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Inzwischen sprechen viele auch vom "Gerechtigkeitsfonds" für die Betroffenen. Hier drängt die Zeit, weil immer mehr der betroffenen Rentner versterben. Bildrechte: imago images/photothek

Geld aus dem Härtefallfonds erst 2023?Wird die Hoffnung vieler Ostrentner erneut enttäuscht?

07. September 2020, 17:23 Uhr

Rund 500.000 Ostrentner warten seit Jahrzehnten auf die Anerkennung von Rentenansprüchen aus DDR-Zeiten. Nun scheint auch vor 2023 keine Lösung in Sicht - und wenn dann auch nur für einen kleinen Teil der Betroffenen.

von Wirtschaftsredakteur Frank Frenzel

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe, als am vergangenen Freitag kurz nach 10 Uhr im Tagungsraum "Alte Messe" des A/O-Hostels am Leipziger Hauptbahnhof der Sprecher des Runden Tisches, Dietmar Polster, den aktuellen Stand der Verhandlungen zum sogenannten Härtefallfonds für die noch offenen und zu regelnden ostdeutschen Rentenfragen referierte: Die erhoffte Lösung, dass alle der ca. 500.000 betroffenen Rentner, die nach eigenen Angaben der Runde Tisch vertritt, mit einer einmaligen Abfindungszahlung von bis zu 20.000 Euro rechnen könnten, scheint endgültig vom Tisch, so Polster. Den erhofften Gerechtigkeitsfonds wird es nicht geben.

98 Prozent gehen offenbar leer aus

Sofern überhaupt Geld fließt,  dann nur für sogenannte echte Härtefälle, für Rentner also, deren Einkommen unterhalb der Grundsicherung liegt. Das sind nach derzeitigem Stand ca. 811 Euro netto im Monat. Das würden die derzeitigen Pläne des für die Verhandlungen auch mit den Bundesländern federführenden Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vorsehen. Von einem Insider habe Dietmar Polster dabei erst am Vortag erfahren, dass selbst für diese zwei Prozent die erhofften Zahlungen frühestens ab 2023 erfolgen würden.

98 Prozent der betroffenen Rentner würden nach Berechnungen des Runden Tisches leer ausgehen – übrig blieben demnach etwa zwei Prozent oder 10.000 Ost-Rentner. Und die müssten sich noch weitere drei Jahre, bis 2023 gedulden.

Immer mehr Betroffene versterben

Viele der Anwesenden, die teils seit 25 oder gar 30 Jahren um ihre Rentenansprüche kämpfen, fühlen sich erneut vor dem Kopf gestoßen, hatten Sie doch tatsächlich auf einen Schlussstrich unter die leidige und für sie entwürdigende Ostrentendebatte gehofft. Entsprechend groß war die Enttäuschung, manche der Anwesenden hatten Tränen in den Augen. Viele warfen der Bundesregierung vor, das Ost-Rentenproblem biologisch lösen zu wollen.

Gerlinde Scheer aus Magdeburg, die den Verein der in der DDR geschiedenen Frauen leitet, sagte "Unseren  Verein gibt es seit 20 Jahren. Die Frauen sind alle Ende 70, Anfang 80. Ich bin diejenige, die die Mitgliederdatei macht. Ich kriege jeden Tag Berichte: gestorben, gestorben, gestorben."

Worum geht es beim sogenannten Härtefallfonds eigentlich?

30 Jahre nach der Wiedervereinigung kämpfen 17 verschiedene Berufs- und Personengruppen noch immer um Rentenansprüche, die ihnen aus ihrer Sicht infolge der Deutschen Einheit und der Überleitung des DDR-Rentenrechts ins Westrecht gekürzt oder nicht anerkannt wurden. Meist sind die fehlenden Beträge nicht hoch. Vielfach handelt es sich um nicht gewährte Zusatzrenten. Den Betroffenen geht es aber vor allem um eins: um die Anerkennung ihrer Lebensleistung.

Zehntausende DDR-Krankenschwestern verließen sich z.B. auf die Zusage, dass ihre harte Arbeit, für die sie Minilöhne erhielten, zumindest bei der Rente anerkannt wird - durch eine Art Zusatzrente. Bei den Mitarbeiten von Post und Reichbahn lief es ähnlich. Auch sie vertrauten auf eine kleine Zusatzrente. Ebenso Beschäftigte in Braunkohle-Schwelereien und Brikettfabriken, denen die DDR die Bergmannsrente, eine erhöhte gesetzliche Rente, versprach. Die höheren Renten wurden anfangs noch für jene gezahlt, die bis 1995 in Rente gingen – wer später Rentner wurde, ging leer aus. Die Liste ließe sich mit vielen anderen Berufsgruppen ergänzen, wie z.B. Balletttänzer, Selbständige, mithelfende Ehefrauen in landwirtschaftlichen Betrieben oder Naturwissenschaftler wie Chemiker oder Physiker in volkseigenen Produktionsbetrieben.

Jahrelang hatten die betroffen Berufs- und Personengruppen gekämpft. Viele Klagen bis hin zum Bundesverfassungsgericht blieben erfolglos oder wurden oft gar nicht zur Entscheidung angenommen. Einzige Hoffnung war deshalb die Politik. Viele Politiker sahen die Ansprüche der Ostrentner auch durchaus als berechtigt an – allerdings nur, wenn sich ihre Partei in der Opposition befand.

Umso größer war die Hoffnung, als die derzeitigen Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag beschlossen, nun endlich die letzten offenen Fragen bei der DDR-Rentenüberleitung zu klären. Dazu sollte ein Härtefallfonds eingerichtet werden, der - so steht es im Koalitionsvertrag vom März 2018 – allerdings nur Härtefälle im Rahmen der Grundsicherung ausgleicht.

Mit dem Start der aktuellen Bundesregierung im Frühjahr 2018 machte sich Arbeitsminister Hubertus Heil zunächst daran, seine Idee von einer Grundrente umzusetzen. Von Respekt und Anerkennung von Lebensleistung war dabei die Rede – und darum geht es ja auch den Ostrentnern der betroffenen Berufsgruppen. So wurde der Härtefallfonds schnell als Gerechtigkeitsfonds bezeichnet und die Hoffnung keimte auf , dass es auch für sie eine gerechte Lösung gefunden geben könnte.

Runder Tisch seit März 2019

Im März 2019 gründete sich ein Runder Tisch. Die insgesamt 17 Berufs-und Personengruppen verhandelten mit Politikern. Ende November letzten Jahres schien eine Lösung greifbar nahe. Die noch lebenden Ostrentner sollten für ihre bisher nicht gewährten Rentenansprüche mit einer Einmalzahlung abgefunden werden. Summen von 15.000 bis 20.000 Euro pro Person wurden genannt.

Davon ist jetzt – zumindest von Seiten der Politik - keine Rede mehr. Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilte schon Ende Juni der Umschau mit, dass man sich strikt am Koalitionsvertrag halte und nur eine Lösung im Rahmen der Grundsicherung denkbar sei. Das hieße, nur wirklich bedürftige Rentner könnten einen Zuschlag erwarten. Nach Hochrechnungen des Runden Tisches bekämen gerade zwei Prozent der betroffenen Rentner etwas mehr Geld, "Almosen", wie es der Sprecher des Runden Tisches, Dietmar Polster, nennt. 98 Prozent der betroffenen Ostrentner würden leer ausgehen.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: "Abmilderung von finanziellen Härten "

Auf Nachfrage der Umschau hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schriftlich zum Stand der Pläne wie folgt geäußert: "Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat intensiv geprüft, ob und unter welchen Voraussetzungen bestimmten ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern, die sich durch die Rentenüberleitung benachteiligt sehen, über eine Fondslösung ein gewisser Ausgleich außerhalb des Rentenrechts gewährt werden könnte. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe sprach sich auf Staatssekretärsebene Ende Juli 2020 dem Grunde nach für einen 'Härtefallfonds' aus. Es bestand Einvernehmen, dass mittels einer Fondslösung eine Abmilderung von finanziellen Härten erfolgen soll. Soweit möglich, soll damit eine finanzielle Anerkennung entstandener Enttäuschungen und individuell wahrgenommener Ungerechtigkeiten bei den Betroffenen erreicht werden. Die Arbeiten zur Ausgestaltung des Härtefallfonds dauern derzeit noch an."

Reaktionen aus den Bundesländern und vom Ostbeauftragten der Bundesregierung

Die "Umschau" hat alle Ministerpräsidenten angeschrieben und gefragt "Inwieweit hält es die Landesregierung für gerecht, Lösungen über die angedachte Härtefallregelung (Grundsicherung) hinaus zu finden?". Das Sozialministerium Sachsen hat sich auf die Ergebnisse auf Bund-Länder-Ebene berufen und mitgeteilt, dass hier " mittels einer Fondslösung eine Abmilderung von finanziellen Härten erfolgen soll".

Das dies die getroffene Vereinbarung im Koalitionsvertrag auf Bundesebene, hieß es auch aus Brandenburg. Doch würde man hier selber weiter gehen wollen. Das "Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg" betont: "Brandenburg befürwortet eine Lösung, die einen größeren Personenkreis einbezieht. Soweit möglich, sollten in einer Fondslösung über eine Abmilderung finanzieller Härten hinaus auch die Enttäuschungen und individuell wahrgenommener Ungerechtigkeiten der davon betroffenen Berufs- und Personengruppen Berücksichtigung finden können."

Die Antworten aus den anderen Bundesländern blieben bislang aus. Auch den Ostbeauftragten der Bundesregierung haben wir hier um eine Stellungnahme gebeten. Er berief sich auch wie Sachsen auf die Härtefall-Vereinbarung im Koalitionsvertrag. "Hinter diesem politischen Willen stehe ich als Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer selbstverständlich mit Nachdruck".

Eine Angabe, ab wann die Zahlungen für Betroffene fließen konnten, machte keiner.

Knackpunkt Ist-StandDietmar Polster betont, nach ihm vorliegenden Informationen könnten die Zahlungen für die vom Runden Tisch errechneten zwei Prozent der Betroffenen, die durch den Härtefallfonds nach aktuellem Stand erreicht werden würden, frühestens ab 2023 erfolgen können. Dazwischen liegt noch eine Bundestagswahl und nach Ansicht von Dietmar Polster sei es nicht sicher, ob der Härtefall von einer neuen Bundesregierung umgesetzt wird.

Rentenansprüche der Ost-Rentner im Einigungsvertrag festgeschrieben

Die Rentenansprüche der weit größeren Zahl der Ost-Rentner liegen darunter. Sie wurden erarbeitet – und oft sogar im Einigungsvertrag festgeschrieben. Wie bei den ehemaligen Postmitarbeitern der DDR.

Die Realität I - das Beispiel DDR-Postmitarbeiter

Günter N. aus Halle war in der DDR bei der Post, genauer gesagt bei der grauen Post, jener Bereich also, der heute zur Telekom gehört. In der DDR war er beim Fernmeldebauamt tätig, plante und baute Telefonanlagen. Nach der Wende wurde er von der Telekom übernommen. Dort war er ebenfalls an der Planung diverser Investitionsmaßnahmen beteiligt. 1996 ging er in den Vorruhestand und 1998 in Rente.

Nach der Versorgungsverordnung der Deutschen Post der DDR hätte er einen Anspruch auf eine erhöhte Rente, die nach eigenen Berechnungen heute ca. 400 Euro im Monat betragen würde. Für einen ehemaligen DDR-Postler ist der Betrag relativ hoch. Herr N. war im Fernmeldebau in gehobener Stellung tätig. Die Ansprüche vieler anderer Postler dürften viel geringer sein. Doch diese Zusatzrentenansprüche der DDR-Postler werden heute nicht gewährt.

Die Telekom fühlt sich nicht zuständig und die Rentenversicherung verweist auf das Rentenüberleitungsgesetz von 1991, das die DDR-Rentenansprüche ins Westrecht überleitete. Danach wurden die Ansprüche nur für Postler gewährt, die bis 1995 in Rente gingen, wer danach Rentner wurde, nicht mehr.

Die Realität II - das Beispiel Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn

Ähnlich ergeht es auch den früheren Mitarbeitern der Deutschen Reichsbahn. Auch sie hatten eine betriebliche Altersvorsorge, die Beiträge dafür zahlte das Unternehmen an den Staatshaushalt – doch heute will niemand die Renten daraus zahlen. Die Rentenversicherung verweist auf das Nachfolgeunternehmen Deutsche Bahn. Die Bahn hält die gesetzliche Rentenversicherung für zuständig. Und die Justiz spielt das Spiel fröhlich mit: Die Arbeitsgerichte, bis hin zum Bundesarbeitsgericht, halten die Sozialgerichte für zuständig. Die Sozialgerichte die Arbeitsgerichte.

Das stärkt bei den Betroffenen den Glauben in den Rechtsstaat. Als Krönung kommt bei den Reichsbahnern noch hinzu, dass ihr Unternehmen zur Wende auf einem milliardenschweren Immobilienschatz saß. Vor allem in Berlin, auch im Westteil, besaß die Deutsche Reichsbahn historisch bedingt zahlreiche große Liegenschaften, die nach der Bahnfusion vermarktet, sprich verkauft, wurden. Die Erlöse daraus flossen ins Bundes-Eisenbahnvermögen – und die Aufgabe dieser Behörde besteht u.a. darin, die Pensionen und Zusatzrenten für ehemalige Bahnbedienstete zu zahlen. Vor allem den Ex-Bundesbahnern aus dem Westen! 

Die Realität III - das Beispiel in den Westen geflüchtete DDR-Bürger

Selbst jene (ehemaligen) DDR-Bürger, die lange vor dem Mauerfall in den Westen geflüchtet oder übergesiedelt sind, hat inzwischen die fragwürdige Behandlung der Ost-Rentner eingeholt. Für sie gilt eigentlich das sogenannte Fremdrentengesetz, mit dem Flüchtlinge und Übersiedler für ihre DDR-Jahre so behandelt werden müssten, als hätten sie im Westen gelebt. Viele hatten schon entsprechende Anerkennungsbescheide von ihrer Rentenkasse.

Doch wer ab 1996 in Rente ging, der wird heute – zumindest für die Jahre in der DDR – wieder zum Ossi. Weil vieler dieser Flüchtlinge und Übersiedler kritisch zum System standen, hatten sie in der DDR oft berufliche Nachteile, auch was ihre Rentenansprüche betrifft. Dafür werden sie jetzt bestraft und haben zum Teil schlechtere Renten als jene, die in der DDR geblieben sind. Und auch hier gibt es eine Krönung in Sachen zweierler Maß: Denn der Deutsche, der vor dem Mauerfall aus Polen in den Westen übersiedelte, darf rententechnisch Wessi bleiben – der aus der DDR wird wieder Ossi.

Fazit

Nach den Hochrechnungen des Runden Tisches würde die von der Koalition geplante Minimallösung des Härtefallfonds nur zwei Prozent der Betroffenen, also 10.000 Rentner, erreichen. Selbst wenn jeder den bisher geforderten Höchstbetrag von 20.000 Euro bekäme, ergäbe das eine einmalige Zahlung von 0,2 Milliarden Euro. Die Krankenschwestern, die Braunkohlekumpel in den Brikettfabriken, die ehemaligen Reichsbahner und Postler und die viele andere würden leer ausgehen.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 08. September 2020 | 20:15 Uhr

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