Besucher stehen am Lagertor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar mit der Inschrift Jedem das Seine
Das Tor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar mit der Inschrift "Jedem das Seine" verdeutlicht die Rassenideologie der Nationalsozialisten. Bildrechte: picture alliance/dpa/Martin Schutt

Lehrpläne Schulbesuche in KZ-Gedenkstätten in Mitteldeutschland freiwillig

27. Januar 2023, 12:28 Uhr

Jedes Jahr wird am 27. Januar der Opfer des NS-Regimes gedacht. Der Holocaust ist fest in der deutschen Erinnerungskultur verankert. Auch in den Lehrplänen der Schulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist die Vermittlung von Wissen über die Gräuel der Nazi-Zeit wichtiger Bestandteil. Doch ein KZ-Gedenkstättenbesuch ist nirgends Pflicht. Die Nachfrage ist dennoch groß.

Der Nationalsozialismus und der Holocaust liegen fast acht Jahrzehnte zurück. Doch wie lassen sich die Nazi-Gräuel heute noch jungen Menschen nahebringen? Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Jens-Christian Wagner, sagte MDR SACHSEN, der Schlüssel sei, den Jugendlichen zu vermitteln, welche Bedeutung die Auseinandersetzung für ihr eigenes Leben hat. "Und das werden wir mit Sicherheit nicht erreichen, wenn wir mit erhobenem Zeigefinger sagen, 'Ihr sollt euch erinnern'".

Gedenkstättenbesuch nur in Sachsen im Lehrplan verankert

Auch die Kultusministerien der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen belassen die Entscheidung über einen Besuch von KZ-Gedenkstätten weitgehend in der Verantwortung der Schulen und Lehrkräfte, lediglich in Sachsen ist ein solcher Besuch für Oberschulen und Gymnasien in den Lehrplänen verankert. Eine Pflicht besteht aber nicht.

Der Sprecher des Landesamtes für Schule und Bildung in Sachsen (Lasub), Roman Schulz, hält das auch für ausreichend. Besuche von KZ-Gedenkstätten gebe es regelmäßig in vielen sächsischen Schulen, aber anders als zu DDR-Zeiten werde Anti-Faschismus heute nicht mehr verordnet. "Wir können Lehrer nicht zu außerschulischen Angeboten zwingen." Doch das Thema Holocaust werde nicht nur fächerübergreifend im Unterricht behandelt, sondern ziehe über viele Projekte wie "Stolpersteine" oder Workshops der Ephraim Carlebach-Stiftung in Leipzig in den Alltag der Jugendlichen ein.

Wir können Lehrer nicht zu außerschulischen Angeboten zwingen.

Roman Schulz Lasub-Sprecher

Um die Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust zu unterstützen hat das sächsische Kultusministerium nach Angaben einer Sprecherin in Kooperation mit der Brücke-Most-Stiftung 2019 auch die Landesservicestelle "Lernorte des Erinnerns und Gedenkens" eingerichtet. Über diese Servicestelle können Schulen zudem eine finanzielle Förderung der Lernortfahrten beantragen.

Thüringen und Sachsen-Anhalt: Besuch von Gedenkstätte empfohlen

Thüringen und Sachsen-Anhalt setzen ganz auf Freiwilligkeit, was Fahrten in eine KZ-Gedenkstätte angeht. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter erklärte, die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus habe an Thüringer Schulen einen hohen Stellenwert und das Lernen an Erinnerungsorten sei wichtig. Im Lehrplan werden sie allerdings nur empfohlen. Fahrten in die NS-Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka werden nach Angaben des Ministeriums ebenso finanziell gefördert wie Besuche in Thüringer Gedenkstätten. Solche Besuche seien nach der Corona-Pandemie wieder stark nachgefragt.

Gedenkstättenbesuche wieder stark nachgefragt

Der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Jens-Christian Wagner, kann dies nur bestätigen. "Das ist tatsächlich ein massives Problem, dass wir bei weitem nicht allen Anfragen nach Betreuungsangeboten nachkommen können." Und das obwohl die Gedenkstätten-Besuche inzwischen deutlich länger sind. Damit will die Gedenkstätte eine intensivere Auseinandersetzung mit historischen Quellen ermöglichen. "Deswegen haben wir in Buchenwald die Mindestaufenthaltsdauer für betreute Gruppen jetzt gerade erst auf drei Stunden erhöht, in Mittelbau-Dora sogar auf vier Stunden."

Historiker Wagner: Jugendliche nicht nur über Smartphone erreichbar

Wagner ist zudem der Meinung, es sei ein Irrtum, dass Jugendliche nur noch über digitale Angebote wie Soziale Netzwerke erreichbar wären. Ganz im Gegenteil. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass die Exponate eine eigene Faszination auf junge Menschen ausüben. "Wenn der Lagerzaun zu sehen ist, das Lagertor von Buchenwald mit der Schrift 'Jedem das seine', wenn sie sich das ehemalige Krematorium ansehen, in denen die Öfen noch stehen - dann ist das ein ganz anderer Zugang zu Geschichte als am Smartphone oder zu Hause am Computer."

Das A und O eines gelungenen Gedenkstättenbesuches sei aber eine intensive Vor- und Nachbereitung. "Da müssen wir noch mehr Bewusstsein schaffen bei den Lehrkräften, dass Gedenkstättenbesuche wirklich intensiv begleitet werden müssen", so Wagner.

Wenn der Lagerzaun zu sehen ist, das Lagertor von Buchenwald mit der Schrift 'Jedem das seine', wenn sie sich das ehemalige Krematorium ansehen, in denen die Öfen noch stehen - dann ist das ein ganz anderer Zugang zu Geschichte als am Smartphone oder zu Hause am Computer.

Jens-Christian Wagner Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora

Expertin: Wissen über den Holocaust auch über Soziale Medien vermitteln

Weil es immer weniger Zeitzeugen gibt, werden aber auch digitale Formate nach Ansicht der Direktorin der Frankfurter Bildungsstätte "Anne Frank" wichtiger. Die Erinnerung für die junge Generation lebendig zu halten bedeute, das Wissen an die Orte dieser Generation zu tragen, in digitale Formate, Spiele, Videos. "Wir sehen auf unseren Social-Media-Kanälen immer wieder, dass geschichtsbezogener Content auf hohes Interesse stößt." So beteiligen sich auch am diesjährigen Holocaust-Gedenktag viele mitteldeutsche Gedenkstätten an der bundesweiten Social-Media-Kampagne #LichterGegenDunkelheit.

Umfrage: Ein Drittel der sächsischen Schüler hat keine KZ-Gedenkstätte besucht

Dass es bei den Gedenkstättenbesuchen noch "Luft nach oben" gibt, zeigt auch eine Umfrage von MDR SACHSEN bei Instagram. 537 ehemalige Schülerinnen und Schüler von sächsischen Oberschulen und Gymnasien gaben in dem Sozialen Netzwerk an, während ihrer Schulzeit eine NS-Gedenkstätte oder ein ehemaliges KZ besucht zu haben. 162 Nutzer berichteten, es habe keine solchen Fahrten gegeben und 100 hätten gerne einen Gedenkstättenbesuch gemacht - wenn er denn angeboten worden wäre. (Stand 27.01.2023, 11.00 Uhr)

MDR (kbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 27. Januar 2023 | 19:00 Uhr

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