Krisenfinanzierung Wie lange kann sich Deutschland die Krisen noch leisten?

21. Juni 2022, 10:11 Uhr

Erst die Coronakrise, jetzt die Inflation und ein Sondervermögen für die Bundeswehr: Die Bundesregierung bringt einen finanziellen Fallschirm nach dem anderen auf den Weg. MDR-AKTUELL-Hörer Stefan Düsterdick stutzt und fragt: "Wie finanziert das die Ampelregierung bei gleichzeitig sinkendem Wirtschaftswachstum? Steuern wir auf einen Staatsbankrott zu?"

Wie die Regierung die ganzen Maßnahmen finanziert, das ist schnell beantwortet: vor allem mit neuen Schulden. In den vergangenen beiden Jahren hat der Finanzminister 350 Milliarden Euro an neuen Krediten aufgenommen. In diesem Jahr sollen es 140 Milliarden Euro werden, plus 100 Milliarden für das Sondervermögen der Bundeswehr. Unfassbare Summen und trotzdem sagt Alexander Kriwoluzky, Leiter der Abteilung Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, das sei tragbar: "Wir sind Milliarden Lichtjahre von einem Staatsbankrott in Deutschland entfernt."

Kriwoluzky macht das an der Schuldenquote fest. Sie gibt an, wie hoch der Schuldenstand gemessen an der Wirtschaftsleistung ist. Vor der Corona-Krise war Deutschland mit 60 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Inzwischen sind es reichlich 70 Prozent.

Der Wirtschaftsforscher ordnet die Zahlen ein: "Das ist nicht nur noch im Rahmen. Das ist wirklich am unteren Ende von den Schuldenquoten, die wir weltweit sehen. Deutschland steht hier sehr gut da. Und niemand in Deutschland muss schlaflose Nächte haben, weil man das Gefühl hat, dass der Staatshaushalt überschuldet ist, beziehungsweise wir zu viele Schulden aufgenommen haben."

Ökonom: Deutschland lebt über seine Verhältnisse

Doch nicht alle Ökonomen sehen das so entspannt. Niklas Potrafke hat analysiert, wie Deutschland seine Schuldenlast langfristig tragen kann. Schon vor der Coronakrise kam der Leiter des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie zu der Einschätzung, Deutschland lebe über seine Verhältnisse. Die Schuldenquote allein sei ja nur ein Kriterium: "Ich glaube, eine der größten Herausforderungen, die auf die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen drückt, ist der demografische Wandel. Es werden demnächst immer weniger Junge und immer mehr Alte zu versorgen sein. Und das müssen wir einfach berücksichtigen, wir müssen uns anstrengen."

Innerhalb der Ampelregierung will vor allem die FDP zurück zur Schuldenbremse. Der haushaltspolitische Sprecher Otto Fricke sagt, noch sei der Schuldenstand kein Problem. Deutschland bekäme am Kapitalmarkt weiterhin problemlos Geld geliehen. Doch die Zinsen würden steigen – und damit auch die Belastung. Er prognostiziert: "Steigt die Durchschnittsverzinsung des Bundes um 0,1 Prozent – um 0,1 nicht um 1,0 – dann heißt das pro Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr an Zinsleistungen, die wir nicht haben für Bildung, für Forschung, für Familie, für Soziales, für all die Dinge, die notwendig sind. Und das ist das, was so gefährlich ist an der Frage der Verschuldung."

Ökonom fordert Debatte über Geldausgaben

Ifo-Ökonom Potrafke fordert deshalb ein Umdenken. So wie in den vergangenen Jahren könne es nicht weitergehen: "Wir müssen uns in Zukunft daran gewöhnen, wieder ausgeglichene Staatshaushalte zu haben, also einfach zu gucken, dass man nicht auf den großen Schuldenberg, den wir gegenwärtig schon haben, immer Jahr für Jahr eine neue Schippe drauf packt. Und dann brauchen wir eine Debatte in der Gesellschaft, wofür Geld eigentlich ausgegeben wird."

Mit Schulden für neue Infrastruktur, für Straßen oder Schulen können die meisten Ökonomen noch gut leben. Denn von dem Geld entsteht ein neuer Wert. Mit Schulden für Benzinpreisrabatte oder das 9-Euro-Ticket haben dagegen viele Probleme. Denn nach der sozialen Wohltat ist das Geld weg. Die Zinsen für den Kredit zahlt dann die nächste Generation.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. Juni 2022 | 08:27 Uhr

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