Ukraine KriegKrieg: Wie russische Propaganda nach Deutschland kommt
Neuer Vorspann: Putins Propaganda gelangt vor allem über soziale Netzwerke nach Deutschland und bei der Verbreitung helfen AfD-Politiker, Journalisten und Influencer – gegen eine von ihnen sind nun Ermittlungen eingeleitet worden.
Fahnen in weiß-blau-rot-gelb-schwarz wehen in der Altstadt von Dresden. Es soll die verbundenen Flaggen von Deutschland und Russland darstellen. Auf dem Theaterplatz haben vor kurzem Menschen gegen die "Diskriminierung russischer Mitbürger" und für "Völkerverständigung demonstriert. Es wurde nebenbei auch fröhlich getanzt – eine Art Chorowod. Außerdem auf der Demo vertreten: Russen, Querdenker und Pegida-Anhänger. Beispiele für einige dort vertretene Ansichten: Das was in der Ukraine geschehe, sei kein richtiger Krieg. Alle Beteiligten entsorgten nur ihren Militärschrott. Oder: Nur die Amerikaner wollen diesen Krieg haben.
Obwohl die Demonstration in der Landeshauptstadt von Sachsen recht übersichtlich war, dafür wurde sogar in der Ukraine geworben – aus dem rund 2.000 Kilometer entfernten Donezk: Auf dem Telegram-Kanal von Alina Lipp. Die deutsche Influencerin berichtet seit 2019 von der Krim, wo ihr russischer Vater lebt. In Deutschland hat sie auf dem Kanal "Druschba FM" pro-russische Verschwörungstheoretiker interviewt. Inzwischen verbreitet sie selbst pro-russische Propaganda aus dem umkämpften Donbass.
Ihre Berichterstattung führte Mitte Juni dazu, dass die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet hat. Ihr wird vorgeworfen, sich mit dem verbotenen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine zu solidarisieren. Strafbar mache sie sich, weil sie Straftaten durch ihre Berichterstattung belohne oder billige, so heißt es im Beschluss zum Ermittlungsverfahren. Lipp kann dafür mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden. Die Ermittlungen hat die Zentralstelle für Hasskriminalität im Internet bei der Staatsanwaltschaft Göttingen übernommen.
Auf Telegram: Deutsche Influencerin in der Ukraine
Alina Lipp bezeichnet sich selbst als unabhängige Journalistin. Doch tatsächlich teilt sie auf ihrem Telegram-Kanal vor allem Inhalte anderer – wie etwa im Fall der Dresdner Demonstration – von der Kleinstpartei "Freie Sachsen", die der Verfassungsschutz im Freistaat als rechtsextremistisch einschätzt.
Am Tag als Russland die Ukraine überfallen hatte, lief Alina Lipp durch Donezk, wie eines ihrer Videos zeigt. Ihre Erklärung für den Ausbruch des Krieges: In Kiew herrsche seit 2014 eine Naziregierung, die die Bevölkerung terrorisiere. Ihre Überzeugung: Die deutschen Medien verbreiten ein komplett falsches Bild über den Krieg und seine Hintergründe. Sie glaubt: "In Russland gibt es tatsächlich eine Meinungsfreiheit, eine stärkere als mittlerweile in Deutschland. Das sehe ich so, das ist meine persönliche Meinung."
Seit dem Ausbruch des Krieges hat sich die Zahl ihrer Abonnenten vervielfacht. Über 140.000 verfolgen ihre fragwürdigen Thesen. Im Interview mit MDR exakt erklärt die 28-Jährige: "Ich glaube Russland hat zum Ziel, die Ukraine zu demilitarisieren und zu entnazifizieren und diese llegale nationalsozialistische Regierung aus Kiew abzusetzen." Danach würden legitime Wahlen durchgeführt. "Ich glaube nicht, dass Russland vorhat, die Ukraine zu schlucken."
Mit sehr ähnlichen Worten hatte Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine begründet. Alina Lipp übernimmt diese Staats-Propaganda eins zu eins. Was ist dran an diesem inzwischen vielfach wiederholten Narrativ von den Nazis in der Ukraine?
AfD-Politiker aus Sachsen verbreitet Video von Alina Lipp
"Das ist ja einfach eine Lüge. Das ist eine freche Lüge", sagt Osteuropa-Experte Doktor Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Es gibt diese neofaschistischen oder faschistischen Bataillone wie Asow, die zumindest in Teilen Naziideologie verfolgen." Doch das sei eine Minderheit, die mit dem ukrainischen Staat nichts zu tun habe. "Auch Selenskyj dergleichen vorzuwerfen oder der ukrainischen Gesellschaft, dass sie vor allem Nazis wären, ist hochproblematisch."
Dennoch finden solche Geschichten und Mythen ihren Weg nach Deutschland – auch verbreitet durch Politiker. Ein Beispiel: der AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau aus Sachsen, der im Landkreis Leipzig als Landrat kandidierte. Auf seinem Facebook-Account empfiehlt er auch ein Video von Alina Lipp, das sie zu Beginn des Krieges veröffentlicht hat. Er schreibt: "Eine Darstellung über die wahren Zustände in der Ukraine." Auf Telegram untermauert er nochmals seine Meinung mit den Worten: "Die Ukraine wird entnazifiziert!"
MDR exakt hat Jörg Dornau angerufen, später angeschrieben und um ein Interview gebeten. Keine Reaktion. Auch als der Reporter ihn in Wurzen ansprach, war er nicht bereit mit uns zu reden. Für die Politologin Doktor Susanne Spahn spielt die AfD bei der Verbreitung von russischer Propaganda eine erhebliche Rolle. Sie analysiert seit acht Jahren Desinformationspolitik aus Russland.
Expertin: AfD-Abgeordnete machen sich zu nützlichen Idioten
"Ich beobachte das seit Jahren, das die AfD die aggressive russische Außenpolitik rechtfertigt", sagt Doktor Susanne Spahn. Das habe man bereits bei der Annexion der Krim sehen können. "Da sprach Gauland davon, dass Putin doch nur wie Katharina die Große die russischen Länder einsammeln würde – also Verständnis zeigte für die Annexion."
AfD-Politiker fahren auch immer wieder in den Donbass, auf die Krim oder nach Russland, um Wahlen zu beobachten: 2018 Ulrich Oehme, damals Bundestagsabgeordneter, und Stefan Keuter, immer noch Bundestagsabgeordneter. Sie erklären, dass die Wahlen korrekt verlaufen wären, obwohl internationale Wahlbeobachter das Gegenteil festgestellt haben.
"Und das wird dann von russischer Seite dann ausgenutzt", erklärt die Expertin für russische Propaganda, Doktor Susanne Spahn. In russischen Berichten würde es dann heißen: Schaut her, Abgeordnete aus Deutschland und der EU bescheinigen uns, dass unsere Wahlen frei und fair sind. "Hier machen sich die Abgeordneten zu nützlichen Idioten, weil sie sich diesem Regime andienen und für diese Agenda aktiv sind."
Influencerin stellt Gräueltaten von Butscha in Frage
Alina Lipp ist Teil dieser Desinformationspolitik. Immer wieder nimmt sie an organisierten Fahrten des Moskauer Verteidigungsministeriums teil. Sie glaubt, so an objektive Informationen vor Ort zu kommen. Die Influencerin stellt auch die Gräueltaten von russischer Seite in Frage: Beispiel Butscha. Ihrer Ansicht nach, hätten nicht Russen die Bewohner ermordet, sondern es sei eine Inszenierung der Ukraine gewesen.
Grundsätzlich versuche die russische Armee zivile Ziele zu schonen, ist Alina Lipp überzeugt: "Das ist so eine Taktik, die die Ukrainer verfolgen, sie gehen in die Wohnhäuser und schießen von dort aus, weil die Russen den Auftrag haben, keine Zivilisten umzubringen. Wenn Russland eben sicher ist, dass alle Menschen im Keller sind oder evakuiert wurden, dann schießen sie eben zurück."
Die Bilder – etwa aus Mariupol – sprechen eine andere Sprache. "Wir sehen, dass ganz systematisch Wohnhäuser bombardiert werden, zum Teil auch wahllos", sagt Osteuropa-Experte Doktor Stefan Meister. Es gehe den Russen darum, Angst zu verbreiten, Leute zu vertreiben und es würden zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf genommen. Menschen würden einfach getötet. "Es werden in großen Städten Viertel beschossen, in denen es keinerlei Infrastruktur gibt. Also letztlich ist auch das eine Lüge." Dasselbe sei auch in Syrien und im zweiten Tschetschenienkrieg geschehen. "Es ist auch eine systematische Politik der russischen Armee", so Meister.
Die Rolle von RT DE in Deutschland
Alina Lipp teilt auch regelmäßig Veröffentlichungen des russischen Auslandsprogramms RT DE (ehemals "Russia Today"). Dieser spielt seit Jahren eine herausragende Rolle bei der Verbreitung von Propaganda in Deutschland. Eigentlich wurde der Sendebetrieb im Februar verboten. Doch RT DE macht online mit wechselnden Web-Adressen einfach weiter.
So schreibt auch Susan Bonath als freie Journalistin für RT DE, aber auch für andere alternative Medien. "Ich arbeite beim Feindsender", überschrieb die überzeugte Marxistin aus Haldensleben in Sachsen-Anhalt vor kurzem einen Artikel über ihre Arbeit. Die Kritik, dass RT DE die deutsche Gesellschaft spalten wolle, weist sie zurück: "Worauf beruht denn die Gewissheit, dass das russische Staatsfernsehen eine ganz andere Gesellschaft aus uns machen will", fragt sie im Interview mit MDR exakt. Sie gehe davon aus, dass der Kreml Handel mit Europa treiben und in Frieden gelassen werden wolle. Das sieht Doktor Susanne Spahn, völlig anders. RT betreibe die Destabilisierung der deutschen Demokratie:
Es gibt Zitate der RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan in Moskau und auch die Chefin hier in Berlin hat davon gesprochen, dass RT eine Waffe im Informationskrieg ist.
Susanne Spahn | Expertin für russische Propaganda
Dabei habe Simonjan auch ihre Strategie erklärt und gesagt, dass es darauf ankomme eine Gegenöffentlichkeit zum Mainstream zu schaffen. Es sollen die Unzufriedenen angesprochen werden. "Die Linken, die Rechten und andere Kämpfer gegen das System, wie sie sich auch ausgedrückt hat. Sie sollen als Ressource im Informationskrieg genutzt werden", so Spahn.
Die Strategie scheint in Teilen aufzugehen. Vor allem bei sogenannten Querdenker- und rechtsextremen Gruppen hat sich RT DE vor allem auch während der Corona-Krise als glaubwürdiges Medium etabliert. Laut einer Studie des "Institute for Strategic Dialogue" in London ist RT in Deutschland die zweithäufigste Nachrichten-Quelle, die in Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten auf Telegram und Facebook geteilt wird. Die Forscher untersuchten dafür mehrere Hundert Telegram- und Facebook-Gruppen zwischen dem 7. Februar und dem 23. März 2022.
Quelle: MDR exakt/ mpö
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 11. Mai 2022 | 20:15 Uhr