MDR-RechercheNach der Wahl: Warum viele Kultureinrichtungen mit Sorge in die Zukunft blicken
Die Angst vor einem größeren Einfluss rechter Kräfte auf das kulturelle und zivilgesellschaftliche Geschehen in Ostdeutschland ist groß. Schon vor der Wahl stellten AfD-Abgeordnete im Sächsischen Landtag vermehrt Anfragen zur Finanzierung von Kultureinrichtungen und Vereinen. Betroffene werten dies als Versuch, ihre Projekte einzuschränken. Gleichzeitig nahmen auch dokumentierte Angriffe auf derartige Einrichtungen zu. Experten befürchten ein Schrumpfen der Zivilgesellschaft in Städten.
Inhalt des Artikels:
Das Thema in der ARD-Mediathek
Die Bilder vom Christopher Street Day in Bautzen vor wenigen Wochen erinnerten fast wieder an die "Baseballschlägerjahre" unmittelbar nach der Wiedervereinigung, als rechtsextreme Jugendliche die Stimmung in vielen Ostdeutschen Kleinstädten fest im Griff hatten. Den rund 1.000 Teilnehmern mit bunten Flaggen und Schildern stand eine Masse von fast 700 meist schwarz gekleideten Rechtsextremen gegenüber, die lautstark Parolen brüllten. Die Veranstaltung musste von rund 200 Polizisten abgesichert werden. Die Angst vor Übergriffen in ostdeutschen Städten wächst, und besonders bedroht sind vor allem diejenigen, die von den extremen Rechten als anders, fremd oder links angesehen werden.
Immer weniger gesellschaftliches Engagement
Gerade für diese Menschen bieten Einrichtungen wie das "Steinhaus" am Rande der Bautzener Innenstadt einen Rückzugsort. Hier werden Jugendlichen alternative und interkulturelle Freizeitangebote gemacht, neben Konzerten steht auch politische und kulturelle Bildung auf dem Programm. Doch auch hier spürt man die Auswirkungen der zunehmenden Präsenz rechter Kräfte. Viele aus dem Steinhaus-Umfeld haben aufgehört, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Andere überlegen, die Stadt komplett zu verlassen. "Ich glaube, viele ziehen weg. Es gibt Menschen, die es nicht aushalten. Und das schadet einer Stadt, wenn junge Menschen gehen", sagt Manja Gruhn, die am Steinhaus das Projekt "Gemeinsam in Bautzen" koordiniert.
Ich glaube, viele ziehen weg. Es gibt Menschen, die es nicht aushalten. Und das schadet einer Stadt, wenn junge Menschen gehen.
Manja Gruhn, Mitarbeiterin im Steinhaus Bautzen
Auch für die Mitarbeiter von Kultureinrichtungen stelle sich die Frage, ob sie ihr gesellschaftliches Engagement weiterführen wollen. Gruhns Kollegin Lisa Wendler berichtet davon, dass einen immer wieder der Gedanke beschleiche: "Wenn ich das jetzt lasse, habe ich meine Ruhe."
Politischer Druck durch die AfD
Besonders auf politischer Ebene bekommen die Einrichtungen inzwischen zu spüren, dass sie von der AfD kritisch beäugt werden. Allein in Sachsen gab es in diesem Jahr mindestens 36 Kleine Anfragen von Abgeordneten der AfD-Fraktion zur Finanzierung von Kultureinrichtungen und gemeinnützigen Vereinen. Schaut man genauer hin, stellt man Gemeinsamkeiten fest, die nahelegen, dass die Anfragen politisch motiviert sind: Die Initiaiven setzen sich für Demokratie, Toleranz und eine offene Gesellschaft ein, kämpfen gegen Sexismus und Rassismus, machen Angebote zur politischen Bildung oder unterstützen Migranten. Mehr dazu in der aufklappbaren Infobox unten.
Kleine Anfragen der AfD zu Kultureinrichtungen und Vereinen (Beispiele)
- Landesbühnen Sachsen und Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen wegen vermeintlicher AfD-kritischer Äußerungen, die bei Aufführungen auf der Bühne gefallen sein sollen.
- Staatsschauspiel Dresden wegen der "Aufführung einer gegen die Opposition gerichteten Adaption der 'Dreigroschenoper'", die – , wie man in der Kleinen Anfrage lesen kann – der AfD "Neonazismus sowie eine gewaltsame Machtübernahme fälschlich unterstellt".
- Band "Banda Comunale", die sich laut der Kleinen Anfrage seit ihrer Gründung "sehr weit links der Mitte" positioniert und ihre Mitglieder "vorrangig aus dem migrantischen Milieu" rekrutiert.
- Kulturbüro Sachsen, das sich u.a. mit den Themen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Migration und Desinformationskampagnen beschäftigt und laut eigener Internetseite für "die Anerkennung vielfältiger Lebensweisen" einsetzt.
- Frauenkultur e.V. Leipzig, der ein soziokulturelles Zentrum betreibt und Workshops zu Themen wie Feminismus, Demokratie, Toleranz, Meinungs- und Pressefreiheit organisiert.
- Ring politischer Jugend Sachsen e.V. – Es handelt sich um einen Zusammenschluss der Jugendorganisationen von "etablierten" Parteien, die im Sächsischen Landtag vertreten sind. Sein Ziel laut Internetseite: "gemeinsam die politische Bildung der Jugend zu fördern, antidemokratischen Einflüssen auf die Jugend entgegenzutreten und zu verhindern, dass der Idealismus junger Menschen für politischen Extremismus missbraucht wird."
- Mosaik Leipzig – Kompetenzzentrum für transkulturelle Dialoge e.V., der laut eigener Internetseite die "Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt" fördern will, Migranten berät und ihnen psychologische Unterstützung anbietet.
- Landesarbeitsgemeinschaft politisch-kulturelle Bildung Sachsen e.V., der sich u.a. mit dem Thema Rassismus beschäftigt und laut seiner Internetseite die "Neuausrichtung von politischer Bildung nachhaltig voranbringen" will.
- VILLA gGmbH, die ein soziokulturelles Zentrum in Leipzig betreibt: "Unsere Vision ist, dass Menschen in Leipzig gleichberechtigt, selbstbestimmt und engagiert an unserer Gesellschaft teilhaben. (...) Dabei setzen wir auf ein selbstverständliches Mit- und Nebeneinander. Wir leisten einen Beitrag, damit sich »das Fremde«/»das Andere« normalisiert und ermöglichen Gemeinschaft".
- Kulturstrudel Freiberg e.V., der sich der politischen Bildung und der demokratischen Wertevermittlung widmet.
- CSD Pirna e.V. und CSD Dresden e.V.
- Förderverein Ökologische Freiwilligendienste e.V., der eine Tagung zum Umgang mit der Neuen Rechten organisiert hat, die in der AfD-Anfrage als "Linksradikale Öko-Fachtagung auf Kosten des Steuerzahlers" bezeichnet wird.
(Die Recherche basiert zum Teil auf einer Situationsanalyse des Chemnitzer Vereins ASA-FF von 2024.)
Der Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis sieht in den Kleinen Anfragen eine gezielte Kampagne gegen aus Sicht der AfD politisch unliebsame Akteure: "Die ganze Zivilgesellschaft, die sich da gebildet hat, die hängt ja sehr stark davon ab, dass sie staatliche und kommunale Unterstützung erfährt. In dem Moment, wo diese staatlichen und kommunalen Entscheidungen über diese Unterstützungen in die Hände der AfD fallen, dann gerät diese Zivilgesellschaft in eine sehr prekäre Lage – und wird womöglich ihre Arbeit einstellen müssen."
Steinbeis betreibt unter anderem den "Verfassungsblog", in dem er sich zu rechtspolitischen Themen äußert. Laut ihm gehört es zur Strategie der autoritären Populisten, solche Institutionen wie die freien Medien, die Wissenschaft, die Kunst oder die Kultur zu politischen Gegnern zu erklären. In Bautzen hat der neu gewählte Stadtrat der AfD bereits angekündigt, die Finanzierung des Steinhauses genauer unter die Lupe zu nehmen.
Dies weckt bei den Steinhaus-Mitarbeitern ganz konkrete Befürchtungen, wie die Sozialarbeiterin Gruhn einräumt: "Wir sind natürlich abhängig von Wahlen und Wahlergebnissen. Landesprogramme, aber auch kommunale Programme, das entscheiden ja zum Schluss dann Politiker. Und wenn Kulturprogramme abgeschafft oder gekürzt werden, dann betrifft das uns natürlich." Solche finanziellen Kürzungen wären aber laut Gruhn fatal für die Zivilgesellschaft: "Wer an sozialer Arbeit kürzt, an Kulturarbeit kürzt, verbessert eine Stadtgesellschaft nicht, sondern verschlechtert eben Zusammenhalt."
Gewalt gegen Kulturschaffende
Neben diesen Anfragen nehmen aber auch Störungen, Bedrohungen, tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen von und auf Kultureinrichtungen zu. Einer Recherche des MDR zufolge ereigneten sich alleine im Jahr 2024 in Sachsen mindestens 20 derartige Vorfälle.
Der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sieht die Gründe für die Zunahme rechter Gewalt jedoch nicht nur in der aktuellen extremen Spaltung der Gesellschaft, sondern sieht darin eine Nachwirkung der rechtsextremen Übergriffe der 1990er Jahre. Die Situation, die damals viele Menschen erlebt haben, schwebt laut Quent über den heutigen Entwicklungen. Teilweise seien die Schläger von damals jetzt die Kommunalabgeordneten der AfD in den Parlamenten und die nächste Generation verstärke oder reproduziere diese Angsträume, so Quent.
Auch für Lisa Wendler vom Steinhaus Bautzen spiegeln sich viele der Bilder der 1990er Jahre in den heutigen Übergriffen wider. Sie sieht gerade in dieser Zunahme rechter Gewalt eine große Bedrohung der Zivilgesellschaft: "Allein das ist ja schon fatal, dass Menschen Angst haben oder auch Elternteile Angst haben müssen, dass ihren Kids etwas passiert, wenn sie sich zivilgesellschaftlich engagieren."
Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland?
Die MDR-Dokumentation "Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland?" untersucht die gesellschaftliche Stimmung in Ostdeutschland nach den Landtagswahlen in Thüringen und vor der Wahl in Brandenburg. Der Film geht der Frage nach, ob der Osten Deutschlands durch die zunehmenden Wahlerfolge von AfD und BSW zunehmend unregierbar wird, wie sich die Menschen hier ihre Zukunft vorstellen und mit welchen Ängsten und Sorgen sie konfrontiert sind. Dabei kommen Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Kultur oder Kommunalpolitik zu Wort.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland? | 12. September 2024 | 20:15 Uhr