Verfolgung von organisierter Kriminalität Deutsches Gericht verurteilt erstmals Unterstützer von kalabrischer Mafia

11. Februar 2023, 05:00 Uhr

Ein Gericht in Konstanz hat einen italienischen Kellner aus Baden-Württemberg verurteilt. Er wurde unter anderem wegen der Unterstützung der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta verurteilt. Es ist das erste Mal, dass so etwas in Deutschland passiert. Das Gericht schlüsselte die kriminelle Organisation hinter einer Straftat auf, obwohl dies für das Strafmaß keine Rolle spielte. Das Verfahren zeigt einen großen Mangel bei der aktuellen Verfolgung von organisierter Kriminalität in Deutschland auf.

  • Im April 2019 war es der Polizei gelungen, ein Treffen von einer Vertrauensperson mit Salvatore G. zu organisieren. Er erzählte dort über Drogendeals.
  • Das Gericht schlüsselte die kriminelle Gruppierung auf, obwohl dies im Strafmaß keine Rolle spielt.
  • Bei der Verfolgung von organisierter Kriminalität bleibt die kriminelle Organisation hinter den Straftaten meist unentdeckt. Dies sei ein großer Mangel, sagt Jura-Professor Arndt Sinn.

In November 2022 hat das Amtsgericht Konstanz ein weitreichendes Urteil gesprochen. Salvatore G. (33) ist Kellner in einem Restaurant in Überlingen am Bodensee. Das Gericht befand den gebürtigen Italiener des Drogenhandels und der Geldwäsche schuldig und verurteilte ihn zu insgesamt drei Jahren und sechs Monaten Haft.

Bemerkenswert an diesem Urteil ist aber etwas anderes: G. wurde auch wegen der Unterstützung einer ausländischen kriminellen Vereinigung verurteilt. Gemeint ist hier die kalabrische Mafia 'Ndrangheta. Nach MDR-Informationen handelt es sich dabei um das erste Mal, dass ein deutsches Gericht jemanden wegen der Unterstützung der 'Ndrangheta verurteilt. Viel mehr: Es dürfte das erste Mal überhaupt sein, dass die 'Ndrangheta in Deutschland gerichtlich festgestellt wurde.

Inzwischen ist das Urteil, das vor dem Berufungsgericht gelandet war, rechtskräftig geworden. Das bestätigte der Anwalt von G., Franz Dichgans, dem MDR. Die Höhe der Freiheitsstrafe betrage nun zwei Jahre und fünf Monate.

Clan Giorgi jahrzehntelang im Visier der Ermittler

Ermittler hatten G. im Mai 2021 im Rahmen eines großen deutsch-italienischen Anti-Mafia-Verfahrens mit dem Decknamen "Platinum-Dia" verhaftet. Im Zentrum der Ermittlungen stand der Clan Giorgi – Spitzname "Boviciani" – aus dem kalabrischen Dorf San Luca.

Jahrelang hatten italienische und deutsche Mafia-Fahnder Mitglieder dieser Gruppierung im Visier gehabt. Sie sollen Kokain aus Südamerika über die Niederlande, Belgien und den Hamburger Hafen nach Italien importierten haben. Ermittler gehen außerdem davon aus, dass die Gruppierung Lebensmittel aus Italien nach Deutschland importierte und sie an Gastwirte verkaufte. Weil dabei keine Umsatzsteuer abgeführt wurde, soll der deutsche Fiskus laut Einschätzung der Staatsanwaltschaft Konstanz bis zu zwei Millionen Euro verloren haben.

Salvatore G. arbeitete als Kellner in Überlingen in einem Restaurant direkt an der touristischen Seepromenade. Ermittler zählen dieses Restaurant sowie zwei andere in Baden-Baden und in Radolfzell der Gruppierung zu. Zeitweise war G. sogar Geschäftsführer der Firma, die das Restaurant am Bodensee führte. Das Gericht ist der Auffassung, dass G. die Gruppierung aus San Luca bei ihren Drogengeschäften unterstützte.

Kriminalpolizei gelingt Treffen

Der Kriminalpolizei Friedrichshafen war es gelungen, eine Vertrauensperson an die Gruppierung heranzuführen. Im April 2019 kam es zu einem Treffen zwischen dieser und Salvatore G. im Restaurant in Überlingen. Bei diesem Treffen soll G. über die Drogengeschäfte der Gruppierung gesprochen und erzählt haben, ihre Mitglieder würden ein Kilo Kokain sehr hoher Qualität für 32.000 Euro bekommen.

Geplanter Drogendeal platzt

Zwischen April und Mai 2019 bat G. der Vertrauensperson insgesamt mehrere Kilo Kokain an. Schließlich platzte das Geschäft wohl, weil im kalabrischen Hafen von Gioia Tauro mindestens 50 Kilo Kokain beschlagnahmt wurden, die für den Giorgi-Clan bestimmt waren.

Für die Drogengeschäfte des Clans soll hauptsächlich Sebastiano G., genannt Bacetto ("Küsschen"), zuständig gewesen sein. Im Urteil wird er als "Capo von Überlingen" bezeichnet – als Chef der Gruppierung in Deutschland. G. war sehr umtriebig, fuhr immer wieder nach Holland, wohl um Drogenlieferungen zu organisieren. Auch Salvatore G. war manchmal dabei, so begleitete er "Küsschen" bei einer Reise nach Rumänien. Er war in Holland dabei und auch bei einer Fahrt nach Stuttgart.

Gericht schlüsselt kriminelle Gruppierung auf

Bemerkenswert am Konstanzer Urteil ist, dass ein deutsches Gericht sich die Mühe gemacht hat, im Urteil die kriminelle Gruppierung aus San Luca aufzuschlüsseln. Es werden die Rollen aufgelistet, die ihre Mitglieder einzeln gespielt haben sollen. Es wird von einer gemeinsamen Kasse mit rund fünf Millionen Euro gesprochen; es geht um das Mafia-typische Schweigegelübde, die Omertà.

"Das Gericht hat sich diese Arbeit gemacht, obwohl die kriminelle Vereinigung im Strafmaß keine Rolle spielt", sagt Arndt Sinn dem MDR, "somit hat es die Ermittlungstätigkeit gewürdigt und aufgeklärt, wer etwa hinter dem Kokaingeschäft steckt".

Sinn ist Jura-Professor an der Universität Osnabrück. Er arbeitet an einem Forschungsprojekt zur organisierten Kriminalität und hat sich tiefergehend mit dem Paragraph 129 auseinandergesetzt. Das ist jener Paragraph aus dem Strafgesetzbuch, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt und auf den sich auch das Urteil gegen Salvatore G. teilweise stützt. Der Bundestag hat ihn 2017 reformiert, seitdem ist es laut Sinn leichter geworden, jemanden deswegen anzuklagen. Dennoch bleibt die Zahl der Urteile auf Grundlage von Paragraph 129 überschaubar: Im Jahr 2021 wurden neun Menschen in ganz Deutschland deswegen verurteilt, im Jahr 2020 waren es sechs. Warum ist das so?

Strafmaß bei Mitgliedschaft in krimineller Vereinigung gering

Während Drogenhandel nach deutschem Recht unter Umständen mit bis zu 15 Jahren bestraft wird, bekommt man für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung maximal bis zu fünf Jahre. Die Unterstützung wird mit maximal drei Jahren Haft bestraft. "Deswegen wird die kriminelle Vereinigung oft nicht verfolgt und aufgeklärt, weil wir Regelungen für Betäubungsmitteldelikte mit höheren Strafrahmen haben", sagt Sinn.

Viele Polizeidienststellen würden zwar Ermittlungen im Bereich organisierter Kriminalität durchführen, doch oft würden diese von Staatsanwaltschaften eingestellt, sagt Sinn. Das Problem: "Der Handel mit fünf Kilo Kokain wird zwar bestraft, aber der Hintergrund – wo kommt das her, wer sind die Drahtzieher, wer sind die Netzwerke, das bleibt unentdeckt, weil Staatsanwaltschaften Verfahren einstellen, weil sie Bedenken haben, dass sie die Beweisführung nicht dicht bekommen".

Kriminelle Organisation bleibt meist unentdeckt

Das sei ein großer Mangel bei der aktuellen Verfolgung von organisierter Kriminalität in Deutschland, denn so bleibe oft die kriminelle Organisation hinter den einzelnen Straftaten unentdeckt. Anders ist dies beim Konstanzer Urteil: "Das wertvolle daran", sagt Sinn, "ist, dass die Organisationsstrukturen offengelegt werden, obwohl das für die einzelnen Verurteilungen gar nicht bedürft hätte".

Eine MDR-Anfrage bei den Justizministerien der Länder und bei allen deutschen Generalstaatsanwaltschaften ergab, dass es sich hierbei um das erste Urteil dieser Art handeln dürfte, was die 'Ndrangheta betrifft. Aktuell läuft in Düsseldorf ein weiteres Verfahren gegen 14 Männer. Die Staatsanwaltschaft Duisburg wirft fünf von ihnen die Mitgliedschaft in der 'Ndrangheta vor und weiteren sechs die Unterstützung. Ein Urteil steht dort noch aus.

Vorgeschichte von G. in Urteil

Im Konstanzer Urteil findet sich auch die Vorgeschichte des Angeklagten: G. war nach eigenen Aussagen bereits mit 14 Jahren in Italien in der Gastronomie tätig. 2005 zog er nach Deutschland, um neue Erfahrungen zu sammeln. Er arbeitete zunächst im Restaurant eines Familienfreundes in Erfurt, ehe er im Jahr 2011 an den Bodensee zog.

Nach MDR-Informationen arbeitete G. in Erfurt in einem Restaurant, das im Laufe des Anti-Mafia-Verfahrens "Fido" eine Rolle spielte. Dabei handelte es sich um ein Großverfahren gegen die kalabrische Mafia in Thüringen, das Anfang der 2000er-Jahre von der Staatsanwaltschaft Gera und der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria geführt wurde.

Die operativen Maßnahmen des Verfahrens wurden auf merkwürdiger Art voreilig eingestellt, damit beschäftigt sich zur Zeit der Mafia-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag. Der Kalabreser Sebastiano S. soll das Restaurant geführt haben. Ermittler nahmen auch S. im Mai 2021 fest, das Gericht Turin hat ihn mittlerweile in erster Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 11. Februar 2023 | 05:00 Uhr

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