Hörer machen Programm Das sagen Corona-Modellierer zu Quarantäne-Dauer und Freitesten

05. August 2022, 09:02 Uhr

Die Pläne des Gesundheitsministeriums für den Corona-Herbst konzentrieren sich vor allem auf Maskenpflicht, Tests und Impfungen. Während die Bundesregierung am Mittwoch das neue Infektionsschutzgesetz vorgestellt hat, lockern andere europäische Länder ihre Maßnahmen. Ein MDR-Aktuell-Hörer irriert der unterschiedliche Umgang und er möchte deshalb wissen, wie die Wissenschaft die derzeitige Situation mit Blick auf den Corona-Herbst einschätzt.

Kristan Schneider kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn er über die Corona-Politik seines Heimatlands spricht. Der Mathematiker kommt ursprünglich aus Wien und lehrt an der Hochschule Mittweida. Dass die Isolationspflicht in Österreich aufgehoben wurde, nennt er grob fahrlässig: "Je höher die Inzidenz ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Mutationen kommt, die womöglich auch wieder gefährlicher sind."

Mathematiker für strengere Isolationsregeln

Aber auch mit den Entscheidungen in Deutschland ist der Wissenschaftler nicht zufrieden. Am besten sei es, wenn sich Infizierte für insgesamt 14 Tage isolierten, weil sie dann mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit niemanden mehr ansteckten. Er sagt: "Ich werbe auch sehr dafür, dass man verpflichtende PCR-Tests macht, aber ich würde gleichzeitig eine Minimumzeit machen. Beispielsweise eine zehn Tage verpflichtende Isolation und nachher ein verpflichtender Freitest. Das wäre schon vernünftig."

Viele Menschen hätten auch nach zehn Tagen immer noch eine beträchtliche Virenlast, sagt Schneider. Der Mathematiker berechnet Modelle für Corona und trifft so Vorhersagen über die Pandemie.

Informatiker: Verdopplung der Isolationszeit halbiert nicht Inzidenz

Andere Corona-Modellierer wollen sich nicht auf eine feste Quarantäne-Zeit festlegen. Kai Nagel, ein Physiker und Informatiker, der an der Technischen Universität Berlin lehrt, antwortet schriftlich auf eine Anfrage von MDR AKTUELL: "Effektivere Maßnahmen, also auch längere Krankschreibungen, führen zu einer geringeren Inzidenz einer Welle als weniger Krankschreibungen. Allerdings führt, sagen wir, eine Verdopplung der Isolationszeiten nicht zu einer Halbierung der Inzidenzen, was aus Sicht des Fachkräftemangels eher nicht für längere Isolationszeiten spricht."

Schwache Symptome nicht unterschätzen

Auch Jan Mohring, Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik, hält nichts von starren Isolationszeiträumen. Stattdessen befürwortet er ein eigenverantwortliches Freitesten. Bei Mitarbeitenden im Gesundheitsbereich warnt Mohring davor, Infizierte mit schwachen Symptomen trotzdem arbeiten zu lassen, ähnlich wie bei einer Erkältung. Schriftlich teilt er dazu mit: "Dann stecken sich noch mehr Pfleger an. Das ist ein bisschen wie die US-Logik, Amokläufen durch allgemeine Bewaffnung zu begegnen. Hinzu kommt: So harmlos ist Corona auch nicht. Da wäre es schon schön, wenn keiner erwartet, dass man sich zur Arbeit schleppt."

Krankenhausgesellschaft Sachsen: Freitesten essentiell

Dass kranke Pflegerinnen und Pfleger, die noch positiv sind, arbeiten, lehnt auch die Krankenhausgesellschaft Sachsen ab. Erst müssten sich die Mitarbeitenden freitesten, bevor sie am Patienten arbeiten können, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Friedrich München.

In einer kürzeren Isolationsdauer sieht er Vorteile für die Krankenhäuser: "Wir hatten in den letzten Wochen einmal durchweg die Omikron-Variante. Da wäre es schon eine Entlastung für die Dienstplanung, wenn man diese fünf Tage Quarantäne nicht mehr hätte." Eine einheitliche Position in seinem Verband gebe es dazu aber nicht, sagt München. Etliche Mitglieder wären auch gegen eine Verkürzung der Isolationsdauer.

Konkrete Vorhersage aufgrund weniger Tests kaum möglich

Corona-Modellierer Schneider von der Hochschule Mittweida findet, es müsse gleichermaßen für das Gesundheitspersonal und auch die Bevölkerung längere Isolationszeiten geben: "Wenn man die gesamte Inzidenz in der Gesamtbevölkerung nicht niedrig hält, dann ist es praktisch vorprogrammiert, dass wir so viele Ausfälle im Gesundheitssystem haben, weil die Inzidenzen so durch die Decke gehen. Man kann das Gesundheitspersonal nicht vom Rest der Bevölkerung unterscheiden."

Eine konkrete Vorhersage für die Entwicklung der Pandemie sei aber momentan schwierig, erklärt Schneider. Denn die Datengrundlage sei katastrophal, weil kaum noch getestet wird.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 05. August 2022 | 06:00 Uhr

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