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Unter der Lupe – die politische KolumneDer Gipfel der Entfremdung

02. November 2024, 05:00 Uhr

Der Bundesregierung beim Arbeiten zuzusehen, tut zunehmend weh. Vorbei scheinen die Tage, in denen sich die drei Koalitionspartner zusammenrauften, um Kompromisse zu schmieden, meint MDR-Hauptstadtkorrespondent Torben Lehning. Die einstige Professionalität ist der Profilierung gewichen. Statt Gipfeln und Gegengipfeln braucht es jetzt eine Richtungsentscheidung, die das Land nach vorne bringen kann.

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Hohe Energiekosten, eine vor sich hin bröckelnde Infrastruktur, Inflationsnachwehen und eine immer stärker werdende internationale Konkurrenz sind nur ein paar der Gründe. Noch dazu kommt der nicht zu vernachlässigende Faktor, dass wir fortwährend darüber reden, wie schlecht es uns geht, und dadurch private wie betriebliche Investitionen immer weiter nach hinten verschoben werden.

Die Stimmung ist schlechter als die Zahlen

Wir denken, es geht uns und unserer Wirtschaft schlecht, dabei ist die Stimmung deutlich schlechter als die Zahlen. Eigentlich gibt es Vollbeschäftigung und viele Unternehmen fahren nach wie vor große Gewinne ein. Deutschland erlebt eine Stagnation – keine Rezession. Aber Wirtschaft ist Psychologie und von dieser lassen wir uns leiten.

Betriebe und Privathaushalte geben in der Hoffnung auf bessere Zeiten weniger aus und plötzlich geht es uns tatsächlich immer schlechter. Ein Negativ-Kreislauf, der durchbrochen werden muss. Aber wie? 

Von Gipfel zu Gipfel

Wenn ich mal nicht mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis. Ein schönes, geläufiges Sprichwort, das die große Nähe von Brainstorming zu Planlosigkeit verbildlicht. Es gibt aber auch andere Gründe, einen Arbeitskreis zu gründen. Da wären etwa: Beratungs- und Abstimmungsbedarf, aber auch Zeitschinderei, Profilierung und Aktionismus. Was wohl gilt, wenn die Koalitionäre der Bundesregierung seit mehreren Wochen immer mehr in Alleingängen das Rampenlicht suchen, anstatt sich intern abzusprechen?

Erst veröffentlicht Wirtschaftsminister Robert Habeck Mitte Oktober ein unabgestimmtes Impulspapier. Die Idee: Staatliche Milliardensubventionen für Investitionen des Mittelstandes und der Industrie. Kurze Zeit später, am Dienstagnachmittag, lädt Kanzler Olaf Scholz zu einem Gipfel mit Industrievertretern und Gewerkschaften, um zum einen "zuzuhören" und wohl auch für die SPD-Idee eines Industriestrompreises zu trommeln.

Die FDP fühlt sich außen vor und veranstaltet noch kurzerhand am Dienstagmittag einen Konkurrenzgipfel mit Arbeitgeberverbänden, um ebenso prominent ihre Idee der Steuersenkungen zu platzieren. Kurz vorm Wochenende wäscht die Partei dann nochmal mit einem 18-seitigen Papier nach, in dem nichts weniger als eine Abkehr von der gemeinsam verabredeten Regierungspolitik der vergangenen drei Jahre gefordert wird.

Neue Gipfel bahnen sich an

Anstatt ihr Gebaren als Peinlichkeit zu den Akten zu legen, wollen jetzt sowohl Finanzminister Christian Lindner als auch der Kanzler erneut zu getrennten Gipfeln einladen. Die Gäste sollen wieder dieselben sein, und die Koalitionspartner dürfen sich das Ganze im Fernsehen anschauen.

Um es positiv zu formulieren: Alle drei Koalitionäre wollen noch mitarbeiten. Nur eben nicht mit ihren jeweiligen Partnern. Allen Beobachtern bleibt eine pompöse Ausstellung von Maximalforderungen im weiten Rund des Polit-Theaters.

Es braucht Richtungsentscheidungen

Brauchte die Bundesregierung diese Gipfeltreffen? Nein. Der Kontakt zu den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften besteht ohnehin. Deren Forderungen liegen auf dem Tisch. Sowie auch die Ideen der Ampel-Koalitionäre. Was es jetzt braucht, sind politische Mehrheiten, Richtungsentscheidungen. Diese können bei drei Koalitionspartnern nur aus klugen Kompromissen bestehen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner (von links nach rechts) Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Kompromisse findet man nicht im Scheinwerferlicht an der Seite von säuberlich ausgewählten Lobby-Vertretern, sondern am Kabinettstisch. Genau dort sollten sich die Ideengeber von rot-grün-gelb schleunigst einfinden, wenn es mit dem Haushalt 2025 bis Ende November noch etwas werden soll.

Jedweder Impuls, den die Regierungsmitglieder der deutschen Wirtschaft mitgeben wollen, sollte sich bereits im kommenden Haushaltsentwurf abzeichnen. Gibt es die dafür notwendigen Kompromisse nicht, braucht es eine neue Regierung – die steuert, anstatt zu simulieren.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. November 2024 | 10:05 Uhr

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