Leistungen für Geflüchtete Wie Aktionsbündnisse das Bargeld-Limit der Bezahlkarten aushebeln und warum
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24. November 2024, 14:57 Uhr
50 Euro sind angesichts der aktuellen Preise schnell weg. Geflüchtete, die aufgrund ihres Asylstatus jetzt Bezahlkarten mit diesem Limit nutzen müssen, sollen damit aber im Monat auskommen. In den Bundesländern, die diese Karten eingeführt haben, formiert sich jetzt Widerstand. Aktionsbündnisse haben einen Weg gefunden, wie das Bargeld-Limit zu umgehen ist.
- Das Bargeld-Limit der Bezahlkarte lässt sich durch den Kauf von Gutscheinen umgehen, die dann gegen Bargeld getauscht werden.
- Organisatoren der Tauschaktionen sagen, dass das Bargeld-Limit soziale Teilhabe verhindere und der Alltag mit 50 Euro Bargeld im Monat nicht zu bestreiten sei.
- Die Tauschaktionen sind nach aktueller Rechtslage legal.
Im April war klar, dass die Bezahlkarte für Geflüchtete kommt. Der Bundestag hatte sich auf eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage verständigt. Staatliche Leistungen für Asylbewerber sollen künftig vorrangig über eine Debitkarte und nicht in bar bereitgestellt werden. Wie viel Bargeld mit der Debitkarte abgehoben werden kann, blieb den Ländern überlassen.
Seitdem haben beispielsweise Bayern und Thüringen die Bezahlkarte flächendeckend eingeführt. In Sachsen-Anhalt sollen noch im November die ersten Bezahlkarten ausgegeben werden. Das Bargeldlimit liegt meist bei 50 Euro monatlich, Online-Überweisungen müssen von Sachbearbeitern freigegeben werden. Das politische Ziel der Begrenzung: verhindern, dass Geld an Schlepper oder Familie und Freunde im Ausland überwiesen wird.
Umgehen der Bezahlkarten: Bargeld gegen Supermarkt-Gutschein
Schon damals gab es heftige Kritik. Flüchtlingsinitiativen, aber auch Verbände und verschiedene Politiker und Politikerinnen, kritisierten die Bezahlkarte als diskriminierend. Doch bei Kritik ist es nicht geblieben. Dort wo die Bezahlkarte bereits eingesetzt wird, haben Aktionsbündnisse einen Weg gefunden, das Bargeldlimit zu umgehen.
Das funktioniert so: Die Geflüchteten kaufen bei einem Supermarkt, zum Beispiel Aldi oder Rewe, einen 50 Euro Gutschein mit ihrer Bezahlkarte. Diesen Gutschein können sie dann bei den Aktionsbündnissen gegen Bargeld tauschen. In Erfurt geht das beispielsweise in einem Café, das die Aktion unterstützt. In Bayern stellen auch Parteien ihre Büros zur Verfügung: In Regensburg gibt es Tauschaktionen in der Kreisgeschäftsstelle der Grünen, in München im Büro der Linken.
Die Organisatoren der Tauschaktionen sind für deren Umsetzung auf Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen. Wer sie unterstützen will, kann an den Tauschstellen vorbeikommen und die Gutscheine kaufen, die die Geflüchteten gegen Bargeld getauscht haben – und so neues Bargeld bereitstellen.
Alltag mit 50 Euro Bargeld im Monat "nicht zu bestreiten"
Aber warum das Bargeld-Limit der Bezahlkarte überhaupt unterlaufen? Matthias Weinzierl, ehrenamtlicher Aktivist bei "Offen München", dem Aktionsbündnis gegen die Bezahlkarte in Bayern, erklärte das bei MDR AKTUELL so: "50 Euro Bargeld sind besonders in ländlichen Gegenden viel zu wenig, um den Alltag bestreiten. Die Menschen können dann an bestimmten, meist kostengünstigeren Stellen, gar nicht einkaufen – Flohmärkte, kleinere Läden, ebay Kleinanzeigen." Auch für Schulmaterialien oder -ausflüge müsse man das Geld meist in bar bereitstellen.
Vanessa Burmeister von der Seebrücke Erfurt, die in Thüringen die Tauschaktionen mitorganisiert, betonte bei MDR AKTUELL, dass mit der Bezahlkarte eine starke Stigmatisierung einhergehe und ein Ausschluss von sozialer Teilhabe: "Der Eintritt fürs Schwimmbad, die Fahrt zum Sport – das sind keine Kleinigkeiten, das ist doch das, was das Leben letztlich ausmacht."
Einfach leben, das mache die Bezahlkarte unmöglich, sagt Burmeister. "Stell dir vor, du sitzt in Worbis-Leinefelde in der Gemeinschaftsunterkunft, abgeschnitten von allem. Göttingen ist näher dran als Erfurt, aber da kannst du nicht einkaufen, weil die Bezahlkarte nur in deinem Landkreis funktioniert. Du sollst also nach Erfurt fahren, was du dir aber nicht leisten kannst." Das sei doch keinem zu erklären.
Die Diskriminierungskarte ist und bleibt symbolpolitische Ausgrenzung von Geflüchteten.
Auch in Sachsen-Anhalt, das jetzt mit der Einführung der Bezahlkarte begonnen hat, rief der Flüchtlingsrat dazu auf, "sich solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen" und Umtauschbörsen zu unterstützen. Sprecherin Martina Fuchs sagte dazu: "Die Diskriminierungskarte ist und bleibt symbolpolitische Ausgrenzung von Geflüchteten". Sie verweist darauf, dass es keine belastbaren Zahlen zu Auslandsüberweisungen von Asylsuchenden und keine Hinweise auf einen Missbrauch der Sozialleistungen durch diese gebe.
Umtauschaktionen sind legal – noch
Der Aufruf des Flüchtlingsrates in Sachsen-Anhalt, aber auch die bestehenden Aktionen in Thüringen und Bayern haben eine Debatte um ihre Rechtmäßigkeit losgetreten. Rechtlich kann gegen die Tauschaktionen aber derzeit nicht vorgegangen werden. So erklärte das Innenministerium in Bayern auf Anfrage von MDR AKTUELL, man könne die Tauschaktionen nicht verhindern. Eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit liege nach der aktuellen Rechtslage nicht vor.
Das Innenministerium Bayern weist aber auch darauf hin, dass der Bund eine Rechtsgrundlage schaffen könne, um gegen die Tauschaktionen vorzugehen. Sprecherin Anna-Magdalena Haßkerl erklärte, vor den Neuwahlen erscheine eine entsprechende Gesetzesinitiative des Freistaats Bayern nicht zielführend. Sie zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass die Gesetzeslage nach den Neuwahlen angepasst werden könne – sofern dann noch erforderlich.
In Thüringen prüft das Innenministerium derzeit, ob gegen die Tauschaktionen vorgegangen werden kann. In Sachsen-Anhalt erklärte Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) der Flüchtlingsrat fordere nicht zu einer Straftat oder zu einem rechtswidrigen Handeln auf. Einen Bezug zu Fördermitteln herzustellen, nur weil der Umgang mit der Bezahlkarte nicht passe, sei falsch. Zuvor hatte die CDU-Landtagsabgeordnete Kerstin Godenrath der Nachrichtenagentur dpa gesagt, vom Land geförderte Vereine dürften Verfahrensweisen des Staates nicht bewusst unterlaufen.
Auch Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang sagte, sie gehe davon aus, dass die Landesregierung und auch der Landtag von Sachsen-Anhalt keine Projekte unterstütze, die womöglich in diese Richtung gehen. Der innenpolitische Sprecher der Grünen in Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, betonte aber, wer Geld vom Land bekomme, müsse nicht Regierungspolitik vertreten. Eine Bezahlkarte sei grundsätzlich sinnvoll, wenn Menschen damit unbürokratisch geholfen werde. In Sachsen-Anhalt aber sei sie ein "Gängelungsinstrument".
Söder sollte dafür sorgen, dass Geflüchtete hier schnell arbeiten können und die Bezahlkarte gar nicht brauchen.
Der Landesverband der Grünen in Bayern erklärte auf Anfrage von MDR AKTUELL: Mit der Bezahlkarte für Geflüchtete haben man in der Bundesregierung für Klarheit und mehr Rechtssicherheit für die Länder gesorgt. Der Weg von Ministerpräsident Markus Söder sei jedoch realitätsfremd. Mit 50 Euro Bargeld pro Monat komme man besonders auf dem Land und bei den aktuellen Preisen nicht weit. "Söder sollte dafür sorgen, dass Geflüchtete hier schnell arbeiten können und die Bezahlkarte gar nicht brauchen", so Sprecherin Laura Heiser.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | Land um Halb | 22. November 2024 | 13:30 Uhr