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Parlamentarische SommerpauseErste Bilanz der Ampel-Regierung – noch viele Versprechen offen

01. August 2022, 17:41 Uhr

Seit Montag befindet sich das politische Berlin in der parlamentarischen Sommerpause. Nur einige Versprechen aus dem Koalitionsvertrag sind bislang umgesetzt. Eine Bilanz der ersten Ampelphase zeigt, dass es dafür mehrere Gründe gibt.

"Mir fehlt die Fantasie", sagt FDP-Chef Christian Lindner vor der Bundestagswahl, als er nach einem Bündnis mit SPD und Grünen befragt wird. Was folgt ist ein Selfie und sieben Monate gemeinsames Regieren. In dieser Zeit sind die Ampelpartner nicht bei all ihren Vorhaben so schnell vorangekommen, wie es sich der ein oder andere wünschen mag.

Von den Versprechen im Koalitionsvertrag ist erst ein Bruchteil umgesetzt. Ein Grund dafür ist der Krieg in der Ukraine. Er zwingt Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Regierung dazu, neu zu denken oder umzuplanen. Allerdings zeigt sich auch immer wieder, welchen Einfluss der kleinste Koalitionspartner auf das Regierungshandeln hat. Zudem sind einige Ministerinnen und Minister im Kabinett Scholz bislang kaum in Erscheinung getreten.

Corona und die Ampel

Auf Gesundheitsminister Karl Lauterbach trifft dieses Urteil definitiv nicht zu. Er prägt das Bild der Ampel am Anfang – auch wenn er zunächst erst noch die Balance zwischen Auftritten in Talk-Shows und ministerialen Pressekonferenzen finden muss. Der Sozialdemokrat setzt gemeinsam mit dem Bundeskanzler einen Corona-Expertenrat ein, der die Bundesregierung bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beraten soll. Zudem ist er bemüht, die Impfkampagne voranzutreiben und einen bestmöglichen Schutz vor Ansteckungen zu organisieren.

Allerdings hat er mit Justizminister Marco Buschmann und seiner FDP-Fraktion starke Gegenspieler im eigenen Lager. Zwar sind die Liberalen der kleinste Koalitionspartner in der Ampel, dennoch gelingt es ihnen, sich beim Streit um die Corona-Regeln immer wieder durchzusetzen. Am Ende gibt es keine allgemeine Impfpflicht und sind viele einstmals harte Einschränkungen im Infektionsschutzgesetz gestrichen.

Abgesehen vom Tagesgeschäft, hat Lauterbach bei den großen Vorhaben noch einiges an Arbeit vor sich. Für das kommende Jahr ist eine Krankenhausreform geplant, für die eine Kommission bereits erste Vorschläge erarbeitet hat. Wann das geplante Heilberufegesetz kommt, ist hingegen noch offen. Ebenfalls noch nicht umgesetzt, aber zumindest schon angekündigt, ist das Gesetz zur Pflegepersonalbemessung. 

Mindestlohnerhöhung hilft im Osten

Weitaus weniger auffällig agiert Arbeitsminister Hubertus Heil. Auch er hat noch ein großes Ampelprojekt vor sich: Die Einführung eines Bürgergeldes als Nachfolger von Hartz IV. Der SPD-Mann hat er allerdings ein paar Punkte aus dem Koalitionsvertrag auch schon abarbeiten können.

Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist beschlossen und gilt ab Oktober. Das wird besonders vielen Menschen in Ostdeutschland zugutekommen. Hier arbeiten 30 Prozent im Niedriglohnsektor. Im Westen sind es nur 16 Prozent. Zudem besteht bei Olaf Scholz die Hoffnung, dass ein höherer Mindestlohn auch bei Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einem Gehaltsplus führt, die knapp darüber liegen, damit Lohnabstände erhalten bleiben. Dass es so kommt, muss sich aber erst noch zeigen.

Im Zuge der Mindestlohnerhöhung wird ab Oktober auch die Verdienstgrenze für Minijobs und Midijobs angehoben. Erstere erhöht sich von 450 auf 520 Euro im Monat. Bei den Midijobs steigt sie von 1300 auf 1600 Euro. Hierfür hatte sich vor allem die FDP eingesetzt. Zum einen, damit auch Beschäftigte in diesen Bereichen von der Erhöhung des Mindestlohns profitieren, da sie effektiv mehr Geld im Portemonnaie haben werden. Zum anderen damit Mini- und Midijobs auch für Arbeitgeber attraktiv bleiben, da die Anhebung des Mindestlohns andernfalls eine Stundenkürzung zur Folge gehabt hätte. Kritik daran kommt von den Gewerkschaften. Sie befürchten, dass Minijobs dadurch reguläre Arbeitsplätze verdrängen.

Ukraine-Krieg fordert zwei Grüne

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Ende Februar sind vor allem die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck gefordert.

Während die Außenministerin in diplomatischer Mission von Konferenz zu Konferenz reist, muss der Wirtschaftsminister Antworten auf Fragen zu steigenden Energiepreisen und einer stabilen Versorgung finden. Für letzteres hat die Bundesregierung noch kurz vor der Sommerpause ein ganzes Bündel an Maßnahmen durch das Parlament gepeitscht. Die Reform des Energiesicherungsgesetzes gibt dem Staat unter anderem die Möglichkeit in finanzielle Not geratene Energieversorger zu unterstützen und Vorgaben zum Energiesparen zu machen. Zudem gibt es nun ein Gesetz zur Bereithaltung von Kohlekraftwerken als Ersatz für Anlagen, die Gas zur Stromerzeugung nutzen. Habeck treibt zudem den Bau von LNG-Terminals zur Versorgung mit Flüssiggas voran.

Von der Prominenz ihrer beiden Minister profitieren die Grünen als Ganzes nicht nur in den Umfragen. Auch die Hinzugewinne bei den letzten Landtagswahlen lassen sich zum Teil darauf zurückführen. Zudem befördert die möglichen Unsicherheiten bei der Energieversorgung und die hohen Preise ein zentrales Ziel der Grünen: Die Energiewende. Gemeinsam mit Umweltministerin Steffi Lemke und Bauministerin Klara Geywitz hat Habeck hierfür ein Gesetzespaket erarbeiten lassen. Damit soll unter anderem die Planung von Windkraftanlagen beschleunigt und für ihren Bau zwei Prozent der Bundesfläche vorgesehen werden. So soll unter anderem erreicht werden, dass bis 2030 mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen.

Dieses Ziel wird zwar innerhalb der Koalition bislang nicht infrage gestellt, aber es mehreren sich die Stimmen im FDP-Lager, die sich auch für eine Weiternutzung der Kernenergie aussprechen. Eine Idee, die die grünen Minister Lemke und Habeck kategorisch ablehnen. Geht es nach ihnen, gehen Ende des Jahres die letzten drei AKWs in Deutschland vom Netz.

Keine Steuererhöhungen und Rückkehr zur Schuldenbremse

Auch finanzpolitisch hat die Ampel bislang Wort gehalten. Trotz aller Krisen kommen SPD, Grüne und FDP bislang ohne Steuerhöhungen aus.

Finanzminister Christian Lindner ist es im Gegenteil sogar gelungen, steuerliche Entlastungen zu ermöglichen. So hat er wegen der hohen Energiepreise den Grundfreibetrag bei der Einkommenssteuer, den Arbeitnehmerpauschbetrag und die Pendlerpauschale angehoben. Die Energiesteuer für Kraftstoffe ist für drei Monate abgesenkt. Die Opposition wirft dem FDP-Politiker allerdings Taschenspielertricks vor. So sind mehrere Maßnahmen zur Abfederung der Auswirkungen des Ukrainekrieges in einem Ergänzungshaushalt und nicht im regulären Haushalt geregelt.

Das gilt auch für das Sondervermögen Bundeswehr, damit die 100 Milliarden Euro Zusatzinvestitionen nicht unter die Schuldenbremse fallen. Diese will der Finanzminister im kommenden Jahr wieder einhalten. Vor allem linke SPD-Vertreter wie Parteichefin Saskia Esken oder Generalsekretär Kevin Kühnert stellen das jedoch offen infrage. Zudem gibt es bei SPD und Grünen zahlreiche Befürworter einer Übergewinnsteuer, wogegen sich aber die FDP versperrt.

Weniger prominente Regierungsgesichter

Innenministerin Nancy Faser hat zuletzt das erste Migrationspaket der Ampel vorgestellt, dass Einwanderung erleichtern und dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll. Es ist das erste große Reformprojekt aus dem Haus der SPD-Politikerin. Bislang kaum oder wenig in Erscheinung getreten ist Bauministerin Geywitz. Allerdings steht die Sozialdemokratin vor der großen Herausforderung zunächst ein neues Ministerium aufbauen zu müssen. Ihr Ressort ist in früheren Regierungen Teil des Bundesinnenministeriums gewesen.

Auch die grüne Umweltministerin Lemke und ihr Parteifreund Cem Özdemir, der den Bereich Landwirtschaft verantwortet, haben bislang noch nicht so viel auf der Habenseite vorzuweisen. Das gilt auch für die übrigen beiden Minister von der FDP, Bettina Stark-Watzinger und Volker Wissing. Familienministerin Lisa Paus, die sich vor allem um die Kindergrundsicherung kümmern soll, ist ebenfalls mit ihren Themen bislang nicht viel durchgedrungen. Allerdings ist die SPD-Frau – nach dem Rücktritt von Anne Spiegel – erst seit etwas mehr als zwei Monaten im Amt.

Vom Zauderer zum Getriebenen

Bleibt noch der Chef im Haus: Bundeskanzler Scholz. Anfangs noch für seine ruhige und ausgleichende Art gelobt, zieht sein Kommunikationsstil mehr und mehr Kritik auf sich. Auf Fragen von Journalisten antwortet er einsilbig oder schmallippig, was ihn zum Teil arrogant oder genervt erscheinen lässt. Mit der eigenen Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine zaudert der Kanzler lange, was auch für Kritik aus den Reihen der Koalitionspartner sorgt.

Mittlerweile werden die Rufe aus seiner eigenen Partei lauter, wegen der steigenden Energiepreise und der hohen Inflation ein drittes Entlastungspaket für die Bürger zu beschließen. Bislang ignoriert Scholz derartige Forderungen jedoch, wohlwissend, dass Verhandlungen darüber mit der FDP schwierig werden. Finanzminister Lindner hat allzu großen Erwartungen zumindest schon eine Absage erteilt.

So leuchten die Farben der Ampel je nach Alltagsgeschäft und Reformvorhaben mal heller und mal dunkler. Die gemeinnützige Internetplattform "Frag den Staat" bewertet zwei Prozent der insgesamt 255 Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag als umgesetzt. Ein Prozent ist teilweise umgesetzt und 12 Prozent sind begonnen worden. Für die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause wartet also noch einiges an Arbeit auf SPD, Grüne und FDP.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 11. Juli 2022 | 19:30 Uhr

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