Eine goldfarbene Justitia-Figur vor Aktenbergen
Stimmt das Gefühl, dass vor Gericht "schwere Jungs" eher mit Bewährung davonkommen als Steuerhinterzieher? Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Der Redakteur | 02.11.2022 Strafrecht: Wird Steuerhinterziehung härter bestraft als Raub oder Einbruch?

02. November 2022, 19:51 Uhr

Stimmt das Gefühl, dass vor Gericht "schwere Jungs", die wiederholt Raubüberfälle und Einbrüche begehen, eher mit Bewährung davonkommen als Steuerhinterzieher wie Alfons Schuhbeck und Uli Hoeneß?

Es ist ein bisschen wie die Geschichte mit den Äpfeln und den Birnen. Da vor Gericht in der Regel jeder Fall ein Einzelfall ist, sind schon Vergleiche zwischen eigentlich ähnlichen Straftaten schwierig.

Quer durch das Strafgesetzbuch hinkt da wirklich beinahe alles. Vergleichbar ist bestenfalls der Strafrahmen und da liegt die Steuerhinterziehung zum Beispiel mit bis zu zehn Jahren schon mal deutlich unter den 15 Jahren, was die Maximalstrafe für den Handel mit Betäubungsmitteln ist.

Bei sexuellem Übergriff, sexueller Nötigung und Vergewaltigung gibt es diverse Abstufungen, die ebenfalls bei 10 Jahren enden. Ausnahme: Die sehr eng gefasste Sicherungsverwahrung, die letztlich dafür sorgt, dass auch nach Absitzen der eigentlichen Strafe ein wirklich gefährlicher Straftäter nicht mehr auf die Allgemeinheit losgelassen wird.

Wie maßvoll ist das Strafmaß?

Welche Strafe am Ende eines Prozesses tatsächlich herauskommt, hängt sehr vom "objektiv verwirklichten Unrecht" ab und auch der "persönlichen Vorwerfbarkeit", wie der Strafrechtler Stefan Conen erläutert. Da spielen dann also Schwere, Vorsatz und Reue eine Rolle, ein mögliches Geständnis natürlich, und letztlich bestimmt dann das Strafmaß, ob überhaupt noch eine Bewährung möglich ist. Die ist nämlich an die Höhe der Freiheitsstrafe gebunden. Strafen über zwei Jahre Freiheitsentzug können laut § 56 Strafgesetzbuch nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.

Das Gericht kann (…) auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

§ 56 Strafgesetzbuch

Zellentrakt hinter dem Landgericht Leipzig, 2017
Strafen über zwei Jahren dürfen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Bildrechte: picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa | Jan Woitas

Was hat es mit der einen Million auf sich?

Das prominenteste Opfer der Millionenfrage war bisher Uli Hoeneß. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofes 2012 gegen einen Augsburger Geschäftsmann, der 1,1 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte. Der BGH stellte fest, dass eine Bewährungsstrafe nicht mehr möglich ist, wenn Summen in Millionenhöhe hinterzogen wurden. Ausgenommen: besonders gewichtige Milderungsgründe.

An diese Regelung haben sich die Richter auch im Fall Schuhbeck gehalten, obwohl sie eigentlich so explizit gar nicht im Gesetz steht. Und Gesetze machen in einem Rechtsstaat eigentlich die Parlamente und nicht ein Gericht. Deshalb ist das Verfahren auch umstritten.

Uli Hoeneß
Auch Uli Hoeneß musste ins Gefängnis. Er hatte Steuern in Höhe von 1,1 Millionen Euro hinterzogen. Bildrechte: imago images / Lackovic

Ich finde das bedenklich, wenn der BGH eine solche Linie einzieht, weil das eigentlich eine Sache des Gesetzgebers ist.

Stefan Conen, Rechtsanwalt, Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins

Sollten wir nicht lieber die wirklich schlimmen Jungs wegsperren?

Das Bild des gebrechlichen Alfons Schuhbeck vor Gericht hat bei vielen Menschen Mitleid ausgelöst. Die daraus folgende Logik: Der wird doch niemandem schaden, wenn der auf freiem Fuß bleibt. Man solle doch bitte lieber die Schläger und Vergewaltiger in den Knast stecken, dann ist die Welt auch gleich ein klein wenig sicherer.

Doch so funktioniert unser Rechtssystem nicht. Bei uns folgt die Strafe auf dem Fuße, eilt ihr aber nicht voraus. Die Strafe ist eben eine Strafe für schon begangenes Unrecht. Also Präventivstrafen sind nicht vorgesehen, wenn man mal davon absieht, dass die Polizei Möglichkeiten hat, zum Beispiel Fußballfans festzusetzen, die die gegnerische Arena auseinandernehmen wollen. Aber diese "Fans" werden nach dem Spiel auch wieder nach Hause geschickt.

Alfons Schuhbeck betritt den Sitzungssaal.
Das Straßfmaß für Fernsehkoch Schuhbeck scheint vielen Betrachtern als zu hoch. Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Sollten Sexualstraftäter härter bestraft werden?

Diese Diskussion wird auch unter Juristen intensiv geführt. Doch dabei geht es nicht nur um die schlichte Frage, ob jemand länger in den Knast kommt als bisher. Da hängt ein bisschen mehr dran. Natürlich hört es sich gut an, wenn der notorische Grapscher für drei Jahre einfährt, statt mit Bewährung davonzukommen. Aber die Beweislage ist bei Sexualstraftaten oft nicht sonderlich gut.

Es gibt selten Zeugen und mit Spuren wird es vor allem dann schwierig, wenn die Tat schon eine Weile zurückliegt. Und das passiert oft schon deshalb, weil die Opfer lange mit sich kämpfen, bevor sie sich jemandem anvertrauen. Und dann geht die Angelegenheit vor Gericht, wo jedes Detail ausgebreitet wird, alles wieder hochkommt, was eigentlich fast schon halbwegs überwunden war. Dann ist es für viele Opfer fast schon ein Segen, wenn sie nicht aussagen müssen.

Ein Mensch (m/w/d) berührt das Gesäß eines anderen Menschen (m/w/d).
Oft mangelt es bei Sexualstraftaten an Beweisen. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Das alles kann Teil der "Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten" laut Strafprozessordnung sein. Und diese Verständigung funktioniert zum Beispiel dann, wenn sich ein Geständnis strafmildernd auswirkt. Wird die Mindeststrafe aber so weit nach oben gesetzt, zum Beispiel eben über zwei Jahre, dass solche Absprachen nicht mehr zu einer Bewährungsstrafe führen können, dann hat der Angeklagte eigentlich nichts mehr zu verlieren.

Es kommt dann also auf jedes kleinste Beweisstück an und mündet in einen Prozess, der ebenso detailreich wie langwierig wird. Und wenn das alles am Ende nicht dazu führt, die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei festzustellen, dann greift das Prinzip, "im Zweifel für den Angeklagten".

Die Freispruchquote würde steigen, weil nach meinem Eindruck in einigen Fällen, die von der Beweislage her grenzwertig sind, Geständnisse durch in Aussicht gestellte Bewährungsstrafen erreicht werden.

Dr. Sascha Böttner Fachanwalt für Strafrecht

Und Sascha Böttner verweist noch auf eine weitere Beobachtung, die er als bundesweit tätiger Rechtsanwalt gemacht hat, dessen Kanzlei sich vor allen Dingen mit dem Sexualstrafrecht befasst. Die Quote an zu Unrecht Verurteilten ist wohl in keinem anderen Rechtsgebiet annähernd so hoch wie im Sexualstrafrecht. Auch das ist ein Aspekt, der zeigt, dass hohe Strafen, die dem "gesunden" Volksempfinden nahekommen, nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit führen.

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 02. November 2022 | 16:40 Uhr

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