HintergrundWas Abschiebungen jetzt schon kosten und was noch kommen könnte
Nach dem Anschlag in Solingen sind Forderungen nach mehr Abschiebungen noch lauter geworden. Schon jetzt kosten sie den Bund und Länder wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen viel Geld. Sollten es mehr werden, die Strecken länger und Rückführungen auch häufiger nach Afghanistan und sogar Syrien führen, dürfte es noch erheblich teurer werden.
- Was Bund und Länder für Rückführungen ausgeben.
- Warum sie nach Afghanistan und Syrien teurer werden würden.
- Welche Kosten Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für Abschiebungen haben.
- Und warum freiwillige Ausreisen günstiger sind.
Anfang Juni hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, dass schwer kriminelle Straftäter und terroristische Gefährder auch nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. Seither wird daran gearbeitet, doch ein regelmäßig gangbarer Weg ist nach wie vor nicht in Sicht.
Nach dem Anschlag von Solingen und kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen waren die Forderungen nach mehr Abschiebungen auch in diese Länder aber noch lauter geworden: Am 30. August startete erstmals seit 2021 wieder ein Abschiebeflug nach Afghanistan.
Allein der dürfte geschätzt mindestens eine halbe Million Euro gekostet haben, mit Kosten für das Flugzeug, begleitende Bundespolizisten und den Arzt sowie für die Vermittlung durch Katar bei den Taliban, mit denen die Bundesregierung nicht direkt verhandeln wollte. Das "Handgeld" für die 28 Männer von jeweils 1.000 Euro, rechtlich wohl nötig, dürfte hier noch das geringste gewesen und ihnen auch gleich abgenommen worden sein.
Insgesamt wurden in der Boeing 787 der Qatar Airways von Leipzig aus 28 Afghanen aus elf Bundesländern abgeschoben, zwei aus Sachsen-Anhalt und je einer aus Sachsen und Thüringen. Es war der erste deutsche Abschiebeflug nach Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren.
Das Bundesinnenministerium wollte die Kosten dafür auf Anfrage von MDR AKTUELL zunächst nicht beziffern. Das sei "noch nicht abschließend" möglich, hieß es als Antwort – obwohl die Aktion bereits abgeschlossen ist.
Kosten für den Bund schwer zu beziffern
Klar ist, dass Abschiebungen schon jetzt einiges kosten, obwohl es oft noch in näher liegende Länder wie Albanien und Nordmazedonien geht, nach Serbien, Georgien, in die Türkei oder EU-Länder. Gerade erst sind weitere Migrations-Abkommen mit Indien und jetzt auch Kenia oder Usbekistan vereinbart worden. Über solche Vereinbarungen soll meist der Zuzug von Fach- oder Arbeitskräften sowie die Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland erleichtert werden.
Allein im ersten Halbjahr 2024 sind insgesamt 9.465 Menschen abgeschoben worden – fast 83 Prozent per Flugzeug, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken hervorgeht. Im vergangenen Jahr sind es 16.430 Menschen gewesen, bei 29.599 "freiwilligen" Ausreisen, wie es in der Antwort auf eine weitere Anfrage der AfD hieß. Die Tendenz ist seit 2020 wieder steigend, nachdem es im Vergleich zu 2019 – wegen der Coronaviurus-Pandemie – zu einer Halbierung der Zahl der Abschiebungen gekommen war.
Wie viel das den Bund genau kostet, ist schwer zu ermitteln. Denn meist handelt die Bundesregierung dabei weniger auf eigene Rechnung, wie bei dem jüngsten Flug nach Kabul, sondern unterstützt eher die eigentlich verantwortlichen Länder.
Dabei schlugen 2023 allein etwa Dienstreise-Kosten für Flugbegleiter der Bundespolizei mit 6,5 Millionen Euro zu Buche. Für 2024 wurden dafür im Haushalt des Bundesinnenministeriums 7,25 Millionen Euro angesetzt. Die Bundespolizei hat Mitte August berichtet, dass sie fast 2,7 Millionen ihrer insgesamt rund vier Millionen Einsatzstunden 2023 im "Bereich Migration" hatte - dazu gehören dann aber neben dem Einsatz bei Rückführungen, auch Grenzkontrollen, Fahndungen oder Mitarbeit bei Frontex.
Was Länder an Abschiebungekosten tragen
Zu den Kosten für Abschiebungen kommt neben der Bezahlung für Beamte noch einiges hinzu: Das kann für Sammelanhörungen sein, für Passersatz-Beschaffungen, für medizinisches Personal, Dolmetscher, Übersetzungen, Sprachgutachten und Kuriere, Flug-, Charterflug und Stornokosten, für Fahrten und Reisebeihilfen, Kosten für Amtshilfe, Ausreisegewahrsam oder elektronische Fußfesseln und eben die Bewachung. Das wird größtenteils bei den Ländern verbucht.
Sachsen wie Sachsen-Anhalt und Thüringen haben zuletzt die Zahl ihrer Abschiebungen erhöht, was aber nicht unbegrenzt weitergehen kann. Nach offiziellen Zahlen gab es Ende 2023 bundesweit 242.642 ausreisepflichtige Personen, davon aber 193.972 geduldet. Rein rechtlich kamen Anfang 2024 also nur knapp 50.000 Menschen für Abschiebungen in Frage. Dazu kommt: Nicht alle Versuche gelingen, 2023 sind etwa 14.000 Abschiebungen gescheitert, etwa weil die Leute nicht auffindbar waren, krank oder auch juristisch einen Aufschub erwirken konnten.
Das teuerste bei Rückführungen sind oft die Flüge: 2023 kamen für insgesamt 213 Charter-Flüge mehr als 30 Millionen Euro zusammen. Das teilte die Bundesregierung mit, auch auf Anfrage der Linken im Bundestag. Demnach fallen für das Buchen einer extra Maschine etwa von Leipzig nach Pakistan fast 450.000 Euro an. Flüge in näher liegende Länder kosten weniger, einer von Sachsen nach Tunesien um die 80.000 und von München nach Bulgarien oder Rumänien etwa 50.000 Euro. Drin sitzen aber oft nur drei bis acht abzuschiebende Leute und oft das Dreifache an Bundespolizisten.
Nicht alle Abschiebungen sind so teuer. Von den 16.430 Menschen, die 2023 abgeschoben wurden, hatte man aber gut 6.500 per Charter-Flug befördert, Tendenz steigend. In Sachsens Etat heißt es dazu: "Es werden verstärkt separate Flüge gechartert, da Rückführungen in Länder durchgeführt werden, die über normale Linienflüge nicht erreichbar sind" oder per Linienflug "aus Gründen der Sicherheit" gescheitert seien.
Sachsen: Fast drei Millionen Euro?
In Sachsen sollen die Kosten für Abschiebungen 2023 zusammen mit geförderter Rückkehr etwa 2,9 Millionen Euro betragen haben. Das teilte die Landesdirektion auf Anfrage von MDR AKTUELL mit. Dabei ist diese Zahl mit Vorsicht zu lesen, denn darin sind auch Kosten enthalten sein, die nichts mit Abschiebungen zu tun haben. Eine genauere Differenzierung werde nicht vorgenommen, hieß es.
So sind etwa in den 2,5 Millionen Euro im Haushalt 2024 angesetzten Mitteln für Beförderungskosten auch Ausgaben für Transporte von der Erstaufnahme in Unterkünfte der Kommunen enthalten und ähnliche andere.
Als reine Kosten bei Abschiebungen werden im Haushalt des sächsischen Innenministers nur 1,8 Millionen Euro für Dolmetscher und Leistungen Dritter etwa zur Identifizierung von Ausländern und für Aufenthaltsüberwachung mit elektronischen Mitteln erkennbar. Wie viel etwa für begleitende Polizeibeamte des Landes oder ähnliches zu Buche schlägt, blieb offen.
Das Land hat nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 841 Menschen abgeschoben und 627 Personen eine eigene Ausreise gefördert. Das waren demnach deutlich mehr als die 568 Abschiebungen und 435 "freiwilligen" Ausreisen im Jahr davor, wobei die Kosten 2022 bei fast 2,7 Millionen Euro gelegen haben sollen, also kaum mehr ausgegeben worden sei.
Weitere 486 Menschen seien im ersten und zweiten Quartal 2024 abgeschoben worden, wobei dem Land zugute kommt, dass es anders als seine Nachbarn eine eigene Abschiebungs-Sicherungseinrichtung (ASE) hat. So werde Plätze im Abschiebegewahrsam genannt. Deren Betrieb kostet das Land laut seinen Etat-Ansätzen im Jahr weniger als 100.000 Euro.
Sachsen-Anhalt: Etwa 1,44 Millionen Euro
Sachsen-Anhalt hat 2023 nach Angaben des Innenministeriums 535 Ausländer abgeschoben, was eine Steigerung um 54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sei. Und im ersten Halbjahr 2024 seien schon 325 Leute erfolgreich abgeschoben worden, die meisten nach Georgien und Nordmazedonien, Österreich oder Indien.
Wie das Ministerium auf Anfrage von MDR AKTUELL mitteilte, beliefen sich die Kosten 2023 dafür auf 1,44 Millionen Euro – nach etwa 1,1 Millionen im Jahr zuvor. Größter Posten mit knapp 700.000 Euro seien da Erstattungen an Kommunen für Transferleistungen gewesen, hinzu kommen mehr als 310.000 Euro für Abschiebehaft außer Landes, Sicherheitsbegleitung, Transporte und elektronische Fußfesseln.
Charter- und Linienflüge, ihre Stornierung und Reisebeihilfen kosteten demnach rund 291.000 Euro, weitere 143.000 Euro die Anhörungen, Pass-Ersatz-Beschaffungen, Sanitäter und Dolmetscher. Zugleich hat das Land für geförderte, sogenannte freiwillige Ausreisen von insgesamt 473 Personen in 2023 nur etwa 368.000 Euro ausgegeben.
Abschiebe-Haftplätze ab Ende 2026
Anders als Sachsen hat Sachsen-Anhalt noch keine offizielle so genannte "Abschiebungs-Sicherungseinrichtung" (ASE), die helfen könnte, geplante Abschiebungen nicht scheitern zu lassen. Seit 2022 verfolgt das Land aber weiter den Plan, mehr als 20 Plätze in der JVA Volkstedt einzurichten.
Neben der laut Planung fast 40 Millionen Euro teuren JVA-Sanierung in dem Ortsteil von Eisleben soll also eine eigene ASE für etwas mehr als vier Millionen Euro entstehen. Auf Anfrage von MDR AKTUELL teilte das Finanzministerium in Magdeburg mit, dass sie ab Ende 2026 zur Verfügung stehen soll.
Thüringen: Weniger als eine Million Euro
Auch in Thüringen hatte die amtierende, aber abgewählte rot-rot-grüne Minderheitsregierung die Einrichtung von Abschiebezellen für straffällige und ausreisepflichtige Ausländer geplant, schon vor dem Anschlag in Solingen. Was daraus unter einer neuen Regierung wird, ist offen.
Wie bisher auch Sachsen-Anhalt ist Thüringen bei Abschiebungen auf Kooperationen etwa mit Sachsen angewiesen. Regelmäßig nutzt das Land auch einen Abschiebeplatz in Ingelheim in Rheinland-Pfalz.
Wie das Thüringer Landesverwaltungsamt MDR AKTUELL mitteilte, sind für Abschiebungen jährlich 300.000 Euro vorgesehen, wobei 2022 nur 215.148 verbraucht wurden. Im vergangenen Jahr haben sich demnach jedoch die tatsächlichen Kosten schon auf 248.650 Euro erhöht. Bis zum 21. August dieses Jahres liefen den Angaben zufolge 122.357 Euro auf.
Dazu kommen Erstattungen an andere Länder etwa von Kosten für Abschiebungshaft. Machten die 2022 noch 160.623 Euro aus, waren für 2024 schon 180.000 Euro eingeplant, bis zum 21. August aber bereits 170.040 ausgegeben. Kurz gesagt: Die Kosten steigen, wobei Thüringen von den drei mitteldeutschen Länder bisher offenbar noch am wenigsten Geld für Abschiebungen aufgewendet hat.
Wer muss das bezahlen?
Nach Paragraf 66 Aufenthaltsgesetz sollen "Verursacher" ihre Abschiebung bezahlen, obwohl sie natürlich von Behörden angeordnet werden. Dies bedeutet, der Ausreisepflichtige soll für die entstandenen Kosten seiner Rückführung aufkommen. Doch dazu kommt es fast nie. Tatsächlich bleibt dies fast immer am Steuerzahler hängen; und die dafür jährlich geplanten Einnahmen wirken in Haushalten auch der Höhe nach eher wie Platzhalter. Auch Arbeitgeber müssen für Abschiebungen bezahlen, wenn sie Ausländer illegal beschäftigt haben, wie etwa ein Urteil vom Verwaltungsgericht Koblenz bestätigte.
Rückführungen können sehr teuer werden
Wenn künftig – wie in der aktuellen Debatte gefordert – mehr Abschiebungen von sogenannten Gefährdern oder Kriminellen erfolgen sollen, dann muss eingerechnet werden, dass diese deutlich teurer werden können. Zum einen aufgrund der höheren Sicherheitsvorkehrungen und zum anderen, weil Kontakte in die jeweiligen Herkunftsländer oft wenig belastbar sein können oder auch gar nicht vorhanden, wie zu den afghanischen Taliban.
Ein Beispiel: "Durch die Dauer der Abschiebungshaft, notwendige Begleitung durch Sicherheits- oder medizinisches Personal und Einzelcharter können die Kosten für eine Rückführung im Einzelfall 30.000 Euro übersteigen", heißt es etwa in einer offiziellen Erklärung aus Niedersachsen.
Medienberichte stützen das. So berichtete 2022 etwa die "Berliner Morgenpost" über einen Charterflug für drei Ausreisepflichtige und 17 Polizisten für 64.995 Euro in die Türkei. Ein Charterflieger für eine Person und zehn Beamte nach Tadschikistan soll sogar 134.075 Euro gekostet haben.
Und der Rückflug des Aslybewerbers aus Niger 2023, der 2019 ein Mädchen in Dessau vergewaltigt hatte, kostete laut "FAZ" und "Spiegel" mehr als 120.000. Der eines anderen Mannes nach Simbabwe laut "Focus" fast 200.000 Euro.
"Freiwillige" Ausreisen sind günstiger
Nach einer ersten vorsichtigen Schätzung dürften Bund und Länder zusammen im Jahr so mindestens 50 Millionen Euro für Abschiebungen ausgeben. Wahrscheinlich ist es aber deutlich mehr. Das in genauen Zahlen anzugeben ist schwierig, weil wegen unterschiedlicher Ressourcen häufig gegenseitige Amtshilfen durch den Bund und auch der Länder untereinander zwischen den beteiligten Stellen immer noch verrechnet werden müssen.
Andererseits haben 2023 fast 30.000 ausreisepflichtige Menschen Deutschland "freiwillig" verlassen – also mit einer geförderten Rückkehr. Dabei wurden insgesamt 10.763 Anträge auf eine Förderung der Ausreise bewilligt.
Der Bund zahlt Zuschüsse für "Programme zur Förderung der freiwilligen Ausreise" an die Länder. Dieses Jahr stehen 35,1 Millionen Euro bereit – 2023 wurden 38,1 Millionen geplant, aber nur 28,6 Millionen Euro ausgegeben.
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) bezeichnet "geförderte" übrigens nicht als "freiwillige" Rückkehr. Denn die "Personen reisen nur oder primär aus, weil die Ausreisepflicht sonst zwangsweise durchgesetzt wird", heißt es im SVR-Jahresbericht. Darin präferiert das vom Politikwissenschaftler Hans Vorländer geleitete Gremium aber eindeutig diese Art der Ausreise: Sie sei "nicht nur kostengünstiger als die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht, sie gilt auch als humaner".
MDR AKTUELL, mit dpa, LTO u.a.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 14. September 2024 | 11:04 Uhr