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Koalition im Krisenmodus | Teil 1Mit der Schuldenbremse gegen die Inflation?

07. September 2022, 05:00 Uhr

Die Ampel-Koalition stemmt sich mit milliardenschwerden Entlastungspaketen gegen die Krise – und will 2023 dennoch zurück zur Schuldenbremse. Funktioniert Finanzdisziplin in Zeiten der Inflation?

"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", das war der Leitsatz von Christian Lindner vor fünf Jahren, als er eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene absagte. Nun regieren die Liberalen seit einem guten dreiviertel Jahr mit – und können bei der Haushaltspolitik zeigen, was richtiges Regieren aus ihrer Sicht heißt. Oberstes Prinzip soll dabei ab 2023 die Einhaltung der Schuldenbremse sein. Dem ordnet Lindner alles unter, obwohl er am Wochenende verkündete, auf Deutschland würde eine Lawine zurollen – durch Energiepreise und Inflation.

Entlastungen für den Bürger werden durch Inflationsgewinne des Bundes bezahlt

Trotz des dritten Entlastungsprogramms über 65 Milliarden Euro will Lindner zur Schuldenbremse zurück. Dafür nutzt er die Inflationsgewinne von Bund und Ländern durch die wachsenden Einnahmen bei der Mehrwertsteuer. Allein 2022 sollen sie sich auf 50 Milliarden Euro belaufen. Für 2023 werden sie wahrscheinlich noch höher sein, denn Experten gehen von weiter steigenden Preisen für Lebensmittel, Energie und Wirtschaftsprodukte aus. Diese Mehreinnahmen sind aber im jetzigen Haushaltsentwurf noch nicht eingepreist, sollten aber bis zur endgültigen Abstimmung im Parlament Ende November wenigstens in Teilen bei den Einnahmen auftauchen.  

So rechnet Lindner in seinem Haushaltsentwurf immer noch mit Einnahmen und Ausgaben von 445,2 Milliarden Euro und einer Schuldenaufnahme von 17,2 Milliarden Euro. Stand Juli 2022. Das liegt in dem Rahmen, den die Schuldenbremse zulässt. Zum Teil wird die Stabilität des Haushaltes durch die Auflösung von Rücklagen in der Höhe von 40,5 Milliarden Euro erreicht. Aus den Mehreinnahmen durch die Inflation werden Steuererleichterungen, wie die Erhöhung des Grundfreibetrages und der Begrenzung der kalten Progression mit circa 12 Milliarden Euro bezahlt. Ebenso werden die zusätzlichen Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer aus der geplanten Gasumlage durch eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent an die Bürger und die Wirtschaft zum Teil zurückgeführt.

Bisher wird kaum Geld für Wirtschaftshilfen für Unternehmen eingeplant

Doch schon beim dritten Entlastungspaket mit einer Höhe von 65 Milliarden Euro wird eher spekuliert als genau gerechnet. So sollen die Mehrkosten durch die Strompreisbremse durch die Abschöpfung der sogenannten "Zufallsgewinne" von Stromerzeugern, besonders aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien, bezahlt werden. Das würde rund die Hälfte des gesamten Entlastungspakets ausmachen. Nur muss da noch die EU-Kommission zustimmen und außerdem ist unklar, auf welcher rechtsfesten Grundlage diese "Abschöpfung" erfolgen soll. Das kann schnell zum Problem für Lindners Haushaltspläne werden.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Das Entlastungspaket sieht bisher kaum Hilfen für Unternehmen vor, die durch die hohen Energiepreise in finanzielle Schieflage geraten. Wenn notwendig sollen Hilfen für Unternehmen über Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau erfolgen. Doch wird das für die Unternehmen kaum eine Hilfe sein, denn irgendwann müssen sie die Kredite zurückzahlen und könnten es dann nicht können. Das zeigte sich schon bei Rückforderungen des Staates von Wirtschaftshilfen nach der Corona-Pandemie. Über kurz oder lang ist hier sicher auch noch einmal der Staat direkt mit Milliarden-Hilfen gefordert.

Außerdem haben bei vielen Fragen des Entlastungspakets die Länder ein Mitspracherecht. Zum Beispiel bei der Finanzierung von Maßnahmen über die Mehrwertsteuereinnahmen müssen die Länder gefragt werden, denn diese Einnahmen werden zwischen Bund und Ländern geteilt.

So könnte am Ende die Schuldenbremse doch noch gelöst werden müssen, weil es sich gegen die Lawine der Inflation als richtige Politik herausstellt.

Baustellen-Ampel: Krieg, Krise und KonflikteNoch keine deutsche Regierung nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 musste eine solche Krise bewältigen.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beeinflusst das politische Handeln der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP auf fast allen Ebenen und stellt die Regierung im Herbst vor zahlreiche Probleme und schwere Entscheidungen.

Die zentrale Frage: Wie kann man die Belastungen durch die Folgen des Krieges für die Bevölkerung und die Wirtschaft so begrenzen, dass Deutschland nicht in eine tiefe ökonomische und gesellschaftliche Krise rutscht. Die Parameter sind äußerst ungünstig: Ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen. Die Energiepreise explodieren. Die Inflation strebt der 10-Prozent-Grenze zu. Unser Wohlstand ist bedroht. In den nächsten Tagen wollen wir mit unseren Beiträgen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Baustellen der Regierung und die bisher bekannten Lösungsansätze vorstellen. Die Entwicklung ist allerdings so dynamisch, dass wir sicher den ein oder anderen Beitrag schnell überarbeiten und der aktuellen Lage anpassen werden müssen.

Die Baustellen-Ampel: Alle Artikel der Serie

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 06. September 2022 | 12:00 Uhr

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