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IntegrationArbeit: Haben es Menschen aus Syrien in Deutschland schwerer?

11. Juni 2022, 05:00 Uhr

Schwierige Integration: Syrischen Migranten fällt es in Deutschland oft schwer, eine Arbeit zu finden. Die größte Barriere ist nach wie vor die Sprache. Hier fehlt es an berufsbegleitenden Angeboten, die nicht nur Deutsch für den Alltag vermitteln, sondern auch Fachsprache – wie drei Schicksale zeigen.

In ganz Deutschland hat Rami Alhamei nach einer Arbeit gesucht. Der Syrer arbeitete in Damaskus als Rechtsanwalt. Nach seiner Flucht 2015 absolvierte er Integrations- und Sprachkurse, belegte Computer- und Softwareschulungen. Er qualifizierte sich als Migrations- und Integrationsberater. "Ich habe ungefähr 400 Bewerbungen geschrieben und verschickt", sagt der 36-Jährige, der in Halle in Sachsen-Anhalt lebt.

Rami Alhamei erzählt, dass er bei 50 Vorstellungsgesprächen gewesen sei – doch auch danach gab es jedes Mal eine Absage auf seine Bewerbungen als Einzelhandelskaufmann, Sachbearbeiter oder Integrationsberater. Begründungen habe er nie bekommen, auch nicht auf Nachfrage. Er will unbedingt arbeiten und selbst Geld verdienen, sagt er. Rami Alhamei kann nicht verstehen, warum ihm niemand eine Chance gibt, sich zu beweisen.

Schwierigkeit: Jobsuche mit drei Kindern

Auch die Syrerin Eman Al Rouz ist auf der Suche nach einem Job. Sie hat sich in Pirna in Sachsen Hilfe bei der Arbeitsmarktmentorin Sandra Lohr gesucht. Die wird vom Wirtschaftsministerium finanziert und hilft unter anderem dabei Bewerbungsunterlagen zu erstellen, sich auf Vorstellungsgespräche vorzubereiten oder bei bürokratischen Fragen. "Was muss man mit der Ausländerbehörde absprechen, was ist beim Jobcenter wichtig, was muss man melden, was muss man nicht melden", erklärt Sandra Lohr. "Wir sind da so ein so ein Knotenpunkt sozusagen, wir koordinieren."

Eman Al Rouz ist gelernte Schneiderin und sucht händeringend nach Arbeit. Doch sie hat ein Problem mit der Kinderbetreuung: "Ich habe schon drei Kinder", sagt sie. Vor allem mit der jüngsten, fünfjährigen Tochter sei es schwierig. Ihr Mann ist Koch und seine Arbeit beginnt meist nachmittags. "Ich habe niemand, der sich um meine Kinder kümmert. Wenn ich sage, ich kann von sieben bis 14 Uhr arbeiten, sagen alle: Nein."

Migranten aus Syrien seltener in Arbeit als andere?

Das Problem bestehe für alle Ungelernten, sagt Sandra Lohr. Doch Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, hätten es etwas leichter, weil diese die Möglichkeiten hätten, die Kinder zu den Eltern oder Großeltern zu geben, wenn etwa eine Spätschicht anstünde. "Das ist bei den meisten Geflüchteten oder Migranten nicht der Fall, dass die Eltern hier sind und mal die Enkel beaufsichtigen können."

Laut Bundesagentur für Arbeit hatten syrische Migranten im Februar 2022 eine Beschäftigungsquote von 37 Prozent. Zum Vergleich: die Quote von Menschen aus anderen Asylherkunftsländern liegt bei 40 Prozent und bei Bürgern aus EU Staaten bei 61 Prozent. Doch woran liegt das?

"Das hängt damit zusammen, dass bei den Syrern wir sehr viel mehr Frauen haben, die über den Familiennachzug kommen konnten, als bei den anderen Gruppen", sagt Professor Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er ist einer der führenden Arbeitsmarktexperten in Deutschland und sagt weiter, dass diese Frauen in der Regel Kinder hätten, oft auch drei. "Und das senkt natürlich vor allen Dingen die Erwerbstätigenquote der Frauen, weil wir diese Betreuungsverpflichtungen haben.

Das ist ganz nebenbei gesagt hat auch der Bereich, wo die Erwerbstätigenquote auch von deutschen Frauen runtergehen.

Herbert Brücker | Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Hochqualifiziert: Manche Ausbildungen haben in Deutschland keinen Wert

Doch warum findet jemand wie Rami Alhamei keinen Job – hochqualifiziert und hochmotiviert? "Das Problem ist, dass es Berufe und Ausbildungen gibt, die man sehr schwer in den deutschen Arbeitsmarkt transferieren kann", sagt Professor Herbert Brücker. Die Juristenausbildung in Deutschland sei eine völlig andere als in Syrien. "Das gilt jetzt nicht nur für Syrer. Das gilt auch für Menschen aus vielen anderen Ländern, weil die Rechtssysteme unterschiedlich sind." Doch für die Menschen sei das natürlich frustrierend, denn es entwerte ihre Bildung. Das mache es manchmal auch leichter, weniger qualifizierte Menschen in einfachere Tätigkeiten zu vermitteln.

Professor Herbert Brückner hat sich die Beschäftigungsquote syrischer Migranten genauer angeschaut: Bei den Syrern, die bereits sechs Jahre und länger hier leben, liegt die Erwerbsquote bei fast 50 Prozent. Bei allen anderen Geflüchteten nach sechs Jahren bei 51 Prozent. Die Werte gleichen sich mit der Zeit also an.

Rechtsanwalt: Man schafft das schon

Ein anderes Schicksal: Asmaa Alhaj Abdullah studierte in Syrien Jura und wollte Richterin oder Rechtsanwältin werden. Doch dann kam der Krieg und sie floh mit ihren beiden kleinen Kindern übers Mittelmeer und kam ohne Abschluss hier an. In Halle musste die alleinerziehende Mutter ein komplett neues Leben beginnen.

"Ich konnte kein Englisch und nur ein Wort auf Deutsch: Hallo", sagt Asmaa Alhaj Abdullah. Also war das erste, was sie habe tun müssen: Deutsch lernen. Zwei Wochen nach der Aufnahme habe sie mit einem Kurs angefangen – mit zwei kleinen Kindern. "Ich musste die Kinder immer mitnehmen." Es gab noch keinen Platz im Kindergarten oder der Schule.

2018 suchte sich Asmaa Alhaj Abdullah selbst eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin, die sie 2021 erfolgreich abschloss. Jetzt arbeitet sie in der Rechtsanwaltskanzlei von Daniel Schulz in Halle. "Vor Jahren gab es diese heiß geführte Diskussion schaffen wir das, oder schaffen wir das nicht?", so Daniel Schulz. Er sei jemand, der die Zeit nicht mit diskutieren verplempern wolle, sondern lieber loslege. "Und dann schafft man das schon."

Fachberufe: Deutsche Sprache, schwere Sprache

In einer Anwaltskanzlei zu arbeiten bedeutet Büroarbeit erledigen, Termine vereinbaren, mit Klienten telefonieren. All das setzt gute Deutschkenntnisse voraus. "Mündliche Verständigung klappt wunderbar", sagt Daniel Schulz über die Arbeit von Asmaa Alhaj Abdullah. Schwierigkeiten gebe es bei der deutschen Schriftsprache. "Das denke ich, ist aber nicht verwunderlich, es ist eben nun mal nicht ihre Muttersprache. Aber da merkt man eben auch Übung macht den Meister." Auch in diesem Bereich werde sie jeden Tag besser.

Dennoch sagt Asmaa Alhaj Abdullah: Bis heute fehle ihr ein Fachsprachkurs für Juristendeutsch. Die normalen Sprachkurse reichten lediglich für den Alltag. "Allgemein hilft den Leuten nur im normalen Leben, sonst nicht." Sie benötige einen Kurs mit den Fachbegriffen für Recht, Gesetz oder Paragrafen. Ebenso wie Menschen, die im medizinischen Bereich tätig seien, einen Kurs mit den medizinischen Fachbegriffen benötigten.

"Wir bräuchten eine permanente Fortsetzung dieser Sprachangebote, die man auch berufsbegleitend machen kann", sagt auch Professor Herbert Brücker. Das Vokabular sei in verschiedenen Berufen nun mal unterschiedlich. Das müsse auch entsprechend vermittelt werden. "Dafür braucht es hochdifferenzierte Programme."

Asmaa Alhaj Abdullah fängt nun eine Weiterbildung zur Rechtsfachwirtin an und Eman Al Rouz hat in Pirna einen Job als Küchenhilfe gefunden. Doch Rami Alhamei in Halle muss weitere Bewerbungen schreiben und sucht noch immer nach einer Arbeit.

Quelle: MDR exakt/ mpö

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