Waldbrände Experte sieht Nachholbedarf bei Koordination, Strategie und Ausbildung

31. Juli 2022, 05:00 Uhr

Lindon Pronto hat jahrelang selber Waldbrände gelöscht und kämpft nun für ein besseres Feuermanagement. Die Politik muss schnell handeln, Ausbildung und Ausrüstung der Feuerwehr anpassen und auf feuerresistente Landschaften umsteigen, sagt er.

Werden wir in Deutschland in Zukunft häufiger solche verheerenden Waldbrände erleben?

Lindon Pronto: Der Klimawandel hat zu einem Anstieg der Temperaturen und zu schwereren und häufigeren Wetteranomalien wie Stürmen, Dürren und Hitzewellen geführt, von denen beispielsweise Europa überproportional betroffen ist. Deutschland gehört zu einer Handvoll "neu" brandgefährdeter Länder. Das bedeutet, dass es in Deutschland weiterhin eine zunehmende Anzahl von Tagen pro Jahr geben wird, an denen "Feuerwetter"-Bedingungen (gemessen in Temperatur, relativer Luftfeuchtigkeit, Wind und Niederschlag) die Entzündung und Ausbreitung von Bränden begünstigen.

Auch erleben wir bereits jetzt eine dramatische Zunahme an extremere Feuerverhalten, die die Feuerwehren schnell überfordern. Da Waldbrände in Deutschland bisher keine dauerhafte Herausforderung darstellen, sind wir auf allen Ebenen auf ein effektives Brandmanagement nicht ausreichend vorbereitet. Das bedeutet, dass die Entscheidungsträger schnell handeln müssen, um unser Gesamtsystem besser auf diese Herausforderung vorzubereiten. Unsere Einsatzkräfte müssen besser ausgebildet und ausgerüstet werden. Die Öffentlichkeit muss stärker für die Risiken sensibilisiert werden. Wir müssen alle über Zuständigkeitsbereiche und Disziplinen hinweg zusammenarbeiten, um uns besser vorzubereiten – denn wir haben weniger Zeit, als wir dachten.

Was muss die Politik ändern, damit schneller reagiert werden kann?

Lindon Pronto: Entscheidungsträger müssen unsere Schwachstellen anerkennen und offen sein für Hinweise von Wissenschaftlern, Experten und Praktikern. Besonders wichtig ist es auch, von anderen Ländern zu lernen, die mehr Zeit und Erfahrung im Umgang mit Waldbrandproblemen haben.  Die Politik muss ein Leitbild geben, um Handlungsfelder zu definieren für alle betroffenen Akteure. Dies ist eine große und langfristige Aufgabe – aber so ein Leitbild gibt es bereits – z.B. "Sparking firesmart policies in the EU". Wir müssen in Deutschland das Rad nicht neu erfinden, sondern nur die derzeit verfügbaren Ressourcen entsprechend anpassen.

Die Feuerwehren sind letztlich unsere letzte Verteidigungslinie und nur eine Reaktion auf eine komplexe Herausforderung, die unser aller Engagement erfordert – und hier muss die Politik eine starke Führungsrolle übernehmen und helfen, diese Bestrebungen zu finanzieren und zu koordinieren. Schließlich müssen Entscheidungsträger berücksichtigen, dass unsere Strukturen überarbeitet werden müssen, wenn sich unser Umfeld und die Bedingungen ändern. Offensichtlich stößt unser freiwilliges System an seine Grenzen, wenn wir auf Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Brände reagieren müssen. Dieses System ist für alltägliche Notfälle ausgelegt, nicht für hochkomplexe und dynamische Notfälle, die sich über Tage oder Wochen erstrecken.

Was muss sich ändern, damit die Einsatzkräfte besser (aus)gerüstet sind?

Lindon Pronto: Es geht los mit einer zielgerichteteren Ausbildung. Ein besseres Verständnis für Waldbrände erlaubt eine bessere und sicherere Strategie im Einsatz. Dann fehlt es an geeigneter Ausrüstung. Der Einsatz bei einem Waldbrand lässt sich nur bedingt mit den Anforderungen eines Wohnungsbrandes vergleichen, also bräuchte es auch andere Schutzkleidung, anderes Werkzeug, Grundsätze für Sicherheit und vor allem ein Grundverständnis der Einflüsse von Vegetation (Art, Menge, Struktur), Wetter und Gelände auf das Brandverhalten. Körperliche Fitness und Ausdauer sind ein weiterer äußerst wichtiger Aspekt bei der Vegetationsbrandbekämpfung.

Unsere Einsatzkräfte könnten und sollten bewährte Praktiken aus anderen Ländern übernehmen, z. B. den Einsatz von taktischem Feuer, anlegen von Schneisen, geeignete Nachlöschmethoden und generell Methoden der Brandbekämpfung, die weniger Wasser benötigen.

Auf der Führungsebene muss mehr Kenntnis über Walbrände vorhanden sein, das entweder innerhalb der Feuerwehr entwickelt, oder von außen hinzugezogen wird. Es bedarf besserer Kommunikations-, Koordinations- und Kommandostrukturen, die mit einer sich dynamisch entwickelnden Situation umgehen können – vor allem, wenn es um die Arbeit über lokale oder nationale Grenzen hinweg geht. Diese Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden. Es darf nicht sein, dass in einem akuten Brandfall Zuständigkeiten und Kompetenten nicht klar definiert sind.

Was kann der "normale Bürger" zur Vermeidung von Waldbrändschäden tun?

Lindon Pronto: Wir brauchen ein größeres Bewusstsein dafür, dass Waldbrände hier in Deutschland ein neues Risiko darstellen. Sinnvoll sind Aufklärungskampagnen in Schulen, bei Jugendlichen, in der breiten Öffentlichkeit und vor allem bei den Berufsgruppen, die von Bränden besonders betroffen sind, wie Land- und Forstwirte. Es muss klare Leitlinien für das Verhalten im Brandfall geben – etwa Evakuierungsprotokolle (Was muss man vor Ort mitnehmen?). Die Entwicklung von Waldbränden in urbanen Gebieten bedeutet, dass viel mehr individuelles Handeln erforderlich sein wird. Es gibt viele gute Beispiele aus anderen Ländern dafür, was jeder Einzelne tun kann, um sein Haus und Grund "brandsicher" zu machen.

Gut wäre, wenn auch die Freiwilligen Feuerwehren besser ausgerüstet wären. Sie könnten sich auf kommunaler Ebene engagieren, um das Bewusstsein zu schärfen und auch um Druck auf ihre lokalen Behörden auszuüben, damit Mittel für eine zielgerichtete Ausbildung, Werkzeuge und Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden.

Welche positiven Beispiele gibt es für Initiativen zur besseren Vorbereitung Deutschlands?

Lindon Pronto: Es gibt schon einige Initiativen, Arbeitskreise, Vereine, auch Modellregionen und Dienstleister, die sich der Thematik Waldbrand widmen. Zum Beispiel die Modellregion Waldbrand Baden Württemberg, in der präventiv Pufferzonen angelegt – und Waldbrandgefahrenkarten entwickelt werden, anhand derer sich konkrete Maßnahmen für den Einsatz ergeben. Außerdem finden dort Schulungen zwischen Feuerwehren und Forst statt, sodass im Einsatz die Abstimmung klappt und jeder seine Stärken einbringen kann. Solche Demonstrationsflächen gibt es in ganz Deutschland, dorthin gelangt auch Ausrüstung speziell für Forstbetriebe und Waldbesitz aller Art. Genau daran arbeiten wir in einem von der Bundesregierung geförderten Projekt “Waldbrand-Kilma-Resilienz“. Neben Demonstrationsflächen ermöglicht das Projekt Multiplikatoren aus den Bereichen Feuerwehr, Forst und Zivilschutz an internationalen Schulungen im In- und Ausland teilzunehmen und das Wissen nach Deutschland in die Anwendung zu bringen. Dieses Wissen kam schon bei dem Großbrand in Brandenburg/Sachsen in der Gohrischheide zum Einsatz, als geschulte Projektpartner zur Unterstützung der Einsatzkräfte vor Ort gerufen wurden. Aktuell laufen einige Projekte zum Thema Waldbrand, die von der Bundesregierung mit insgesamt zwölf Millionen Euro gefördert werden.  Das Interesse an der Thematik steigt, das merkt man.

Zudem beteiligt sich Deutschland an dem EU-Zivilschutzmechanismus. Das Programm für den Austausch von Katastrophenschutzexperten bringt Experten über die Grenzen hinweg zusammen, um ihre operativen Kenntnisse und Fähigkeiten durch praktische Erfahrungen vor Ort zu erweitern. Der Austausch bietet Einblicke in die Arbeit von Katastrophenschutzorganisationen und Experten in ganz Europa und darüber hinaus. Das dient auch dazu, im Krisenfall gezielter um Hilfe fragen zu können, weil man weiß, was die Kollegen woanders schon für Erfahrungen in dem Bereich haben. Auch das ist wesentlicher Bestandteil unserer Projektarbeit. Es sind oft Initiativen, Vereine, Fachkräfte, Forstbehörden, die sich ehrenamtlich engagieren und wahnsinnig gute Arbeit leisten. Diese gilt es zu institutionalisieren und die Initiativen miteinander zu verknüpfen, da man nur gemeinsam Waldbrände bekämpfen kann.

Wie sollte man auf den Klimawandel reagieren, um die Regionen weniger "brandanfällig" zu machen?

Lindon Pronto: Zu oft wird über reaktive Maßnahmen diskutiert. Und die Politik kauft lieber mehr Tanklöschfahrzuege als in bessere Ausbildung, Ausstattung und integrale Kooperation zwischen Forst-und Landwirte, Feuerwehr, und Naturschutz zu investieren. Alles wichtige Aspekte – aber das große Ziel muss sein, ein holistisches und integriertes Feuermanagement zu schaffen. Das heißt, auf widerstandsfähigere Landschaften hinzuarbeiten, die extremen Wetterereignissen und Bränden besser standhalten können. Wir müssen nicht nur über dürreresistente Baumarten oder naturnahe Wälder nachdenken und Handeln, sondern auch unsere Landnutzung und Infrastruktur muss resilienter werden.

Wenn es brennt, denken wir als erstes an die Feuerwehr. Aber das ist eigentlich der letzte Ausweg. Die beste Lösung zur Bekämpfung von Waldbränden ist Prävention und Vorsorge. Die wahren Helden in dieser Geschichte sind die verantwortlichen Menschen und Behörden, die feuerresistente Landschaften (oder einfach: resiliente Landschaften) schaffen, um katastrophale Brände zu begrenzen, gegen die unsere Einsatzkräfte wenig Chance haben.

Zum Experten Lindon Pronto ist Senior Experte für Vegetationsbrandmanagement am European Forest Institut in Bonn. Er war selbst viele Jahre als Feuerwehrmann in Kalifornien tätig und ist heute Mitglied in nationalen und internationalen Fachgremien. Er war in vielen Ländern beratend tätig, um Strukturen im Brandmanagement zu verbessern und auszubauen. So hat er viel über internationale Waldbrandbekämpfungsstrategien gelernt und kann dies in die Forschung hierzulande einbringen.

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MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 26. Juli 2022 | 20:15 Uhr

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