Vertrauensfrage Das passiert, wenn die AfD für Olaf Scholz stimmt
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27. November 2024, 10:49 Uhr
Am 16. Dezember will Kanzler Olaf Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Wenn er, wie von ihm selbst erwartet, keine Mehrheit bekommt, wären damit die Voraussetzungen für Neuwahlen im Februar geschaffen. Ein MDR-AKTUELL-Hörer hält es allerdings für möglich, dass da noch eine Überraschung kommt: "Nach den Aufsehen erregenden Aktionen der AfD – vor allem im Thüringer Landtag – frage ich mich, ob die AfD aus parteitaktischen Gründen für Scholz stimmt. Gibt es dazu Gedankenspiele?"
- Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios gibt es einzelne AfD-Abgeordnete, die überlegen, bei der Vertrauensfrage für Olaf Scholz zu stimmen.
- Sollte sich eine Mehrheit der AfD dazu entscheiden, könnte Scholz die Vertrauensfrage gewinnen und der Bundestag nicht aufgelöst werden.
- Dass es dazu kommt, ist nach heutiger Sachlage aber unwahrscheinlich.
Frage: Scholz bleibt im Amt, ein Unfall dank der AfD – was ist dran an diesem Szenario?
MDR-AKTUELL-Redakteur Jan Kröger: Für unseren Hörer sind es da offenbar vor allem die Vorerfahrungen aus Thüringen: Wir denken zurück an die Wahl von Thomas Kemmerich, dem FDP-Politiker, der dank AfD-Stimmen 2020 kurzzeitig zum Ministerpräsidenten wurde. Es gibt allerdings auch Stimmen aus dem Bundestag. Zum Beispiel Jürgen Pohl, ein Thüringer AfD-Abgeordneter. Der hat sich schon geäußert, Olaf Scholz sei das kleinere Übel verglichen mit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und meint damit vor allem die Haltung der beiden gegenüber Russland und gegenüber Waffenlieferungen an die Ukraine. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios gibt es auch weitere Abgeordnete, die zumindest überlegen, für Scholz zu stimmen. Auch zum Beispiel unter jenen, die einst in der AfD waren und jetzt fraktionslos sind. Der Hintergrund ist: Scholz bräuchte 367 Stimmen, um die Vertrauensfrage zu gewinnen. SPD und Grüne kommen noch auf 324. Fehlen also 43. Die AfD hat mit 76 Abgeordneten deutlich mehr. Aber es müssten eben nicht nur einzelne Abgeordnete, sondern eine Mehrheit der AfD für Olaf Scholz stimmen.
Wie würde es weitergehen, falls Scholz ungeplant diese Vertrauensfrage doch gewinnt?
Rein rechtlich geht die Legislaturperiode weiter. Einen festen Plan für diesen Fall hat wohl keine Partei. Und der politischen Debatte in diesem Szenario möchten wir jetzt auch nicht vorgreifen. Fest steht: Die Auflösung des Bundestags geht eben nur über diese Vertrauensfrage. Deshalb läge der Ball dann wieder bei Olaf Scholz, so erklärt das Politikwissenschaftler Oliver Lemke: "Die Vertrauensfrage ist ein persönliches Recht – wenn man so sagen darf – des Kanzlers. Er kann sie mit einer Sachfrage verbinden. Er kann auch einfach eine Prüfung, ob die Mehrheit immer noch intakt ist, nutzen. Er kann sie stellen, wann immer und wie immer er das möchte." Und so könnte eben in diesem Szenario Olaf Scholz auch ein zweites Mal die Vertrauensfrage stellen, um das Ergebnis – kleine Anspielung auf Thüringen damals – der ersten Vertrauensfrage rückgängig zu machen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die AfD-Fraktion mehrheitlich für Scholz stimmt?
Nach heutiger Sachlage ist es nicht wahrscheinlich. Die paar möglichen Ja-Stimmen für Scholz habe ich aufgezählt. Dagegen steht, was das Führungspersonal der AfD-Fraktion sagt. Der Sprecher von Alice Weidel spricht von einer starken Mindermeinung, was Jürgen Pohl und andere eben da äußern. Auch Bernd Baumann, der Parlamentarische Geschäftsführer, forderte gleich in der ersten Bundestagsdebatte nach dem Ende der Ampelkoalition sofortige Neuwahlen. Und davon geht auch Politikwissenschaftler Oliver Lemke aus: "Die AfD möchte selbst möglichst schnell zu Neuwahlen kommen, weil ihre Umfragewerte hoch sind. Und sie hat ja auch schon Alice Weidel als Kanzlerkandidatin ausgerufen. Und sie wird ja nun nicht ausgerechnet diejenige Partei sein, die jetzt den unbeliebten Kanzler gewissermaßen am Ruder hält." Ein weiteres Argument gibt es aus Sicht von Oliver Lemke: Wahrscheinlich wird namentlich abgestimmt am 16. Dezember. Das heißt, jeder AfD-Abgeordnete, der für Scholz stimmt, wird danach auch erklären müssen, warum er das getan hat.
Wie reagieren die beiden verbliebenen Regierungsfraktionen, also SPD und Grüne, auf diese ganzen Gedankenspiele?
Aus der SPD gab es den Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer, der sich in einem Zeitungsinterview geäußert hat und damit eigentlich diese Debatte auch erst so richtig angefangen hat. Der sagte schon mal: "Wenn die Gefahr besteht, dass die AfD für den Kanzler stimmt, damit die Vertrauensfrage scheitert, werden wir handeln. Die Option könnte dann sein, dass sich unsere Abgeordneten enthalten." Bisher ist allerdings davon auszugehen, dass die SPD-Fraktion für ihren Kanzler stimmen wird. Bei den Grünen hat sich Irene Mihalic geäußert. Sie ist dort parlamentarische Geschäftsführerin und sagt, der AfD sei vieles zuzutrauen, wenn es um taktische Spielchen geht: "Wir, die Grünen, positionieren uns völlig unabhängig davon zur Vertrauensfrage." Was Irene Mihalic damit offen lässt, ist natürlich, was das heißt. Ob die Grünen nun mit Ja, Nein oder mit Enthaltung stimmen werden. Das wäre genau die Möglichkeit, sozusagen gesichtswahrend. Die Grünen enthalten sich. Dann könnte die SPD für Olaf Scholz stimmen. Dann wäre auch mit diesem Szenario nicht mehr zu rechnen, dass eben die AfD Olaf Scholz im Amt hält.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. November 2024 | 06:23 Uhr