MDRfragtDrei Viertel finden, der Westen prägt den Blick auf den Osten
Die Darstellung des Ostens sei vor allem durch eine westdeutsche Perspektive geprägt, das behauptet der Leipziger Professor Dirk Oschmann in seinem neuen Buch. Der Großteil der MDRfragt-Teilnehmenden sieht das genauso. Das hat die aktuelle, nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung gezeigt. Knapp 30.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dabei ihre Meinung geäußert.
- Die meisten Befragungsteilnehmenden halten "den Osten" quasi für eine westdeutsche Erfindung.
- Acht von zehn finden, dass der Westen ein negatives Bild vom Osten zeichnet.
- Dennoch ist die Mehrheit der Auffassung, dass die Ost-West-Debatte nicht mehr zeitgemäß ist.
In seinem Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" behauptet der Leipziger Universitätsprofessor Dirk Oschmann, dass sowohl die Medien als auch die Politik und die Wirtschaft von westdeutschen Perspektiven dominiert werden. Folglich sei der allgemeine öffentliche Blick auf den Osten vor allem durch eine westdeutsche Brille geprägt. 77 Prozent der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer gehen mit dieser These mit. Rund ein Fünftel sieht das nicht so.
Vor allem in Politik, Wirtschaft und Medien starke westdeutsche Perspektive
Die Bereiche, in denen sich die westdeutsche Perspektive auf die ostdeutschen Bundesländer am stärksten zeigt, sind in den Augen der Befragten die Politik, Wirtschaft und Medien. Jeweils mehr als drei Viertel finden das. Aber auch im Berufsleben, in der Wissenschaft und im Alltag gehen die meisten davon aus, dass der westdeutsche Blick auf den Osten dominiert.
Der Westen zeichnet ein negatives Bild vom Osten
Dirk Oschmann stellt außerdem die These auf, dass dem Osten aus westdeutscher Perspektive immer wieder negative Eigenschaften zugeschrieben werden. So werde dieser beispielsweise als "rückständig und unreif für die Demokratie" dargestellt. Die überwiegende Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmenden – 84 Prozent – sieht das wie Oschmann. Lediglich 15 Prozent sind anderer Meinung.
In den Kommentaren teilen die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer ihre Gedanken dazu mit:
Ja, wir werden oft noch als unterbemittelte Menschen gesehen. Ostdeutsche haben kaum hohe Posten und vieles wird entschieden ohne auf die ostdeutsche Mentalität zu achten.
Petra, 62 Jahre, Anhalt-Bitterfeld
Mir wurde in Bayern zum Beispiel gesagt, dass der Begriff 'Ossi' oder 'Der Osten' da durchaus negativ belegt ist. Selbst unter Schulkindern.
Christoph, 37 Jahre, Dresden
Ich glaube nicht, dass der 'Osten' als Ganzes als Problem wahrgenommen und isoliert wird. Es sind bestimmte Einstellungen, die problematisch sind.
Kerstin, 50 Jahre, Leipzig
Wenn es um Familie, Beruf und Lebensqualität geht, wird von den Medien aus meiner Sicht aus allen Himmelsrichtungen realistisch berichtet. Nur wenn es politisch relevante Sendungen über den 'Osten' gibt, dann ist es nicht mehr realistisch.
Barbara, 60 Jahre, Chemnitz
Negatives Bild ist ungerechtfertigt
Fast alle der Befragten, die das Gefühl haben, dass der Westen primär ein negatives Bild vom Osten zeichnet, halten es für nicht gerechtfertigt. Nur sieben Prozent sind dieser Ansicht.
Der Westen gilt als Norm, der Osten als Abweichung davon
In seinem Buch schreibt Dirk Oschmann auch, dass der Westen sich bis heute als normal definiere und den Osten als Abweichung von dieser Norm begreife. Rund drei Viertel der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer teilen diesen Eindruck, rund ein Viertel teilt ihn nicht.
Ihre Meinung zu den Unterschieden zwischen Ost und West haben uns die MDRfragt-Mitglieder in den Kommentaren geschickt:
Im Osten haben die Menschen eine ganz andere Mentalität, wir sind ganz anders aufgewachsen. Da wie hier direkt an der niedersächsischen Grenze leben, merken wir das immer wieder. Der im Westen aufgewachsene Mensch ist auf jeden Fall kein schlechter, aber anders.
Tatjana, 52 Jahre, Altmarkkreis
Mir gehen die positiven Klischees – 'Ihr Frauen seid dort ja viel weiter', 'Ihr wisst was Freiheit bedeutet, weil ihr darum kämpfen musstet' – genau so auf die Nerven.
Susanne, 48 Jahre, Jena
Es gibt Unterschiede zwischen Ost und West, genauso wie zwischen Nord und Süd. Ein Flensburger ist auch anders als ein Freiburger.
Konstanze, 46 Jahre, Mittelsachsen
Die Mischung hier ist auch nicht anders als im Westen und ich kann dies sicher beurteilen, da ich seit 1990 bedingt durch meine Montagetätigkeit mit Westdeutschen und Ostdeutschen im gesamten Bundesgebiet arbeite.
Joachim, 62 Jahre, Magdeburg
Mehrheit hält Ost-West-Debatte für nicht mehr zeitgemäß
Obwohl die meisten MDRfragt-Teilnehmenden der Ansicht sind, dass es auch heute noch Mentalitäts-Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen gibt, halten sie die Debatte darüber sowie die Unterscheidung zwischen Ost- und Westdeutschland heute mehrheitlich nicht mehr für zeitgemäß: 60 Prozent haben so geantwortet. 38 Prozent sind der Ansicht, dass diese Unterscheidung auch heute noch stattfinden sollte.
Auch dazu haben uns die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihre Gedanken mitgeteilt:
Mich regt auf, dass nach über 30 Jahren noch immer von den 'neuen Bundesländern' gesprochen wird! Ich habe 1990 zum zweiten Mal geheiratet, nach über 32 Jahren Ehe sage ich auch nicht: das ist mein 'neuer' Mann.
Martina, 65 Jahre, Magdeburg
Diese sogenannte Debatte lenkt doch nur von den wichtigen Dingen ab, wie den immer noch vorhandenen Unterschieden bei Lohn und Rente.
Renate, 82 Jahre, Chemnitz
Wann ist es mit dem Ost-West-Gerede endlich vorbei? Vielleicht wenn die 'Generation nach der Wende geboren' endlich die große Mehrheit darstellt.
Thomas, 52 Jahre, Greiz
Über diese BefragungDie Befragung vom 10.03. - 13.03.2023 stand unter der Überschrift:
Der Osten tickt anders – Klischee oder Realität?
Insgesamt sind bei MDRfragt 65.268 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 14.03.2023, 19 Uhr).
29.856 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 303 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.832 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 12.099 Teilnehmende
65+: 13.622 Teilnehmende
Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 15.368 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 7.249 (24 Prozent)
Thüringen: 7.239 (24 Prozent)
Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 13.140 (44 Prozent)
Männlich: 16.640 (56 Prozent)
Divers: 76 (0,3 Prozent)
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.
Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 17. März 2023 | 16:00 Uhr