Neues Betreuungsrecht Mehr Selbstbestimmung für betreute Menschen
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01. Januar 2023, 05:00 Uhr
1,3 Millionen Menschen werden in Deutschland rechtlich betreut. Bisher wurde ihr Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt – ab dem ersten Januar gilt das neue Betreuungsrecht. Dieses stellt Wunsch und Willen der betreuten Personen in den Mittelpunkt.
- Die Bedürfnisse von rechtlich betreuten Menschen können sehr unterschiedlich sein. Vor der Betreuung muss gerichtlich festgelegt werden, welche Bereiche die Hilfe betrifft.
- Die Wünsche der Betreuten stehen im Mittelpunkt. Spezielle Methoden helfen, diese herauszufinden, auch wenn die Kommunikation schwierig ist.
- Berufsbetreuer müssen einen Sachkundenachweis erbringen. Zu den Voraussetzungen gehören auch ein Führungszeugnis und der Nachweis über geordnete Vermögensverhältnisse.
- Nachwuchs fehlt jedoch: Schon jetzt zeichnet sich ein Mangel an Berufsbetreuern ab.
Hilfe zur Selbstbestimmung
Rechtlich betreute Personen können behinderte Menschen sein, psychisch oder physisch Erkrankte, aber auch Drogenabhängige. Ihre Bedürfnisse sind unterschiedlich. Deshalb lautet eine Neuerung im Betreuungsgesetz: Vor der Betreuung muss gerichtlich festgestellt werden, welche Bereiche die Hilfe abdecken soll. Das kann die Vermögensverwaltung, das Wohnen oder die Gesundheit betreffen.
Moritz Ernst ist Referent für Sozialrecht beim Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen. Der Verband begrüßt das Gesetz:
Die Pflicht der Betreuer ist die betroffenen Menschen bei selbstbestimmten Entscheidungen zu unterstützen. Und stellvertretende Entscheidungen der Betreuer sollen nur noch die Ausnahme sein.
Erst Wunschermittlung, dann Entscheidung
Betreuer und Betreute sollen sich zuvor kennenlernen. Und auch während der Betreuung soll ein regelmäßiger persönlicher Kontakt bestehen. Das soll verhindern, dass über den Kopf des Betreuten hinweg entschieden wird. Doch nicht immer lassen sich die Wünsche der Betroffenen im Gespräch ganz einfach abfragen. Moritz Ernst erklärt, wie das trotzdem funktionieren kann:
"Es gibt spezielle Methoden, mit denen ein Betreuer künftig die Wünsche der Betreuten ermitteln kann. Die sind gesondert entwickelt worden. Es gibt zum Beispiel eine Mappe zur Wunschermittlung des Vereins "Leben mit Behinderung" aus Hamburg, der anhand bestimmter Fragen und auch Bilder abfragt, wie die Wünsche des Betreuten aussehen. Dann gibt es die sogenannte Teilhabekiste, die das Institut für personenzentrierte Hilfen entwickelt hat."
Das alles seien Methoden, mit denen Betreuern und Betreuten geholfen werden könne, ins Gespräch zu gehen, selbst wenn die Kommunikation schwierig sei.
Behördenbriefe und Entscheidungen bei Eheleuten
Eine weitere Neuerung: Auch die Rolle der Betreuten vor Gericht wird gestärkt. So gehen Behördenbriefe nicht mehr ausschließlich an den Betreuer, sondern automatisch auch an die betreute Person. Sie kann vor Gericht eigenständig Anträge stellen.
Gestärkt wird auch die Situation von Eheleuten, etwa bei einer plötzlich auftretenden Krankheit oder einem Unfall. Bisher konnten Ehegatten nicht automatisch Entscheidungen für einen bewusstlosen Partner treffen, wenn keine entsprechende Vorsorgevollmacht vorlag. Es wurde vielmehr gerichtlich ein Betreuer bestellt.
Das ist viel Aufwand in einer aufreibenden Lebenssituation. Jetzt können Eheleute auf das neue Notvertretungsrecht bauen. Es erlaubt ihnen, Entscheidungen für den nicht handlungsfähigen Partner zu treffen. Allerdings nur in Fragen der Gesundheit, nur nach Bestätigung durch einen Arzt und beschränkt auf einige Monate. Hat die oder der Erkrankte mit einer Vorsorgevollmacht eine andere Person befugt, hat diese Entscheidung immer Vorrang.
Qualität der Betreuung soll steigen
Rund die Hälfte der Betreuungen in Deutschland werden ehrenamtlich geleistet. Die andere Hälfte erfolgt durch Berufsbetreuer. Auch für diese ändert sich einiges. Das Ziel: Die Qualität der Betreuung soll steigen. Dafür müssen sich Berufsbetreuer nun registrieren lassen und einen Sachkundenachweis erbringen. Zu den Voraussetzungen gehören auch ein Führungszeugnis und der Nachweis über geordnete Vermögensverhältnisse.
Fred Fiedler vom Verband der Berufsbetreuer Sachsen sieht das positiv: "Wir sind sehr froh, dass nach 30 Jahren erstmals der Beruf fixiert wird. Dass es ganz konkrete Zulassungskriterien gibt, man eine Qualifikation nachweisen muss, dass also nicht jeder rechtliche Betreuung im beruflichen Kontext machen kann. Verbesserungswürdig finde ich, dass man bei der Sachkundeprüfung doch ein Stück zurückgerudert ist. Da hätte ich mir noch mehr Qualität erwartet."
Betreuungsvereine bieten Unterstützung
Ehrenamtliche Betreuer ohne familiären Bezug müssen sich künftig einem Betreuungsverein anschließen und eine Begleitungsvereinbarung abschließen. Ernst empfiehlt aber auch familiären Betreuern sich Unterstützung bei einem Verein zu holen.
Bei Betreuungen, die in einer familiären Bindung zum Betreuten stehen, sei das zwar nur eine Kannbestimmung, sei aber aber zu empfehlen. Durch den Paradigmenwechsel, bei dem die Wünsche im Zentrum stehen, bestehe sicherlich auch bei den ehrenamtlichen Betreuern ein großer Informations- und Qualifikationsbedarf, erklärt Moritz Ernst.
Aufwand steigt – Vergütung bleibt
Der Aufwand für Betreuer wird steigen. So werden neben regelmäßigen Kontakten zu den Betreuten auch jährliche Berichte an die Betreuungsgerichte verlangt. Sowohl Betreuer- als auch Behindertenverband weisen auf ein offenes Problem hin: Berufsbetreuung wird per Fallpauschale vergütet. Die tatsächlichen Kosten steigen und die Pauschalen sind noch nicht angepasst worden. Fred Fiedler wünscht sich mehr Anerkennung in der Gesellschaft für den Beruf:
Ich würde mir wünschen, dass die rechtliche Betreuung, die Anerkennung bekommt, die ihr zusteht. Dass die Gesellschaft sieht, was die Betreuter für den sozialen Frieden leisten.
Wichtig sei das auch in Hinblick auf den Nachwuchs. Denn schon jetzt zeichne sich ein Mangel an Berufsbetreuern ab.
MDR AKTUELL (vdw)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 01. Januar 2023 | 06:00 Uhr