ReaktionenKlinikreform: Offene Fragen und Lob aus dem Osten
Bund und Länder haben sich auf Eckpunkte einer Klinikreform in Deutschland geeinigt. Erklärtes Ziel: Mehr Qualität statt Quantität – und weniger Kosten. Doch es bleiben offene Fragen bei der Finanzierung und praktischen Umsetzung der Reform, die erst in mehreren Jahren ihre Wirkung entfalten wird. Für Kliniken in Mitteldeutschland dürften die Einschnitte eher geringer sein. Im Osten überwiegt Lob für die Pläne.
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Dem Statistischen Bundesamt zufolge gab es in Deutschland im vergangenen Jahr knapp 1.900 Kliniken, zehn Jahre zuvor waren es noch gut 2.000. Die meisten davon sind kleinere Krankenhäuser und die sehen Gesundheitsökonomen als Hauptproblem der ausufernden Kosten – zusammen mit den Fehlanreizen durch Fallpauschalen.
Studie: Deutschland Gesundheitssystem zu teuer und ineffizient
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung empfahl bereits 2019, einen Großteil von seinerzeit etwa 1.400 kleinen Kliniken zu schließen: "Die Krankenhauslandschaft ist geprägt von Überkapazitäten und unzureichender Spezialisierung. Die gegenwärtige Versorgung ist nicht nur aufgebläht und teuer; die Patienten werden auch viel schlechter versorgt als nötig." Deutschland brauche nur etwa 600 dieser kleineren Kliniken.
Tatsächlich hat Deutschland im internationalen Vergleich ein teures Gesundheitssystem: 2020 summierten sich die Ausgaben auf den neuen Rekordwert von 440,6 Milliarden Euro. Das waren 5.300 Euro pro Einwohner. Deutschland gab im EU-Vergleich auch am meisten im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt aus. 2020 flossen laut Statistischem Bundesamt 12,8 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung in die Gesundheitsversorgung. Dahinter folgte Frankreich mit 12,2 Prozent. Die Niederlande und Belgien kamen mit gut elf Prozent aus, Länder wie Italien und Finnland mit weniger als einem Zehntel ihres BIP.
Eine Rolle spielt dabei die sehr hohe Zahl an Krankenhausbetten in Deutschland. Nach OECD-Daten gab es 2020 bundesweit knapp acht Betten je tausend Einwohner. Nur Korea und Japan hatten deutlich mehr.
Weitere Kliniken vor dem Aus – wohl auch in Mitteldeutschland
Seit 2020 sind bundesweit Dutzende Krankenhäuser verschwunden und Fachabteilungen geschlossen worden. Spitzenreiter bei den Schließungen sind Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Auch bei den geplanten Schließungen liegen beide Länder zusammen mit Bayern vorn. Dabei hilft ein Blick auf die Klinikzahlen im Ländervergleich von 2021, bei dem diese drei Länder vorn liegen:
- Bayern: 351 Kliniken
- NRW: 335
- Baden-Württemberg: 246
Zum Vergleich die ostdeutschen Länder:
- Berlin: 87 Kliniken
- Sachsen: 78
- Brandenburg: 61
- Sachsen-Anhalt: 45
- Thüringen: 44
- Mecklenburg-Vorpommern: 38
Doch auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen droht weiteren Krankenhäusern das Aus. Die Webseite Kliniksterben.de listet seit dem Jahr 2000 geschlossene Kliniken und Medienberichte zur Krise im Gesundheitssystem auf. Aktuelle Einträge:
- 8. Juli: SRH-Klinikum Burgenlandkreis bestätigt Schließung der gynäkologischen Klinik in Zeitz
- 4. Juli: Kinderklinik Sömmerda schließt endgültig
Ruf nach Finanzspritzen für klamme Kliniken
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht Forderungen der Länder nach Finanzspritzen vom Bund für defizitäre Kliniken skeptisch. Das gebe der Bundeshaushalt nicht her. Da seien eher die Länder gefragt, die derzeit finanziell mehr Spielraum hätten. Lauterbach geht auch davon aus, dass weitere Kliniken Insolvenz anmelden müssen, bis seine Reform ihre Wirkung entfalte.
Widerspruch kommt vom Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Es könne nicht sein, die Dinge treiben zu lassen, bis 2027 oder 2028 positive Reformeffekte wirkten. Verlorene Standorte könnten nicht wiederbelebt werden, "die sind dann weg". Auch der Städtetag kritisiert die unklare Lage, bis die Reform greift. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy mahnte, "so viel Zeit haben viele Krankenhäuser nicht". Er monierte zudem, dass der Kompromiss von Bund und Ländern die extrem gestiegenen Kosten durch Energiepreise, Inflation und Personalkosten nicht berücksichtige.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kritisierte auf Twitter, die Ampel-Regierung im Bund lasse die Krankenhäuser im Stich und mache "eiskalten Strukturwandel zulasten des ländlichen Raums". Der CSU-Politiker prophezeite eine "Zwei-Klassen-Medizin", wenn die medizinische Versorgung im ländlichen Raum nicht mehr finanziell gefördert werde. Bayern hatte den Klinik-Kompromiss als einziges Bundesland abgelehnt.
Finanzierung der Reform und viele Fragen der Umsetzung offen
Ärztevertreter, Kommunen, Krankenkassen und Gewerkschaften forderten baldige Klarheit zur Finanzierung der bundesweiten Klinikreform. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte der "Rheinischen Post", eine solche Transformation könne nicht ohne erhebliche Investitionen gelingen. Schon das Zusammenlegen von Abteilungen sei nicht zum Nulltarif zu haben. Längere Wege zu einzelnen Standorten müsse der Rettungsdienst überbrücken. Johna warnte vor einem "ungeordneten Krankenhaussterben".
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen bemängelte, die Finanzwirkung der Eckpunkte bleibe unklar. Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis vermisst finanzielle Zusagen. Die Länder verpflichteten sich weiterhin nicht, die Investitionskosten für die Klinken zu finanzieren. "Das darf nicht zulasten der Beitragszahlenden gehen." Der Deutsche Gewerkschaftsbund rief auf, Insolvenzen zu verhindern und "die Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen".
Dazu kommen noch weitere offene Detailfragen zur Umsetzung der Reform wie bei der geplanten Datenerfassung und -Auswertung zur Qualität der Kliniken oder die Sicherstellung der Notfallversorgung der Bevölkerung, wenn weitere Kliniken schließen, was für viele Patientinnen und Patienten dann auch zu längeren Wegen führen wird. Für den eigentlichen Prozess des Umbaus sind "Mittel von Bund und Ländern" in Aussicht gestellt, aber nicht beziffert.
Unterschiede in der Kliniklandschaft in Ost und West
Nach Einschätzung von Experten wird die Krankenhausreform in Ostdeutschland geringere Auswirkungen haben als im Westen. Stefanie Drese, Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD), vertritt bei den anstehenden Beratungen über einen Gesetzentwurf zum Reformpapier die ostdeutschen Interessen. Sie sagte MDR AKTUELL, die Ostländer hätten eine andere Ausgangslage als der Westen. Hier habe es schon in den 90er-Jahren eine Klinik-Strukturreform gegeben. Von den aktuellen Krankenhäusern könne man nicht mehr viele schließen, ohne die Versorgung zu gefährden.
Dennoch sieht Drese auch in den ostdeutschen Ländern Einsparpotenzial – durch Klinikverbünde und Spezialisierung. Einige Fachbereiche gehörten auf den Prüfstand. An der Reform lobt sie vor allem den Wechsel bei der Vergütung für Krankenhausleistungen, weg von Fallpauschalen hin zu Vorhaltepauschalen. Im Gesetzgebungsverfahren will sie für den Osten erreichen, dass Kliniken bei den Leistungsgruppen auch Ausnahmen erlaubt werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
AFP, dpa, MDR AKTUELL (ans)
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. Juli 2023 | 17:30 Uhr
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