Rede zur Lage der Nation Steinmeier stimmt auf "raue Jahre" ein und will besondere Unterstützung für Ostdeutschland

28. Oktober 2022, 20:54 Uhr

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland auf eine schwierige Zukunft als Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eingestimmt. Dabei drängt er vor allem auf umfassende Unterstützung des Ostens.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland auf eine schwierige Zukunft als Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eingestimmt. "Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu", sagte er am Freitag in einer Grundsatzrede in Berlin. Die Friedensdividende sei aufgezehrt, denn mit Beginn des Kriegs in der Ukraine habe es einen Epochenbruch gegeben. Zugleich beschwor Steinmeier den "Widerstandsgeist" der Deutschen.

Tiefste Krise seit Wiedervereinigung

Das Land befinde sich in der tiefsten Krise seit der Wiedervereinigung, sagte Steinmeier. Man müsse nun den Blick schärfen, für das, was in dieser Situation verlangt sei. "Dann müssen wir dieser neuen Zeit nicht angstvoll oder gar wehrlos entgegensehen", sagt Steinmeier im Schloss Bellevue.

Wir erfahren die tiefste Krise, die unser wiedervereintes Deutschland erlebt.

Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident

Steinmeier machte Russlands Präsidenten Wladimir Putin persönlich verantwortlich. "In seiner imperialen Besessenheit hat der russische Präsident das Völkerrecht gebrochen, Grenzen infrage gestellt, Landraub begangen." Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine habe die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt und stürzte die Welt in eine neue Phase der Konfrontation. Russlands Angriffskrieg habe den Traum des früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow vom "gemeinsamen Haus Europa" zertrümmert.

Des Weiteren verteidigte Steinmeier die Sanktionen gegen Russland. Er werde häufiger gefragt, warum Deutschland die Lasten für ein anderes Land mittragen sollte. Er verstehe die Ängste, die hinter dieser Frage stehen, bekräftigt aber: "Was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen als wäre nichts geschehen?" Es sei im deutschen Interesse, sich mit den Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenzustemmen. Man wolle sich damit selbst schützen und die Verwundbarkeit Deutschlands reduzieren.

Entlastungen: Politik kann keine Wunder vollbringen

Die Bundesrepublik könne in diesen Jahren auf ihre Kraft und Stärke bauen. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen und einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft, sagte Steinmeier.

Andererseits stimmte der Bundespräsident auf schwierige Jahre und weitere Einschränkungen ein. Jeder müsse dazu beitragen, doch er appellierte zugleich an die Wohlhabenden in Deutschland: "Sie müssen jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen überhaupt stemmen zu können." Er lobt die beschlossenen Entlastungspakete, erinnert aber auch eine gerechte Verteilung, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Steinmeier ermahnte die Politik: Finanzielle Unterstützung müsse jetzt rasch bei den Betroffenen ankommen. Gleichzeitig betonte er, dass Politik keine Wunder vollbringen könne.

Klimaschutz darf nicht in Hintergrund geraten

Beim Thema Energiekrise spricht der Bundespräsident auch den Klimawandel an und betont, dass die Debatte darüber sowie die Energiewende nicht in den Hintergrund geraten dürften, denn klar sei: "Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause." Jeder einzelne müsse seinen Beitrag leisten, Emissionen einzudämmen.

Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause.

Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident

Steinmeier sieht in den "neuen Chancen", die die Energiewende bringt – weg von fossiler Industrie – neben Herausforderungen auch "neuen Wohlstand" für das Land. Notwendig dafür sei internationale Zusammenarbeit, betont der Bundespräsident. Einseitige Abhängigkeiten müssten zwar verringert werden, das bedeute jedoch keine geringere Vernetzung mit der Welt, sagte er weiter. "Deshalb rate ich uns: Verlernen wir nach dem Epochenbruch nicht all das, was deutsche Außenpolitik stark gemacht hat", appelliert Steinmeier.

Wirtschaftsstarken Osten auch in Krise stärken

Viele Existenzen sind bereits der Energiekrise zum Opfer gefallen, ähnlich wie für viele Ostdeutsche nach der Wende, vergleicht Steinmeier und fragt: "Wieviel von dieser Erfahrung, von dieser Angst ist im Westen wirklich angekommen?" Er appelliert, "im Angesicht einer Krise, die den Osten erneut härter trifft", es diesmal besser zu machen, "weil auch 32 Jahre nach der Wiedervereinigung die Energieversorgung schwieriger, die Einkommen niedriger und die Ersparnisse geringer sind. Zu stärken, was uns verbindet, bedeutet heute dafür zu sorgen, dass der Osten nicht erneut hinten runterfällt."

Gleichzeitig verweist der Bundespräsident auf die Wirtschaftskraft des Ostens. Er wisse "wie viel innovative Technologien auf Weltniveau aus Ostdeutschland kommen dank bester Universitäten und Forschungsinstitute." Dabei erwähnt er das Jenaer Unternehmen Carl Zeiss Microscopin, welches gerade zum zweiten Mal mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet worden ist. "Ersehnte Ansiedlungen von Halbleiterproduktion finden in Sachsen und demnächst auch in Sachsen-Anhalt statt. Führende Unternehmen der Elektromobilität finden auch in Brandenburg ihren Platz." Das alles seien mehr als ermutigende Einzelfälle.

Konfliktfähigkeit ausbauen

Zu den Stärken, die Deutschland bislang geholfen hätten, müsse aber etwas hinzukommen, betonte der Bundespräsident. "Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung." Nötig sei keine Kriegsmentalität, aber man brauche einen Widerstandsgeist und Widerstandskraft. Dazu gehöre zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr. Deutschland sei das starke Land in der Mitte Europas und stehe in der Pflicht, seinen Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten.

AFP,Reuters,epd,dpa(amu)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. Oktober 2022 | 11:00 Uhr

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