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Unter der Lupe - Die politische KolumneMehr Show als Debatte? Wie die Migrationskrise die Ampel herausfordert

23. September 2023, 05:00 Uhr

Flucht und Vertreibung werden einmal mehr zur Nagelprobe für die Bundesregierung. Viele Kommunen sind überlastet. Der Aufschrei ist groß. Wirksame Entlastung noch nicht in Sicht, vor Ort nicht spürbar. Im Bundestag wurde das Thema zuletzt heftig diskutiert.

Was für ein Theater, eine schöne Showdebatte. Die Opposition treibt die Ampel vor sich her. Und die wiederum will sich so gar nicht treiben lassen. Vieles, was gestern im Parlament gesagt wurde, dürfte den überlasteten Kommunen im Land wenig helfen. Da gab es mehr Wahlkampfrhetorik, mehr politische Seitenhiebe als wirkliche Hilfe für die Bürgermeister vor Ort.

Traumabewältigung bei der Union

Die Union steht bei dem Thema besonders unter Druck. Sie stellt viele Bürgermeister und Landräte. Von der Basis bekommt auch die Parteispitze die ungeschminkte Wahrheit zu hören. Erinnerungen werden wach. Wieder werden Unterkünfte gesucht. Wieder macht sich Hilflosigkeit breit. Für viele in der CDU ist es das politische Trauma der Merkel-Ära.

Der Kontrollverlust an den deutschen Außengrenzen hat die AfD stark gemacht und am Ende die Union die Macht gekostet. Dazu kommt jetzt noch die harte Oppositionsbank im Bundestag. Zum Zusehen verdammt. Da liegen in der Union die Nerven blank. "2015 darf sich nicht wiederholen" – das hatte sich die CDU in der Fehlernachlese auf die Fahnen geschrieben. Jetzt muss sie zusehen, wie die Ampel agiert.

Droht wieder ein Kontrollverlust?

Die Bundesinnenministerin brüstet sich mit dem ausgehandelten EU-Kompromiss. Endlich gibt es die Bereitschaft, Menschen auf der Flucht innerhalb der Europäischen Union besser zu verteilen. In der Tat ist da der SPD etwas gelungen, was der Merkel-Regierung nicht gelungen ist.

Dennoch: An den europäischen Außengrenzen holt die Ampel die Realität wieder ein. Die Szenen an den italienischen Küsten wiederholen sich. Wieder droht ein Kontrollverlust. Das passt so gar nicht zur fast schon demonstrativen Gelassenheit der Ministerin in der Debatte gestern. Der Aufschrei von der Basis kommt auch von Sozialdemokraten und Grünen, von Kommunalvertretern, die sich überfordert und allein gelassen fühlen.

Uneinigkeit in der Ampel

Und die Liberalen machen eine Rolle rückwärts. Erst stimmen sie in den Tenor der Union ein, mehr Sach- statt Geldleistungen. Das war Anfang der Woche. Gestern tritt FDP-Fraktionsvize Kuhle im Parlament den verbalen Rückzug an. Kein Schulterschluss mit der Union – zumindest nicht im Parlament. Der Versuch der Union, die Liberalen bei dieser Debatte auf ihre Seite zu ziehen, missglückt.

Einigkeit in der Ampel heißt das aber noch lange nicht. Wolfgang Kubicki stichelt dennoch in Interviews gegen die liberale Flüchtlingspolitik der Grünen. Der liberale Vizepräsident des Deutschen Bundestages würde da lieber einen konservativeren Kurs fahren. Teile von FDP und Grünen trennen auch bei diesem Thema Welten.

Was macht der Kanzler?

Öffentlich erstmal nichts. Bei der Debatte war Scholz gar nicht anwesend. Schnell werden auch deshalb Rufe nach mehr Führung laut. Der Kanzler solle die Migrationsfrage zur Chefsache erklären. Wegducken wird nicht funktionieren. Dafür ist der Aufschrei von Bundespolizei und Kommunen zu laut und kaum noch zu überhören.

Dabei bräuchte es gerade jetzt, einen echten Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Einen Deutschlandpakt, den Scholz selbst vorgeschlagen hat, der sich nicht nur um die Infrastruktur in den Kommunen kümmert, sondern auch um die drängende Migrationsfrage. Es liegt jetzt in den Händen des Kanzlers, diesen Pakt auch mit Leben zu füllen und die Bühne nicht Populisten zu überlassen.

So gehen Länder und Kommunen mit den steigenden Flüchtlingszahlen um

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 22. September 2023 | 17:08 Uhr