Analyse | IntensivmedizinLauterbach laviert bei Gesetzentwurf zur Triage
Ein neuer Gesetzentwurf mit Triage-Regelungen ist auf viel Kritik gestoßen. Zu Beginn dieser Woche ruderte Gesundheitsminister Lauterbach zurück und stellte klar, dass etwa eine Beatmung von Covid-19-Patienten zugunsten anderer Patienten doch nicht wieder beendet werden darf. Doch wie geht es nun weiter? Karlsruhe macht Druck.
- Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht: Umsetzung unklar
- Zuteilungskritierien sind ein schwieriges Thema
- Der aktuelle Streitpunkt: Ex-Post-Triage
Kurz nachdem vergangene Woche ein neuer Gesetzentwurf zur Triage in Krankenhäusern in der Politik und der Presse zu kursieren begann, ist auch der nun schon wieder erledigt. Heftige Kritik gab es vor allem daran, dass ITS-Behandlungen auch hätten abgebrochen werden dürfen (Ex-Post-Triage), wenn Behandlungskapazitäten nicht für alle Patienten reichen.
So wurde im Entwurf etwa ein "erweitertes Mehraugenprinzip" formuliert, sollte es "eine Entscheidung über den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung zum Zweck der Zuteilung der Behandlungsressource" geben.
Am Montag ruderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dann zurück und stellte klar, dass dies ethisch nicht vertretbar sei. Wie und wann es weitergeht, blieb jedoch offen. Die "Ressortabstimmung" laufe, hieß es.
Unklare Federführung
Hintergrund der Entwufs: Das Bundesverfassungsgericht hatte verlangt, mögliche Triage-Benachteiligungen wegen Behinderungen eher schnell zu unterbinden. Das war am 16. Dezember 2021, als viele Krankenhäuser in Deutschland auf einem neuen Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie extrem belastet waren und allerorten über Triage diskutiert wurde.
Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden (Az.: 1 BvR 1541/20), der Gesetzgeber müsse für derartige Notfälle "wirksame Vorkehrungen" gegen Benachteiligungen wegen einer Behinderung treffen. Eine Frist wurde nicht gesetzt, der Bundesregierung aber aufgegeben, "unverzüglich" zu handeln.
Um das zu tun, soll nach bisher bekannten Entwürfen ein Paragraf 5c im Infektionsschutzgesetzes (IfSG) neu eingeführt werden. Das könnte aber bedeuten, dass Triage nur ermöglicht würde, wenn eine epidemische Lage festgestellt würde. Kritik an der Einordnung im Infektionsschutz kam etwa von Scarlett Jansen, Strafrechtlerin an der Uni Trier: Auch bei Engpässen von Behandlungskapazitäten, die nicht von einer Pandemie bedingt seien, müsse "Diskriminierung vorgebeugt und Rechtssicherheit geschaffen werden".
Ansonsten orientiere sich der Entwurf an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, so Jansen, indem er als Kriterium an die "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit" anknüpfe.
Die offenkundigen Probleme, einen in der regierenden Ampel-Koalition abgestimmten Entwurf zu finden, sind aber komplexer. Im Dezember hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) noch eine rasche Reaktion per Regierungsentwurf angekündigt. Dieser blieb dann am Ministerium des SPD-Kollegen Lauterbach hängen, der dabei aber über Bande spielt. So ist das jüngste 24-Seiten-Papier als "Formulierungshilfe" für die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP im Bundestag überschrieben. Sie sollen es also richten.
Doch die Grünen ziehen nicht mit. Ihre für Behindertenpolitik zuständige Abgeordnete Corinna Rüffer warnte: "Schwerkranke müssten im Krankenhaus permanent mit der Angst leben", ihre Lebenserhaltung könne "zugunsten einer anderen Person beendet" werden. Die kritisierte "Formulierungshilfe" wollte das Gesundheitsministerium so eigentlich auch weder kommentieren noch herausgeben, was ihre Verbreitung aber kaum verhindern konnte.
Schwierige Abwägungen
Komplex ist das Thema auch, weil Ärztinnen und Ärzte neben medizinischen auch verfassungs- und strafrechtliche Aspekte abwägen sollen. Gesetzliche Regelungen gibt es bisher nicht, nur die Triage-Empfehlungen der DIVI und einige andere Leitlinien. Diskutiert wurde in der Coronavirus-Pandemie aber auch, ob etwa der Impfstatus ein Kriterium sein könne.
Zudem hatte etwa der 83-jährige Verfassungsrechtler Christian Pestalozza noch im Januar erklärt, das Alter sei ein legitimes Triage-Kriterium, was das Bundesverfassungsgericht und andere Rechtsexperten aber ablehnen.
Nach Erläuterungen von Michael Kubiciel, Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Augsburg, hält Karlsruhe die DIVI-Empfehlungen zum Schutz von Behinderten für ungeeignet, weil mit Behinderungen einhergehende Erkrankungen als negativ für die Behandlungsaussichten bewertet werden könnten.
Das Gericht habe Erfolgsaussichten einer Therapie verstanden als "Wahrscheinlichkeit, die aktuelle Erkrankung zu überleben", schrieb Kubiciel. Das sei zulässig, weil es nicht auf einer Bewertung menschlichen Lebens basiere. Kein zulässiges Kriterium für das Gericht sei aber die "längerfristig erwartbare Überlebensdauer", denn da gehe es nicht um das Überleben einer akuten Erkrankung, sondern um die "Maximierung von Lebenszeit". Damit scheide laut Kubiciel "implizit" das Lebensalter als Kriterium aus.
Der aktuelle Streitpunkt: Ex-Post-Triage
Ex-Post-Triage meint den Abbruch bereits begonnener Behandlungen zugunsten anderer, noch nicht behandelter Patienten mit mutmaßlich aber höheren Überlebenschancen. Bei der Ex-Ante-Triage, dem Gegenstück, würde allein zwischen Patienten entschieden, die noch nicht behandelt werden.
Ex-Post-Triage ist ethisch nicht vertretbar und weder den Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten. Deshalb werden wir es auch nicht erlauben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 09. Mai 2022
Der Punkt könnte auch deshalb aktuell strittig geworden sein, weil das Bundesverfassungsgericht vor allem Vorgaben zum Schutz von behinderten Menschen machte, ohne sich zu Ex-Post- oder Ex-Ante-Triage zu äußern. So können sich Politiker und Experten darauf nun auch nicht stützen.
Ex-Post-Triage war aber wohl auch zwischen Bundesgesundheits- und Justizministerium umstritten. In einem Entwurf vom März, den nicht nur die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kritisierte, tauchte sie nicht auf. Sie soll aber – nach Medienberichten auf Drängen von Buschmann – in den Entwurf gelangt sein, wozu sich Buschmann jetzt noch nicht wieder äußerte.
Lauterbach kündigte nun jedoch an, dass es "in Kürze" eine neue "Formulierungshilfe" geben werde. Diese wäre dann der dritte Versuch einer Regelung seit dem Spruch aus Karlsruhe – vor einem halben Jahr.
Quellen: u.a. LTO, dpa, AFP, KNA
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 14. Februar 2022 | 08:00 Uhr