Bundesregierung erlaubt Ukraine Waffeneinsatz gegen Ziele in Russland.
Die Bundesregierung erlaubt Ukraine Einsatz deutscher Waffen gegen militärische Ziele in Russland. Bildrechte: IMAGO/Sven Simon

Ukraine-Krieg Bundesregierung erlaubt Einsatz deutscher Waffen gegen militärische Ziele in Russland

31. Mai 2024, 13:51 Uhr

Die Bundesregierung gibt der Ukraine bei der Verteidigung der Millionenstadt Charkiw gegen russische Angriffe freie Hand. Wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitteilte, dürfen sich die ukrainischen Streitkräfte gegen den Beschuss aus dem russischen Grenzgebiet auch mit aus Deutschland gelieferten Waffen wehren. Russland droht nach der Lockerung der Einsatz-Beschränkungen für westliche Waffen im Ukraine-Krieg erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Die Nutzung aus Deutschland gelieferter Waffen für Angriffe auf Ziele in Russland ist für die Ukraine lange tabu gewesen. Nun gibt es angesichts der aktuellen Entwicklungen an der Front einen Kurswechsel. Die Bundesregierung hat der Ukraine nun die Erlaubnis gegeben, von Deutschland gelieferte Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen. Das teilte Sprecher Steffen Hebestreit in Berlin mit. "In den letzten Wochen hat Russlands insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt", erklärte er. Dazu habe sich die Bundesregierung mit den engsten Verbündeten beraten. Gemeinsam sei man der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht habe, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Dazu könne die Ukraine auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von Deutschland.

Unklar welche Waffen eingesetzt werden können

Welche Waffen aus Deutschland dafür eingesetzt werden könnten, teilte Hebestreit nicht mit. Infrage kämen aufgrund ihrer Reichweite beispielsweise die Panzerhaubitze 2000 und der Raketenwerfer vom Typ Mars II. Russland hat in der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine eine dritte Front eröffnet und beschießt die grenznahe Stadt regelmäßig von russischem Staatsgebiet aus.

USA erlauben ebenfalls Einsatz von US-Waffen zur Verteidigung

Kurz vor der Bundesregierung hatte bereits die US-Regierung bestätigt, dass sie der Ukraine die Erlaubnis erteilt hat, amerikanische Waffen in begrenztem Umfang gegen militärische Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen. Dies gelte aber ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, sagte ein US-Regierungsvertreter. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, "die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen". Davon abgesehen bleibe der Einsatz von US-Waffen auf Ziele in Russland aber verboten.

Auf Ebene der Nationalen Sicherheitsberater hatte es zu Fragen des Einsatzes westlicher Waffen am 29. und 30. Mai intensive Beratungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegeben.

Angst vor Eskalation

Ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte, wird unter Nato-Staaten kontrovers diskutiert. Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver bekämpfen zu können. Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bislang in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine. Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe von bestimmten Waffensystemen nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass der Konflikt mit Russland weiter eskalieren und die Nato zur Kriegspartei werden könnte.

Pistorius: Waffen-Entscheidung für Ukraine eine strategische

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Entscheidung der Bundesregierung als "strategische Anpassung an sich verändernde Lagebilder" begründet. Diese Entscheidung sei richtig. Sie sei das, was man seit Beginn des Krieges immer gemacht habe. "Wir haben an die Lage angepasst, jeweils unsere Strategie angepasst", sagte der SPD-Politiker bei einem Treffen mit seinem moldauischen Kollegen Anatolie Nosatii in der Hauptstadt Chisinau.

Die Debatte um eine Lieferung von weitreichenden deutschen Marschflugkörpern vom Typ Taurus werde die Bundesregierung nach der aktuellen Entscheidung nicht wieder aufmachen, sagte Pistorius auf eine entsprechende Frage einer Journalistin. Eine Taurus-Debatte würde sich um Langstreckenwaffen drehen, die mehrere hundert Kilometer weit reichten, sagte der Minister. "Und da ist die Grenze nach wie vor die gleiche, auch nach den Einlassungen unserer Partner und uns selbst."

Die aktuellen Bekanntgaben der Partner und auch der Bundesregierung zum Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium seien sehr eindeutig, sagte Pistorius. Sie bezögen sich "insbesondere auf den Abwehrkampf um Charkiw herum, weil dort die Grenznähe besonders offensichtlich ist". Die von Deutschland gelieferten Waffensysteme könnten bei entsprechenden Einsätzen der Ukrainer eine Rolle spielen. Die aktuelle Entscheidung sei nach dem Völkerrecht erlaubt.

Russland warnt Westen – Möglicher Einsatz von Atomwaffen ist kein Bluff

Russland hat nach der Lockerung der Einsatz-Beschränkungen für westliche Waffen im Ukraine-Krieg erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Russland bluffe nicht, warnte Ex-Präsident Dmitri Medwedew mit Blick auf taktische Atomwaffen, die im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen für den Einsatz auf dem Gefechtsfeld gedacht sind und den Gegner nicht vollständig vernichten sollen. Der Konflikt könne sich zu einem totalen Krieg ausweiten, warnte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin.

Russland sei überzeugt, dass alle von der Ukraine eingesetzten Langstreckenwaffen unter der Kontrolle von Nato-Soldaten stehen würden, sagte Medwedew. Das sei keine militärische Unterstützung, das sei die Teilnahme an einem Krieg gegen uns. Die Feuerkraft der eingesetzten Nato-Waffen werde ständig gesteigert. "Deshalb kann heute niemand ausschließen, dass der Konflikt in sein Endstadium übergeht", erklärte er mit Blick auf Atomwaffen. Das russische Außenministerium erhob Vorwürfe, der Westen habe von Anfang an den Einsatz seiner Waffen gegen Ziele in Russland gewollt.

Baerbock und Scholz deuten Schritt schon an

Außenministerin Annalena Baerbock sprach sich bereits am Freitagmorgen indirekt dafür aus, dass die Ukraine zur Verteidigung von Charkiw auch mit westlichen Waffen russische Stellungen hinter der Grenze angreifen kann. Die Ukraine müsse alles tun, um seine Bürgerinnen und Bürger in Charkiw zu verteidigen, sagte Baerbock vor Beratungen der Nato-Außenminister in Prag. Niemand habe die Absicht, Russland anzugreifen, aber Russland greife die Ukraine permanent illegal an. Im Übrigen sei es nicht sinnvoll, jedes Detail der Kriegsführung in der Öffentlichkeit zu besprechen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Dienstag gesagt: "Die Ukraine hat völkerrechtlich alle Möglichkeiten für das, was sie tut." Er wies bei dem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch Medienberichte zurück, dass Deutschland dies für gelieferte Waffensysteme untersage. Entsprechende Erklärungen habe es niemals gegeben "und wird es auch nicht geben".

dpa, Reuters, AFP (das)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 31. Mai 2024 | 11:00 Uhr

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