Umweltkatastrophe Lemke vermutet chemische Substanzen als Ursache für Fischsterben

14. August 2022, 21:49 Uhr

Bundesumweltministerin Steffi Lemke vermutet, dass chemische Substanzen aus industrieller Produktion für das Fischsterben in der Oder verantwortlich sein könnten. Das erklärte sie bei einem Treffen in Polen. Zuvor hatte die Grünen-Politikerin bereits Probleme in der Zusammenarbeit mit Polen eingeräumt. Polnische Behörden haben eine Belohnung für Hinweise auf die Verursacher ausgesetzt.

Das massive Fischsterben in der Oder geht nach Angaben von Bundesumweltministerin Steffi Lemke womöglich auf eine Vergiftung durch chemische Substanzen zurück. Die Grünen-Politikerin sagte im Rahmen eines Treffens mit Vertretern der polnischen Regierung: "Es scheint tatsächlich so zu sein, dass es sich um chemische Substanzen aus industrieller Produktion handelt." Man wisse das nicht allerdings abschließend, sagte Lemke. Deshalb müsse mit Hochdruck zusammengearbeitet werden.

Lemke hatte sich in Stettin mit der polnischen Umweltministerin Anna Moskwa und dem polnischen Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk ausgetauscht. Auch die Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, Till Backhaus und Axel Vogel, waren zu dem Krisentreffen in Polen geladen. Nach dem Treffen sagte Lemke, man habe lösungsorientiert diskutiert und "gute und gemeinsame Schritte" vereinbart. Dazu zählten insbesondere Verbesserungen bei den Informationsketten. Hier habe es in den vergangenen Tagen Versäumnisse gegeben.

Polens Regierung erklärte, bei Untersuchungen von Fischen aus der Oder sind seien bislang keine toxischen Substanzen entdeckt worden, die das Fischsterben verursacht haben. Die Fische seien auf Quecksilber und andere Schwermetalle untersucht worden, sagte Polens Umweltministerin Anna Moskwa. In den kommenden Stunden würden sie auf weitere 300 schädliche Stoffe untersucht. Moskwa erklärte weiter, Wasserproben hätten einen erhöhten Sauerstoffgehalt ergeben, was für den Sommer und den niedrigen Wasserstand ungewöhnlich sei. Womöglich sei es zu einem Oxidierungsprozess des Wassers gekommen. Dies könne darauf hindeuten, dass das Fischsterben eventuell keine natürliche Ursache habe, sondern dass es einen Täter gebe, der Substanzen ins Wasser eingeleitet habe.

Lemke räumt Fehler in der Zusammenarbeit mit Polen ein

Am Samstag hatte die Bundesumweltministerin bei der Aufklärung des Fischsterbens anfängliche Probleme bei der Zusammenarbeit mit Polen eingeräumt. "Die Frage der deutsch-polnischen Zusammenarbeit hat an dieser Stelle ganz offensichtlich nicht funktioniert (...), sonst hätten wir früher Informationen erhalten, zumindest das Land Brandenburg oder auch die Anrainerkommunen", sagte die Grünen-Politikerin bei einem Besuch in Frankfurt an der Oder. Zuvor hatte bereits ein Sprecher des Umweltministeriums erklärt: "Tatsächlich wissen wir, dass diese Meldekette, die für solche Fälle vorgesehen ist, nicht funktioniert hat." Brandenburg hatte ebenfalls offen kritisiert, es sei von polnischen Behörden nicht informiert worden.

Vor Ort hatten zahlreiche Helferinnen und Helfer am Samstag tote Fische vom Ufer eingesammelt. Lemke zeigte sich bewegt von dem Engagement der amtlichen und ehrenamtlichen Kräfte. Hier sei aufmerksam von Bürgern reagiert worden, auch ohne die Gründe für das Sterben zu kennen, erklärte Lemke. Das immer noch bestehende Unwissen über das Ausmaß der Katastrophe, die Länge sowie die Folgen für die Nahrungskette und die Natur trieben sie massiv um, sagte die Bundesumweltministerin.

Fischsterben könnte sich auf die Ostsee auswirken

Mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa habe sie bereits am Freitag vereinbart, dass es eine gemeinsame Expertenbewertung der Situation und einen Austausch der Analyseergebnisse geben solle. Lemke kündigte weitere Gespräche an. Zudem solle das Thema im deutsch-polnischen Umweltrat vertieft werden.

Unterdessen hat die polnische Wasserbehörde Berichte dementiert, wonach zwischen Ende Juli und Anfang August Wasser aus polnischen Staubecken in die Oder eingeleitet worden sein soll. Dies seien falsche Informationen, die in polnischen und deutschen Medien verbreitet würden, hieß es in einer Mitteilung nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP. Demnach sei der kurzzeitige Anstieg des Wasserspiegels auf die Wetterbedingungen zurückzuführen. "In Tschechien kam es Ende Juli zu heftigen Regenfällen, die sich auf den Durchfluss und den Wasserstand der Oder auswirkten."

Das Fischsterben in der Oder könnte sich auch auf die Ostsee auswirken. Das Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern teilte in einem Schreiben mit, es sei damit zu rechnen, dass die Belastungen die Odermündung nahe Stettin (Polen) abhängig von Wind- und Strömungsverhältnissen bereits am Freitagabend erreicht hätten, schrieb das Ministerium in einer Mitteilung. Im Verlauf des Samstags könnte dann auch der vorpommersche Teil des Stettiner Haffs betroffen sein. Am Sonntag erklärte das Umweltministerium in Mecklenburg-Vorpommern, dass bisher keine Fischkadaver im deutschen Teil des Stettiner Haffs entdeckt worden seien.

Erhöhte Quecksilberwerte und Schwermetalle als Ursache ausgeschlossen

Das Ministerium von Umweltminister Till Backhaus (SPD) rief daher die Anlieger vorsorglich dazu auf, auf das Fischen in und die Wasserentnahme – unabhängig von der Nutzung – aus dem Gewässer zu verzichten. Die zuständigen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern bereiten demnach aktuell Gewässer- und Fischproben vor. Nach Angaben des Kreises Uckermark werden die von Helfern eingesammelten, verendeten Fische in einer Verbrennungsanlage auf dem Gelände der PCK-Raffinerie in Schwedt entsorgt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat derweil angekündigt, am Montag wegen des Fischsterbens an die Oder zu fahren.

Die genaue Ursache für massenhafte Fischsterben ist noch nicht klar. Nach Angaben der polnischen Regierung können erhöhte Quecksilberwerte aber ausgeschlossen werden. Dies hätten die ersten toxikologischen Untersuchungsergebnisse von Proben toter Fische ergeben, schrieb Polens Umweltministerin Anna Moskwa auf Twitter. Auch Schwermetalle wurden von Polen als Ursache mittlerweile ausgeschlossen.

Polnische Behörden setzen Belohnung aus

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte eingeräumt, am "9. oder 10. August" informiert worden zu sein, obwohl es bereits Ende Juli erste Hinweise auf eine Gewässerverschmutzung und tote Fische gegeben hatte. "Es ist eindeutig, dass ich zu spät davon erfahren habe. Die betroffenen Behörden hätten mich früher informieren müssen", sagte Morawiecki vor Journalisten im westpolnischen Gorzow Wielkopolski.

Die polnischen Behörden haben unterdessen eine Belohnung von umgerechnet 210.000 Euro für Hinweise auf den Verursacher der Gewässerverschmutzung ausgesetzt. Vize-Innenminister Maciej Wasik teilte mit, "eine Belohnung von einer Million Zloty" solle dabei helfen, "die Verantwortlichen dieser Umweltkatastrophe zu finden". 

Schwedts Bürgermeisterin: Befürchtungen, dass Auswirkungen sich über Jahre hinziehen

Die Bürgermeisterin von Schwedt/Oder, Annekathrin Hoppe (SPD), sagte im rbb-Inforadio, der Nationalpark Unteres Odertal habe große Befürchtungen, dass die Auswirkungen sich auch über Jahre hinziehen könnten: "Für uns ist diese Vergiftungssituation, die sich jetzt in der Oder aufgebaut hat, eine Umweltkatastrophe von noch nie dagewesenem Ausmaß."

Auch der Tourismus sowie die Weide- und Fischwirtschaft seien stark beeinträchtigt. In Schwedt begann am Samstag eine Aktion zum Einsammeln der Kadaver.

AFP/dpa (jan,fef) | Erstmals veröffentlicht am 13.08.2022

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. August 2022 | 21:00 Uhr

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