gut oder böse, gefährlich oder harmlos. Es kommt darauf an, wer sie nutzt und wer sie lenkt. Wir können uns darauf einstellen: Gerade die KI-Entwicklung wird ein immer fortwährendes Katz-und-Maus-Spiel bleiben.

Die eine KI erzeugt Falschnachrichten, die andere findet und zerstört sie. Jeder KI-Service kann dafür genutzt werden, eine Software zu schreiben, die alle hergebrachten guten Intentionen ins Negative verkehrt. So kann aus einer gewinnbringenden Moderation zwischen Behörde und Bürger ein staatszersetzender Virus hervorgehen. Die Steuerbetrüger-Aufspür-Software kann zur Fiskus-Falle mutieren. Es kommt also immer darauf an, wer der KI sagt, was sie tun soll.

KI regulieren statt blockieren

Dass Künstliche Intelligenz eine immer größere Bedeutung in unserem Alltag einnehmen wird, ist keine gewagte These. Es wird passieren. Die Frage wird sein, ob Deutschland zu den Profiteuren gehört - KI also eigenständig entwickelt - oder den technischen Entwicklungen hinterherläuft.

Deutschland und die Europäische Union wissen das und versuchen, sich darauf einzustellen. Mit einem kürzlich beschlossenen EU-Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz soll etwa verhindert werden, dass KI eingesetzt wird, um Sozialkreditsysteme im Stile Chinas zu etablieren. Dort setzt der Staat KI ein, um beispielsweise Menschen, die ihre Angehörigen nicht systemgetreu pflegen, per Algorithmus das Reisen zu untersagen.

Wenn wir verhindern wollen, dass KI aus China und den USA unseren Alltag bestimmen, müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass KI in Deutschland entwickelt werden kann, z.B. durch eine startup- und entwicklerfreundliche Wirtschaftspolitik. Außerdem müssen wir fortwährend an Gesetzen arbeiten, die KI regulieren.  

Künstliche Demokratie?

Noch wählen sie nicht für uns. Sie schreiben auch keine Gesetze oder übernehmen Behördenaufgaben. Sie können jedoch Wahlen, Gesetze und Behörden beeinflussen.

Eine künstliche Demokratie ist weder erstrebenswert noch steht sie uns bevor. Reguliert kann KI zu nützlichen Werkzeugen für Bürger und Behörden werden. Die Regulierung muss dabei jedoch stets demokratisch legitimiert sein.

Künstliche Intelligenz in verschiedenen Lebensbereichen

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 31. Mai 2024 | 07:30 Uhr