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In Europa sind laut Daten des Europäischen Waldbrand-Informationssystems in diesem Jahr bereits rund 660.000 Hektar Land verbrannt (hier ein Bild von einem Waldbrand im Jerichower Land). Bildrechte: MDR/Matthias Strauss

Experten-InterviewWas können wir von anderen Waldbrand-Regionen in der Welt lernen?

16. August 2022, 08:59 Uhr

Wie bekämpfen andere Länder Waldbrände? Was sollte man bei der Ausbildung der Einsatzkräfte hierzulande verbessern? Lindon Pronto hat jahrelang selber Waldbrände gelöscht, kämpft nun international für ein besseres Feuermanagement und beantwortet die Fragen.

von MDR Wirtschaftsredaktion

Welche Brandbekämpfungsstrategien anderer Länder könnten auch Deutschland helfen, Waldbrände einzudämmen?

Lindon Pronto: Ein Blick nach Südafrika zeigt, dass es dort eine professionelle Waldbrandbekämpfung gibt, die Waldbrände weitgehend ohne den Einsatz von Wasser eindämmt – also mit Handwerkzeugen und die Anwendung von "Taktischem Feuer".  Vor 20 Jahren rückten kroatische Feuerwehrleute in der gleichen schweren persönlichen Schutzkleidung zu Waldbränden aus, wie es deutsche Feuerwehrleute heute tun. Heute verfügen die kroatischen Feuerwehrleute über zwei Arten persönlicher Schutzkleidung: die Standardkleidung und die leichte Spezialkleidung für die Vegetationsbrandbekämpfung. In Australien bekämpfen die Feuerwehrleute ebenfalls viele Waldbrände in der Nähe ihrer Fahrzeuge, so dass sie ihre Löschfahrzeuge mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen ausgestattet haben, die im schlimmsten Fall als Notunterkünfte dienen. In Spanien werden spezialisierte Waldbrandbekämpfungstrupps, die mit Handwerkzeugen ausgerüstet sind, schnell per Hubschrauber eingesetzt, um unzugängliche Brände in ihrer Entstehungsphase besser zu erreichen. Die Portugieser, Spanier, und Italiener haben ausgefeilte Methoden zur Brandanalyse entwickelt, um die Wachstumsrate und die Ausbreitungsrichtung von Bränden schnell vorhersagen zu können und so zu beurteilen, wo am besten zuerst gehandelt werden sollte. In Indonesien wurden besondere Fähigkeiten zur Bekämpfung von Bränden in Torfgebieten entwickelt, die nur mit dem Boot erreichbar sind. In Südkorea wurde ein Hightech-Konzept zur ultraschnellen Branderkennung und -bekämpfung entwickelt. Es gibt noch viele weitere Beispiele ...

Was die Koordination angeht, können wir uns auch anpassen. Beispielsweise das vom U.S. Forest Service für die Waldbrandbekämpfung entwickelte "Incident Command System" hat sich als so effektiv erwiesen, das es auch für die Bewältigung der Folgen des 11. September 2001 eingesetzt wurde. Danach wurde es landesweit als Standard für alle Arten von Notfällen übernommen. Seitdem wurde es in die ganze Welt getragen. Natürlich können wir das deutsche Notfallmanagementsystem nicht einfach ersetzen, aber wir können sicherlich von anderen Ansätzen lernen und unsere eigenen überprüfen.

Andernfalls haben wir viele Möglichkeiten, unsere Strategien und Taktiken zur Brandbekämpfung weiterzuentwickeln, so dass sie sich stärker an der internationalen guten Praxis orientieren. Wir haben auch die Möglichkeit, bei der Entwicklung spezieller Ansätze für unsere eigenen Herausforderungen eine Vorreiterrolle zu übernehmen, z. B. bei der Brandbekämpfung in munitionsverseuchtem Gebiete, wo traditionelle Methoden nicht immer möglich sind.

Natürlich können wir das deutsche Notfallmanagementsystem nicht einfach ersetzen, aber wir können sicherlich von anderen Ansätzen lernen und unsere eigenen überprüfen.

Lindon Pronto, Waldbrandexperte

Was machen andere Länder bei der Ausbildung der Feuerwehr besser? Welche Bausteine sollten bei uns integriert werden?

Lindon Pronto: Die Grundlage für eine sichere und wirksame Vegetationsbrandbekämpfung ist ein gründliches Verständnis der so genannten "Brandumgebung", die im Prinzip aus der Kenntnis des Einflusses von Wetterbedingungen, topografischen Aspekten (Gelände) und Brennmaterialeigenschaften (Art, Menge, Anordnung der Vegetation) auf das Brandverhalten besteht. Die Brandbekämpfung birgt auch viele einzigartige Gefahren, die von menschlichen Faktoren – z.B. mangelhafte Kommunikation bis hin zu Umweltfaktoren wie fallende Bäume – reichen.

In Ländern, in denen schon länger Vegetationsbrandbekämpfung professionell betrieben wird, gibt es eine Reihe von Anforderungen, die vom Alter über die Fitness bis hin zu den Kompetenzen und der beruflichen Ausbildung reichen. In den USA beispielsweise gibt es ein kompetenzbasiertes System, bei dem man für die Ausübung einer bestimmten Funktion (z. B. als Gruppenführer) oft viele Jahre lang Qualifikationen erworben haben muss. Die Qualifikationen werden erworben, indem man wiederholt positionsrelevante Aufgaben bei realen Einsätzen unter strenger Aufsicht ausführt und sich dann einem Beurteilungsprozess durch mehrere Vorgesetzte unterzieht. Die Brandbekämpfung umfasst viele verschiedene Aufgaben, von der Erfassung von Wetterdaten vor Ort über die Bedienung von Kettensägen oder schwerem Gerät wie Bulldozern bis hin zum Aufbau von hochtechnischen Schlauchlinien und Wasserversorgungsketten und zur Koordinierung von Brandbekämpfungsmaßnahmen aus der Luft und der Logistik. Für all diese verschiedenen Arten von Kompetenzen sind Zertifizierungsverfahren, wie die oben beschriebenen, erforderlich.

Gibt es Länder, die nicht die finanziellen Möglichkeiten wie Deutschland haben, aber wesentlich besser aufgestellt sind?

Lindon Pronto: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Abgesehen von Ländern wie Nordamerika oder Süd-Korea haben die meisten Länder mit professionellen oder spezialisierten Waldbrandbekämpfungseinheiten geringere Finanzmittel als Deutschland. Es mag schwierig erscheinen, Deutschland mit einem Land wie zum Beispiel dem Ostkongo zu vergleichen, aber ich finde es grundsätzlich interessant daran zu denken (und ich habe es vor Ort miterlebt), wie die Bewohner ohne Finanzmittel, ohne einen einzigen Tropfen Wasser, sogar ohne Schuhe oder professionelle Ausrüstung es schaffen, ihre Ernten und Dörfer vor Feuer zu schützen. Dann frage ich mich, was wir daraus lernen können. Für mich ist klar, dass wir hier in Deutschland Millionen für neue, schicke Feuerwehrautos ausgeben können, aber das wird unsere Probleme langfristig nicht lösen. Dennoch legen wir viel zu viel Wert auf die Ausrüstung/Technik und investieren zu wenig in Ausbildung, Wissensaustausch, integrale Zusammenarbeit, Vorsorge, Prävention, Bildung und kommunales Engagement.

Gibt es Austauschprogramme, damit Feuerwehrleute aus Deutschland bei Bränden in andern Ländern helfen, um Erfahrungen für die Ausbildung hier zu sammeln?

Lindon Pronto: Es gibt ein europäisches Expertenaustauschprogramm der Europäischen Kommission für die, die in einer offiziellen Funktion im Zivil-/Katastrophenschutz tätig sind. Diese können sich dafür bewerben und daran teilnehmen, wobei sie für eine gewisse Zeit in einem anderen Land untergebracht werden. Leider ist dieses Programm für den durchschnittlichen Feuerwehrangehörigen kaum zugänglich und die Plätze sind natürlich begrenzt. Wir bemühen uns, mehr Möglichkeiten für ein breiteres Publikum zu schaffen und den Zugang zu einem solchen Austausch generell zu verbessern.

Eine weitere Initiative ist der deutsche Beitrag zum (EU) Unionsverfahren für den Katastrophenschutz (das vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) koordiniert wird, wobei die Initiative jedoch direkt auf Landesebene erfolgt), bei den einzelnen Bundesländern "EU-Module" (Einheiten) für die Brandbekämpfung aufbauen, wie beispielsweise in NRW und Niedersachsen. Diese wurden im vergangenen Sommer erstmals in Griechenland eingesetzt, und vor ein paar Wochen nahmen deutsche Feuerwehrleute an einem Mehrländeraustausch nach Griechenland teil, bei dem Personal für den Fall eines weiteren Großbrandes bereitgestellt wird. Dies ist ein großer Schritt nach vorn, um den Wissensaustausch und das Sammeln von Erfahrungen zu erleichtern, also bevor es brennt. Es ist jedoch äußerst wichtig, dass diese Feuerwehrleute über eine Grundausbildung in der Brandbekämpfung verfügen und geeignet ausgerüstet sind, bevor sie in einer Situation mit völlig anderen Verhältnissen eingesetzt werden – was leider im vergangenen Sommer nicht so ganz der Fall war! Glücklicherweise lernen wir dazu, und das deutsche EU-Kontingent aus NRW und Niedersachsen (65 Personal und 24 Fahrzeuge), das derzeit in Südfrankreich hilft, ist dieses Jahr besser ausgebildet und ausgerüstet.

Es gibt viele andere laufende "weniger offizielle" Aktivitäten und Initiativen, die auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder den Aufbau von Kapazitäten für die deutsche Feuerwehr/Zivilschutz und Forstwirtschaft aufbauen. Einige Grenzgebiete, in denen es in der Vergangenheit zu Bränden gekommen ist, haben die Initiative ergriffen, gemeinsam zu arbeiten und zu trainieren – beispielsweise an der Grenze zu den Niederlanden oder Polen. Über Vereine und vor allem private Netzwerke organisieren deutsche Feuerwehrleute auch Studienaufenthalte in Portugal, Spanien und Frankreich und diese haben die Möglichkeit, dort mit den lokalen Feuerwehren zusammenzuarbeiten. Es gibt einige europäische Projekte, an denen auch deutsche Akteure beteiligt sind und die dazu dienen, thematisches Fachwissen für das Waldbrandmanagement in Deutschland aufzubauen. Unser Projekt Waldbrand-Klima-Resilienz am European Forest Institute ist eines der besten Beispiele dafür, wie wir unsere internationalen Netzwerke nutzen, um regelmäßig Multiplikatoren aus Feuerwehr/Zivilschutz und Forstwirtschaft zu Studienreisen, Expertenaustauschen und internationalen Workshops in andere Länder zu bringen.

Womit haben andere Länder bereits erfolgreich auf den Klimawandel und zunehmende Waldbrände reagiert?

Lindon Pronto: Die Klimakrise entwickelt sich rasant, und in Kombination mit dem schleppenden politischen Handeln und der Untätigkeit vieler Wirtschaftssektoren würde ich zögern zu behaupten, dass irgendein Land eine "Erfolgsgeschichte" vorweisen kann, wenn es darum geht, sich auf kaskadenartige Auswirkungen oder katastrophale Waldbrände vorzubereiten. Das Beste, was jedes Land tun kann, ist, diese neue Realität zu akzeptieren und sofortige Vorkehrungen zu treffen, aber auch in langfristige Anstrengungen zu investieren, um unsere Landschaften und Infrastrukturen widerstandsfähiger gegen Schocks zu machen – seien es Waldbrände oder andere. Zwei Länder, die mir aus unterschiedlichen Gründen einfallen, sind Australien und Portugal. Nach den tödlichen "Black Saturday"-Bränden im Jahr 2009 hat die australische Regierung der Öffentlichkeit klar mitgeteilt, dass sie trotz aller Bemühungen die Menschen im Falle solch extremer Brände nicht schützen kann. Mit dieser eindeutigen Botschaft wurde die Verantwortung auf die Bürger verlagert. Das Ergebnis war ein Paradigmenwechsel, bei dem Eigentümer viel mehr Initiative ergriffen, um sich zu schützen. Sie bauten Bunker für Waldbrände, sicherten ihre Häuser besser und pflegten die Vegetation auf ihren Grundstücken intensiver. In Portugal wurde nach den tödlichen Bränden von 2017 die neue Sonderbehörde AGIF (Agentur für integriertes Management von Bränden im ländlichen Raum) gegründet, um einen integrierten Übergang von Maßnahmen auf Landschaftsebene zur Vorbereitung auf Waldbrände und zur Reaktion darauf zu beaufsichtigen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Beeinflussung des Bevölkerungsverhaltens (Entzündungsquellen), der Raumplanung (Exposition) und der aktiven Bewirtschaftung von Wäldern und landwirtschaftlichen Flächen (Brennmaterial). So ein integrierter längerfristiger Ansatz ist die Art von Maßnahmen, die wir brauchen.

Zum ExpertenLindon Pronto ist Senior Experte für Vegetationsbrandmanagement am European Forest Institut in Bonn. Er war selbst viele Jahre als Feuerwehrmann in Kalifornien tätig und ist heute Mitglied in nationalen und internationalen Fachgremien. Er war in vielen Ländern beratend tätig, um Strukturen im Brandmanagement zu verbessern und auszubauen. So hat er viel über internationale Waldbrandbekämpfungsstrategien gelernt und kann dies in die Forschung hierzulande einbringen.

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MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 14. August 2022 | 08:30 Uhr