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Erst bauen die Kriminellen Vertrauen auf und animieren dann zu sexuellen Handlungen vor einer Webcam, um mit heimlichen Mitschnitten ihre Opfer später zu erpressen. Das ist die Masche Sextortion. Bildrechte: imago images/Panthermedia

SextortionErpresser locken 21-Jährigen in Videochat-Falle

21. November 2022, 10:00 Uhr

Es ist eine perfide Masche, auf die vor allem junge Männer reinfallen: Unbekannte geben sich in sozialen Netzwerken als junge, gutaussehende Frauen aus und überreden ihre Opfer zu sexuellen Handlungen vor der Kamera. Die werden dann heimlich aufgenommen, die Betroffenen damit erpresst. Nur wenige wollen darüber sprechen. Ein 21-Jähriger aus Sachsen-Anhalt hat seinen Fall gegenüber MDR Kripo live geschildert.

von Yannick Jürgens, MDR Kripo live

"Eine Sex-Cam und es bleibt unter uns?"

An einem Oktoberabend sitzt Felix Bauer (Name geändert) irgendwo in der Nähe von Wittenberg in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa und chattet via Smartphone im sozialen Netzwerk Instagram mit einer Frau namens Loula. Diese hatte den 21-Jährigen zuvor angeschrieben, ohne, dass er sie kannte. "Ich war anfangs skeptisch, dass ich aus dem Nichts angeschrieben werde", erzählt er, "nach einem gewissen Hin- und Herschreiben war es für mich, wie als wenn es eine normale Person ist."

Die Frau fragt zunächst, wie es ihm geht, sie will Bauer kennenlernen. Doch nach kurzer Zeit lenkt sie das Gespräch in Richtung Sex. "Das wurde langsam immer erotischer, sodass man auch selber irgendwann Lust bekommen hat. Und dann gings auch gleich los mit 'Wollen wir nicht mal einen Videocall machen?'"

Die nach eigener Aussage 19-Jährige will mit ihm ein "Spiel" spielen, schreibt sie: "Eine Sex-Cam und es bleibt unter uns?" Dazu müsse Bauer aber "Google Meet" installieren, ein Dienst, der unter anderem für Videokonferenzen genutzt werden kann. Dies sei sicherer als bei Instagram, so die Frau. Felix Bauer ist zunächt skeptisch, lässt sich dann jedoch überreden. Er installiert sich die App auf seinem Smartphone. Bevor er aber den Video-Call startet, maskiert er sich provisorisch mit einer Kapuze und einer FFP2-Maske, um im Live-Video unerkannt zu bleiben. Dann starten die beiden den Anruf.

"In dem Video war zu sehen, wie ein Mädchen erst freundlich gegrüßt hat und sich dann langsam auszog. Mit der Intention, dass ich im selben Takt mitmache", erzählt Bauer – und so geschieht es dann auch. Hören kann Bauer die Frau nicht, weil angeblich das Mikrofon ihres Laptops kaputt sei. Deshalb schreibt der 21-Jährige weiter mit ihr über die Chatfunktion. Zumindest glaubt er das.

Denn plötzlich fällt ihm etwas auf: Das vermeintliche Live-Video der Frau scheint nur eine Wiedergabe zu sein. "Mir kam es verdächtig vor, als sie dasaß und auf ihrer Tastatur rumtippte. Sie tippte vielleicht zehn Sekunden darauf rum und der Text war aber viel zu lang. Woraufhin ich die Kamera auch ausgeschaltet habe." Doch dann ist es schon zu spät.

Täter machen heimlich Aufnahmen

Im Chat taucht plötzlich ein Text auf, in dem die vermeintliche Frau behauptet, Aufnahmen von Felix Bauer gemacht zu haben. Als Beweis schickt sie entsprechende Bilder und fordert für deren Löschung 7.200 Euro. Sonst, so droht sie, werde sie diese an Bauers Social-Media-Kontakte bei Facebook und Instagram schicken.

"Im ersten Moment dachte ich: Jetzt hast du einen Fehler gemacht. Jetzt bist du auf diesen Dreck reingefallen", schildert Bauer den Schrecken angesichts der Erpressung. Aber dann fängt er sich schnell: Er geht nicht auf die Lösegeldforderung ein und erstattet Anzeige bei der Polizei.

Währenddessen macht die Frau – beziehungsweise die Person, die sich als sie ausgibt – Ernst. Sie schickt die Aufnahmen an mehrere Kontakte Bauers. Doch durch seine Maskierung ist er darauf nicht erkennbar. Außerdem wurden einige Nachrichten des Erpressers von Spam-Filtern abgefangen, erzählt Bauer. Offenbar hatte er großes Glück.

Bundeskriminalamt warnt vor "Sextortion"

Die Bezeichnung "Sextortion" setzt sich aus "Sex" und dem englischen Wort für Erpressung – "Extortion" – zusammen. Bei dieser sexuellen Erpressung wird durch die Täter Kontakt zu möglichen Opfer aufgenommen und durch virtuelle Gespräche ein Vertrauensverhältnis gebildet. Im weiteren Verlauf wird das Opfer aufgefordert, Nacktbilder zu erstellen und zu versenden, oder im gemeinsamen Videochat sexuelle Handlungen vor laufender Kamera durchzuführen. Anschließend folgt die Drohung, die Aufnahmen dieser Handlungen an Bekannte, Freunde und Verwandte zu versenden, wenn nicht zum Beispiel Lösegeld gezahlt wird.

Erst im Oktober warnte das Bundeskriminalamt vor der Erpressungs-Masche. Demnach sind allem junge Männer davon betroffen. Daneben können auch Kinder und Jugendliche sowie junge Frauen Ziel der Täter sein. Angaben zur Anzahl solcher Fälle in Deutschland gibt es nicht – allerdings könnte die Dunkelziffer relativ hoch sein, denn viele der Betroffenen schämen sich für das Vorgefallene.

Finanzielle aber auch pädokriminelle Motivation

Laut Hans-Joachim Leon, Leiter der Gruppe Sexual- und Gewaltdelikte im Bundeskriminalamt, gibt es das Phänomen der "Sextortion" schon seit sechs bis sieben Jahren. Zwei Tätergruppen seien dabei zu erkennen: "Es gibt zum einen die finanziell motivierte Sextortion. Da geht es den Tätern einfach darum, anhand kompromittierender Bilder jemanden dazu zu erpressen, dass er einen bestimmten Geldbetrag zahlt." Aber es gäbe auch pädokriminelle Täter, die mit einer anderen Motivation agieren. "Die wollen die Kinder, die Jugendlichen dazu bringen, noch mehr Material zu erstellen und ihnen zur Verfügung zu stellen."

Nach Angaben des BKA sind die Erpresser oft als Bande organisiert und agieren aus dem Ausland. Derzeit gibt es laut Hans-Joachim Leon eine Welle von Sextortion-Fällen, bei denen die Täter im Bereich von Westafrika vermutet werden. Hier sei auffällig, dass "im gebrochenen Deutsch bei Google-Translator Chats produziert werden." Dementsprechend wirr erscheinen dann auch die Nachrichten der Erpresser bei den Betroffenen. Die Täter aus dem westafrikanischen Raum seien vorwiegend finanziell motiviert, "aber es gibt auch die pädokriminellen Täter, die hier in Deutschland unterwegs sind oder im europäischen Ausland“, so Leon.

Beim ersten Verdacht: Kontakt abbrechen

Um nicht zum Betroffenen einer solchen sexuellen Erpressung zu werden, rät Hans-Joachim Leon vom Bundeskiminalamt, in Social-Media-Netzwerken nicht auf Nachrichten oder Freundschaftseinladungen von Unbekannten einzugehen. "Wenn man es doch tut: Beim ersten Anzeichen, dass hier irgendetwas nicht ganz koscher sein sollte, die Kontakte sofort abbrechen."

Auch sollten im Umgang mit Social Media die Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen in den genutzten Plattformen überprüft werden: "Es ist was ganz tolles, sein Profil öffentlich zu machen oder anderen zu zeigen, wie viele Freunde man hat – aber dadurch bietet man den Tätern natürlich auch Angriffsmöglichkeiten, die Freundeslisten zu kopieren, die Kontaktlisten. Und damit wird man dann ja auch erpresst." Eltern sollten zudem die Sicherheitseinstellungen der Social-Media-Auftritte ihrer Kindern überprüfen und diese auf die Gefahren aufmerksam machen.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Kripo live | 20. November 2022 | 19:50 Uhr